Was war. Was wird.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Wenn man am Boden ist, kann man nicht aufstehen, wenn man gestorben ist. Die Toten Hosen haben ihr Samstags-Konzert in Erfurt abgesagt. Wann immer die Kameras am Freitag auf das Gutenberg-Gymnasium, Schauplatz des Amok-Laufs eines ehemaligen Schülers, zoomten, fingen sie einen Papier-Bogen ein, auf dem "HILFE!" stand. Viel größer aber war das Transparent, das "Abi 2002 trotz Pisa!" verkündete, doch es blieb unbeachtet. Wie mag das dumpfbackene Nationenranking auf jemanden wirken, der von der Schule verwiesen war, im "Profitcenter Familie" keinen Platz mehr hatte? Nein, dies ist keine Legitimation einer schwer fasslichen Tat, nur ein bisschen Anhalten zum Nachdenken angesichts einer Großtrommelei, die eine Verschärfung der Waffengesetze oder das Verbot von Ego-Shootern fordert. Ja, da sind sie wieder, drei Jahre nach Littleton, die Kommentare und Verbotsaufforderungen, die Computerspiele für das Böse der Welt verantwortlich machen. Für alle Dinge gibt es einfache, falsche Erklärungen. Mit Erfurt hat Edgewater nur den Anfang gemein, und doch: Dort hat sich der Amokläufer bei seinen Morden in den Wahn hinein gesteigert, gegen Adolf Hitler zu kämpfen. Er wurde am Mittwoch verurteilt, niemand nahm ihm die Geschichte ab. Jetzt kommen die Fragen, was mit der Gesellschaft los ist und was wir von Amerika noch alles übernehmen wollen. Eine kleine Bestandsaufnahme gefällig?
*** Bestandsaufnahme, das ist eines dieser seltsamen Wörter, die eigentlich nicht zu Worten gerinnen wollen, fast so seltsam wie Kriseninterventionsdienst. Der soll Betroffenen helfen, Krisen zu überstehen, und zum Kriseninterventionsdienst berufen fühlte sich wohl auch Johannes Baptist Kerner als Sondersender des ZDF zu Erfurt. Dafür reicht es jedoch wohl kaum, ein selten dämliches Betroffenheitsgesicht aufzusetzen und Polizeipsychologen und thüringische Ministerpräsidenten mit gewohnten Allerweltsfragen in den Arm zu nehmen. Bestand nehmen inzwischen aber auch andere auf, und die denken wirklich an ganz andere Kriseninterventionsdienste. Natürlich sind Verbotsforderungen jedweder Coleur nunmehr populär unter populistischen Politikern, ebenso wie die einfachen Rufe nach den Werten. Aber selbst die so genannten Werkonservativen können oft nicht mehr erklären, was denn diese Werte so alles sein sollen. Oder sie holen angestaubte Wörter, die kaum zu Worten, geschweige denn zu Werten taugen, aus der Mottenkiste. Was bleibt, sind Fragen und vergangene Hoffnungen:
Und wir tanzten bis zum Ende
zum Herzschlag der besten Musik.
Jeden Abend, jeden Tag,
wir dachten schon, das ist der Sieg!
Das war vor Jahren, das war vor Jahren...
sangen einst die Fehlfarben recht resigniert -- und das war auch schon vor Jahren. Vielleicht hält man es heutzutage besser mit Oskar Lafontaine -- was immer man auch von seiner zwischenzeitlichen Karriere hält, sein Wort von den Sekundärtugenden, mit denen sich auch trefflich ein KZ leiten lasse, mag besser für eine erste Orientierung taugen, was denn in dieser Gesellschaft so an Werten notwendig ist, als der Ruf nach Zucht und Ordnung -- auch wenn manche dummdreiste Pietätlosigkeit selbst den Ruf nach Zensur zu rechtfertigen scheint. Willkommen in Pleasantville.
*** Zensiert hätte manch baden-württembergische Politiker in früheren Jahren möglicherweise auch gerne. Trotzdem ist dies nun eine erfreuliche Geschichte, denn nicht alles ist schrecklich in diesen Tagen. Das Ländle feierte zwar sein 50-jähriges Bestehen, aber über die teils turbulente Geschichte war wenig zu hören. Nicht nur die Gründung des Bundeslandes, die die einzig weitgehend gelungene Neuordnung der Länderstrukturen nach dem Krieg darstellt, war anfangs umstritten, besonders bei den gewohnt -- und historisch verbürgt -- quer- und dickköpfigen Südbadenern. Aber auch ohne Leute wie Joß Fritz oder Friedrich Hecker sorgten sie für die Ursprünge der Anti-AKW-Bewegung in Deutschland -- und die wertkonservativen Kaiserstühler Bauern gemeinsam mit dem bunten Volk aus Freiburg schafften es auch als Einzige, den Bau eines Atomkraftwerks von vornherein zu verhindern. Ohne das AKW Wyhl würden in Deutschland die Lichter ausgehen, meinte der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger -- das passierte dann aber doch nicht, ganz anders als etwa in einem kleinen Ort in der Ukraine vor ziemlich genau 16 Jahren. Dafür stolperte Filbinger über seine Marinerichter-Karriere, und über die Todesurteile, die er noch kurz vor Kriegsende aussprach. Die Südbadener aber machten immer wieder mal Stunk, und immer wieder wollten sie weg von Baden-Württemberg, ja am besten ganz weg von Deutschland -- selbst der KBW, eine der vor Jahren mehr oder weniger berühmten K-Gruppen, machte mit, trotz aller Kritik an etwas, was fast schon Tribalismus zu nennen war. Das liebliche Elsass liegt doch auch so viel näher als das herrische Stuttgart oder gar das allzu preußische Berlin ... Michael Moos übrigens, der frühere Freiburger Chef des erwähnten KBW, trat dieser Tage als linker Bürgermeisterkandidat in Freiburg an -- und es dürfte ihn weit mehr schmerzen, dem grünen Realo-Technokraten als der christdemokratischen Verwaltungsbürokratin unterlegen zu sein. Über all den Kabalen aber thront weise lächelnd Klaus Theweleit, träumt von Pocahontas und leidet an den Königen und ihren Büchern -- und das seit Jahren. So sind sie halt , die Badener und speziell die Bobbele -- kein Wunder, dass sie immer noch leichte Verstimmung spüren, wenn sie an das schwäbisch dominierte Baden-Württemberg denken, Tribalismus hin, Regionalismus her. Da bleibt nur ein solidarischer Gruß aus der norddeutschen in die oberrheinische Tiefebene.
*** Ich höre schon das Stöhnen: Tribalismus in einem IT-Nachrichtendienst, was soll das denn nun wieder? Nun, das gehört genauso hierher wie der "Goldene Hirsch". Der ist nun kein Feinschmeckerrestaurant im Markgräflerland, nein, "Zum goldenen Hirschen" nennt sich eine Werbeagentur, die schon einmal Einwegspritzen mit grüner Waldmeisterbrause verschickt. Die sich selbst als Guerilla-Compagneros bezeichnenden Werber machen den Wahlkampf der Grünen. Alles soll erlaubt sei, denn Satire darf alles, erklärt uns die Website der Hirsche. Und weil es so lustig ist, fordert dort Shelley Masters ein Herz und eine Hütte für Arafat. Darauf lässt sich aufbauen, wenn man Grüne betreut, die wie weiland Jamal Karsli der "Nazi-Methoden" Sharons wegen zur F.D.P. überlaufen. Es ist, ganz ehrlich, interessant, wenn diese Platzhirsche für die eigenen Geschmacklosigkeiten in der Süddeutschen Zeitung die Seiten des Internetforums heise online als Beleg für offene Diskussionen zitieren. Ja, wir haben unsere Leser, die sich über den 19. Toten in Erfurt freuen und leiden daran. Nicht alle sind Erster, geht es um den Verstand. Aber, liebe Hirsche, was soll das Plädoyer für mehr Kultur gegen den Missbrauch der User als Click-Vieh? Oha! Hier wird scharf geschossen! Wenn ich Kultur höre, entsichere ich meinen Browning. So ist das, Erfurt oder nicht.
*** Über den Auftritt des gut gekleideten Ehemannes von Melinda Gates vor Gericht ist in dieser Woche so viel geschrieben und spekuliert worden, dass der unsichtbare Larry Ellison darüber wenig Beachtung erfuhr. Das ist eigentlich schade, denn gut angezogene Prominente haben in der Branche einen hohen Stellenwert: Am Montag steigt bei der Deutschen Telekom eine groß angelegte europäische Werbekampagne von T-Mobil mit Steffi Graf und Andre Agassi. Get more! Nur in den USA wird Hale Berry genommen, was für das "Aushängeschild des deutschen Sports" die Werbe-Einnahmen schmälert. Dabei ist mehrsprachige Kindererziehung im Ausland teuer. Und was das deutsche Schild anbelangt: Eigens für Mutter Graf hat sich die Deutsche Telekom die werbemäßige Verwendung des Satzes "Die Spiele sind eröffnet" gesichert, eine wahrhaft olympische Leistung. Bleibt die Frage, wann sich die Herren in Magenta das Wort "Update!!!" sichern.
*** Und es gab sie doch, die kuriosen Begebenheiten in der vergangen Woche. Zu diesen darf man den Welttag des geistigen Eigentums rechnen, der am Freitag begangen wurde. Warum dieser Tag ausgewählt wurde, werden wir wohl am Tag der Privatkopie erfahren. Erinnern wir uns: "Zuo nutz und wolfart gemeiner Teütscher Nation" wurden Bücher die ersten Jahre ohne Autorennamen und Verlagsbezeichnungen für den augenblicklichen Bedarf gedruckt und lokal verzehrt. Albrecht Dürer war einer der ersten, der sich mit dem Problem der Raubkopie befasste. Er entwickelte im Jahre 1512 sein berühmtes Monogramm, um unautorisierte Nachdrucke seiner Holzschnitte und Stiche zu unterbinden und führte eine Reihe von Prozessen gegen seine Kopierer. Mit der Zensurbestimmung des Reichtages zu Augsburg wurde es im Jahre 1548 zur Pflicht, dass Drucker Autoren- und Verlegernamen anführen mussten, damit "allerley schandlose schmeheschriftten" endlich verschwinden. Schandlos ist heute, wir lernten es diese Woche aus dem Hamburger Dialog, dass es mit der Umerziehung der Internet-Nutzer an kostenpflichtige Inhalte so schlecht klappt. So bedauern die Chefs von T-Online oder AOL die Ursünde des Internet, überhaupt jemals kostenlose Inhalte zugelassen zu haben. Das mag daher kommen, dass sie das Paradies nie gekannt haben. Darf die Gnade des späten Surfens aber auch so weit reichen, dass einfach so von Umerziehung geredet werden darf? Denn vor der Re-Education des besiegten Deutschlands war Umerziehung der Begriff, mit dem die Nationalsozialisten ihre Arbeit in den Lagern beschrieben.
*** Umerziehung aber verlangen immer wieder die gleichen Kreise. Die Firma Apple wird von christlichen Fundamentalisten gegeißelt, weil sie mit dem Codenamen Darwin glauben macht, dass es so etwas wie eine Evolution der Software geben kann, in der der fitteste und nicht der marktbeherrschende den Genpool guter Algorithmen, gelungener Menüs und perfekter Handbücher (ich werde unglaubwürdig) bereichert. Wie soll sich die innovative Firma in einem Land wehren, in dem zur Förderung der Wissenschaft eine Science-Fiction-Steuer vorgeschlagen wird? Aus christlicher Sicht ist Apple seit der Gründung durch Wozniak und Jobs ohnehin verdächtig: Das erste Logo war nicht der genmodifizierte Apfel, sondern Herr Newton, der unter einem Baume saß. Welchselbiger einen Apfel fallen ließ, damit die Menschheit die Schwerkraft überwinde. Doch schweben können nur Engel und Avatare.
Was wird.
Vor siebenundzwanzig Jahren verließen die letzten US-Truppen Saigon. Das Ende des Vietnamkrieges brachte Martin Kern, Schichtleiter bei der ICS im Rechenzentrum Zürich Altstetten, so von der Rolle, dass seine Systeme abschmauchten. Rauch quoll aus den Speichern, anschaulich beschrieben von Emil Zopfi in seinem Roman "Jede Minute kostet 33 Franken", der vor 25 Jahren erschien. Na bitte, ein richtiges Jubiläum! Auch nicht schlechter als dass der 30 Jahre deutscher Informatik, die Frau Minister Bulmahn morgen gebührend feiert, mit einem Vortrag zur virtuellen Universität der Zukunft. Oder, um es etwas historischer ausfallen zu lassen, ganz ohne Retro-Charme: Vor 50 Jahren eröffnete IBM in San Jose sein erstes Computerlabor, an dem der AAMAC entwickelt wurde, ein mächtiger Festschrank und damit Vorläufer der Festplatte, die man in San Jose zünftig Winchester taufte, natürlich nach einem Gewehr, dem Vorläufer der Pumpgun.
Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still. Ja, so ist das bei Elsa. Am Kampftag der Arbeiterklasse macht die Firma dicht, die mit Bluetooth und Hot Spots noch einmal ganz groß herauskommen wollte. Für die Belegschaft im Aachener Valley empfiehlt sich die Politik der ruhigen Hand. Richtig, es gilt noch ein Jubiläum zu begehen: Vor 75 Jahren wurde das autogene Training vom Berliner Arzt Johann Heinrich Schultz vorgestellt. Damals hieß es freilich "Entspannung durch Konzentration". Beides wünsche ich allen Lesern. (Hal Faber) / (jk/c't)
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Wenn man am Boden ist, kann man nicht aufstehen, wenn man gestorben ist. Die Toten Hosen haben ihr Samstags-Konzert in Erfurt abgesagt. Wann immer die Kameras am Freitag auf das Gutenberg-Gymnasium, Schauplatz des Amok-Laufs eines ehemaligen Schülers, zoomten, fingen sie einen Papier-Bogen ein, auf dem "HILFE!" stand. Viel größer aber war das Transparent, das "Abi 2002 trotz Pisa!" verkündete, doch es blieb unbeachtet. Wie mag das dumpfbackene Nationenranking auf jemanden wirken, der von der Schule verwiesen war, im "Profitcenter Familie" keinen Platz mehr hatte? Nein, dies ist keine Legitimation einer schwer fasslichen Tat, nur ein bisschen Anhalten zum Nachdenken angesichts einer Großtrommelei, die eine Verschärfung der Waffengesetze oder das Verbot von Ego-Shootern fordert. Ja, da sind sie wieder, drei Jahre nach Littleton, die Kommentare und Verbotsaufforderungen, die Computerspiele für das Böse der Welt verantwortlich machen. Für alle Dinge gibt es einfache, falsche Erklärungen. Mit Erfurt hat Edgewater nur den Anfang gemein, und doch: Dort hat sich der Amokläufer bei seinen Morden in den Wahn hinein gesteigert, gegen Adolf Hitler zu kämpfen. Er wurde am Mittwoch verurteilt, niemand nahm ihm die Geschichte ab. Jetzt kommen die Fragen, was mit der Gesellschaft los ist und was wir von Amerika noch alles übernehmen wollen. Eine kleine Bestandsaufnahme gefällig?
*** Bestandsaufnahme, das ist eines dieser seltsamen Wörter, die eigentlich nicht zu Worten gerinnen wollen, fast so seltsam wie Kriseninterventionsdienst. Der soll Betroffenen helfen, Krisen zu überstehen, und zum Kriseninterventionsdienst berufen fühlte sich wohl auch Johannes Baptist Kerner als Sondersender des ZDF zu Erfurt. Dafür reicht es jedoch wohl kaum, ein selten dämliches Betroffenheitsgesicht aufzusetzen und Polizeipsychologen und thüringische Ministerpräsidenten mit gewohnten Allerweltsfragen in den Arm zu nehmen. Bestand nehmen inzwischen aber auch andere auf, und die denken wirklich an ganz andere Kriseninterventionsdienste. Natürlich sind Verbotsforderungen jedweder Coleur nunmehr populär unter populistischen Politikern, ebenso wie die einfachen Rufe nach den Werten. Aber selbst die so genannten Werkonservativen können oft nicht mehr erklären, was denn diese Werte so alles sein sollen. Oder sie holen angestaubte Wörter, die kaum zu Worten, geschweige denn zu Werten taugen, aus der Mottenkiste. Was bleibt, sind Fragen und vergangene Hoffnungen:
Und wir tanzten bis zum Ende
zum Herzschlag der besten Musik.
Jeden Abend, jeden Tag,
wir dachten schon, das ist der Sieg!
Das war vor Jahren, das war vor Jahren...
sangen einst die Fehlfarben recht resigniert -- und das war auch schon vor Jahren. Vielleicht hält man es heutzutage besser mit Oskar Lafontaine -- was immer man auch von seiner zwischenzeitlichen Karriere hält, sein Wort von den Sekundärtugenden, mit denen sich auch trefflich ein KZ leiten lasse, mag besser für eine erste Orientierung taugen, was denn in dieser Gesellschaft so an Werten notwendig ist, als der Ruf nach Zucht und Ordnung -- auch wenn manche dummdreiste Pietätlosigkeit selbst den Ruf nach Zensur zu rechtfertigen scheint. Willkommen in Pleasantville.
*** Zensiert hätte manch baden-württembergische Politiker in früheren Jahren möglicherweise auch gerne. Trotzdem ist dies nun eine erfreuliche Geschichte, denn nicht alles ist schrecklich in diesen Tagen. Das Ländle feierte zwar sein 50-jähriges Bestehen, aber über die teils turbulente Geschichte war wenig zu hören. Nicht nur die Gründung des Bundeslandes, die die einzig weitgehend gelungene Neuordnung der Länderstrukturen nach dem Krieg darstellt, war anfangs umstritten, besonders bei den gewohnt -- und historisch verbürgt -- quer- und dickköpfigen Südbadenern. Aber auch ohne Leute wie Joß Fritz oder Friedrich Hecker sorgten sie für die Ursprünge der Anti-AKW-Bewegung in Deutschland -- und die wertkonservativen Kaiserstühler Bauern gemeinsam mit dem bunten Volk aus Freiburg schafften es auch als Einzige, den Bau eines Atomkraftwerks von vornherein zu verhindern. Ohne das AKW Wyhl würden in Deutschland die Lichter ausgehen, meinte der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger -- das passierte dann aber doch nicht, ganz anders als etwa in einem kleinen Ort in der Ukraine vor ziemlich genau 16 Jahren. Dafür stolperte Filbinger über seine Marinerichter-Karriere, und über die Todesurteile, die er noch kurz vor Kriegsende aussprach. Die Südbadener aber machten immer wieder mal Stunk, und immer wieder wollten sie weg von Baden-Württemberg, ja am besten ganz weg von Deutschland -- selbst der KBW, eine der vor Jahren mehr oder weniger berühmten K-Gruppen, machte mit, trotz aller Kritik an etwas, was fast schon Tribalismus zu nennen war. Das liebliche Elsass liegt doch auch so viel näher als das herrische Stuttgart oder gar das allzu preußische Berlin ... Michael Moos übrigens, der frühere Freiburger Chef des erwähnten KBW, trat dieser Tage als linker Bürgermeisterkandidat in Freiburg an -- und es dürfte ihn weit mehr schmerzen, dem grünen Realo-Technokraten als der christdemokratischen Verwaltungsbürokratin unterlegen zu sein. Über all den Kabalen aber thront weise lächelnd Klaus Theweleit, träumt von Pocahontas und leidet an den Königen und ihren Büchern -- und das seit Jahren. So sind sie halt , die Badener und speziell die Bobbele -- kein Wunder, dass sie immer noch leichte Verstimmung spüren, wenn sie an das schwäbisch dominierte Baden-Württemberg denken, Tribalismus hin, Regionalismus her. Da bleibt nur ein solidarischer Gruß aus der norddeutschen in die oberrheinische Tiefebene.
*** Ich höre schon das Stöhnen: Tribalismus in einem IT-Nachrichtendienst, was soll das denn nun wieder? Nun, das gehört genauso hierher wie der "Goldene Hirsch". Der ist nun kein Feinschmeckerrestaurant im Markgräflerland, nein, "Zum goldenen Hirschen" nennt sich eine Werbeagentur, die schon einmal Einwegspritzen mit grüner Waldmeisterbrause verschickt. Die sich selbst als Guerilla-Compagneros bezeichnenden Werber machen den Wahlkampf der Grünen. Alles soll erlaubt sei, denn Satire darf alles, erklärt uns die Website der Hirsche. Und weil es so lustig ist, fordert dort Shelley Masters ein Herz und eine Hütte für Arafat. Darauf lässt sich aufbauen, wenn man Grüne betreut, die wie weiland Jamal Karsli der "Nazi-Methoden" Sharons wegen zur F.D.P. überlaufen. Es ist, ganz ehrlich, interessant, wenn diese Platzhirsche für die eigenen Geschmacklosigkeiten in der Süddeutschen Zeitung die Seiten des Internetforums heise online als Beleg für offene Diskussionen zitieren. Ja, wir haben unsere Leser, die sich über den 19. Toten in Erfurt freuen und leiden daran. Nicht alle sind Erster, geht es um den Verstand. Aber, liebe Hirsche, was soll das Plädoyer für mehr Kultur gegen den Missbrauch der User als Click-Vieh? Oha! Hier wird scharf geschossen! Wenn ich Kultur höre, entsichere ich meinen Browning. So ist das, Erfurt oder nicht.
*** Über den Auftritt des gut gekleideten Ehemannes von Melinda Gates vor Gericht ist in dieser Woche so viel geschrieben und spekuliert worden, dass der unsichtbare Larry Ellison darüber wenig Beachtung erfuhr. Das ist eigentlich schade, denn gut angezogene Prominente haben in der Branche einen hohen Stellenwert: Am Montag steigt bei der Deutschen Telekom eine groß angelegte europäische Werbekampagne von T-Mobil mit Steffi Graf und Andre Agassi. Get more! Nur in den USA wird Hale Berry genommen, was für das "Aushängeschild des deutschen Sports" die Werbe-Einnahmen schmälert. Dabei ist mehrsprachige Kindererziehung im Ausland teuer. Und was das deutsche Schild anbelangt: Eigens für Mutter Graf hat sich die Deutsche Telekom die werbemäßige Verwendung des Satzes "Die Spiele sind eröffnet" gesichert, eine wahrhaft olympische Leistung. Bleibt die Frage, wann sich die Herren in Magenta das Wort "Update!!!" sichern.
*** Und es gab sie doch, die kuriosen Begebenheiten in der vergangen Woche. Zu diesen darf man den Welttag des geistigen Eigentums rechnen, der am Freitag begangen wurde. Warum dieser Tag ausgewählt wurde, werden wir wohl am Tag der Privatkopie erfahren. Erinnern wir uns: "Zuo nutz und wolfart gemeiner Teütscher Nation" wurden Bücher die ersten Jahre ohne Autorennamen und Verlagsbezeichnungen für den augenblicklichen Bedarf gedruckt und lokal verzehrt. Albrecht Dürer war einer der ersten, der sich mit dem Problem der Raubkopie befasste. Er entwickelte im Jahre 1512 sein berühmtes Monogramm, um unautorisierte Nachdrucke seiner Holzschnitte und Stiche zu unterbinden und führte eine Reihe von Prozessen gegen seine Kopierer. Mit der Zensurbestimmung des Reichtages zu Augsburg wurde es im Jahre 1548 zur Pflicht, dass Drucker Autoren- und Verlegernamen anführen mussten, damit "allerley schandlose schmeheschriftten" endlich verschwinden. Schandlos ist heute, wir lernten es diese Woche aus dem Hamburger Dialog, dass es mit der Umerziehung der Internet-Nutzer an kostenpflichtige Inhalte so schlecht klappt. So bedauern die Chefs von T-Online oder AOL die Ursünde des Internet, überhaupt jemals kostenlose Inhalte zugelassen zu haben. Das mag daher kommen, dass sie das Paradies nie gekannt haben. Darf die Gnade des späten Surfens aber auch so weit reichen, dass einfach so von Umerziehung geredet werden darf? Denn vor der Re-Education des besiegten Deutschlands war Umerziehung der Begriff, mit dem die Nationalsozialisten ihre Arbeit in den Lagern beschrieben.
*** Umerziehung aber verlangen immer wieder die gleichen Kreise. Die Firma Apple wird von christlichen Fundamentalisten gegeißelt, weil sie mit dem Codenamen Darwin glauben macht, dass es so etwas wie eine Evolution der Software geben kann, in der der fitteste und nicht der marktbeherrschende den Genpool guter Algorithmen, gelungener Menüs und perfekter Handbücher (ich werde unglaubwürdig) bereichert. Wie soll sich die innovative Firma in einem Land wehren, in dem zur Förderung der Wissenschaft eine Science-Fiction-Steuer vorgeschlagen wird? Aus christlicher Sicht ist Apple seit der Gründung durch Wozniak und Jobs ohnehin verdächtig: Das erste Logo war nicht der genmodifizierte Apfel, sondern Herr Newton, der unter einem Baume saß. Welchselbiger einen Apfel fallen ließ, damit die Menschheit die Schwerkraft überwinde. Doch schweben können nur Engel und Avatare.
Was wird.
Vor siebenundzwanzig Jahren verließen die letzten US-Truppen Saigon. Das Ende des Vietnamkrieges brachte Martin Kern, Schichtleiter bei der ICS im Rechenzentrum Zürich Altstetten, so von der Rolle, dass seine Systeme abschmauchten. Rauch quoll aus den Speichern, anschaulich beschrieben von Emil Zopfi in seinem Roman "Jede Minute kostet 33 Franken", der vor 25 Jahren erschien. Na bitte, ein richtiges Jubiläum! Auch nicht schlechter als dass der 30 Jahre deutscher Informatik, die Frau Minister Bulmahn morgen gebührend feiert, mit einem Vortrag zur virtuellen Universität der Zukunft. Oder, um es etwas historischer ausfallen zu lassen, ganz ohne Retro-Charme: Vor 50 Jahren eröffnete IBM in San Jose sein erstes Computerlabor, an dem der AAMAC entwickelt wurde, ein mächtiger Festschrank und damit Vorläufer der Festplatte, die man in San Jose zünftig Winchester taufte, natürlich nach einem Gewehr, dem Vorläufer der Pumpgun.
Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still. Ja, so ist das bei Elsa. Am Kampftag der Arbeiterklasse macht die Firma dicht, die mit Bluetooth und Hot Spots noch einmal ganz groß herauskommen wollte. Für die Belegschaft im Aachener Valley empfiehlt sich die Politik der ruhigen Hand. Richtig, es gilt noch ein Jubiläum zu begehen: Vor 75 Jahren wurde das autogene Training vom Berliner Arzt Johann Heinrich Schultz vorgestellt. Damals hieß es freilich "Entspannung durch Konzentration". Beides wünsche ich allen Lesern. (Hal Faber) / (jk/c't)