Panik reißt Versicherertitel in den Abgrund
Von Holger Alich, Caspar Dohmen und Thomas Wiede
Der Allfinanzriese Fortis musste gestern wider Erwarten eingestehen, dass er seine Gewinnprognose wegen starker Verluste am Aktienmarkt doch nicht halten kann. Das löste eine Verkaufswelle bei Versicherertiteln aus.
Verkaufswelle bei Allianz und Co
HB BRÜSSEL/DÜSSELDORF. Versicherer und Aktienanalysten reagieren mit Unverständnis auf die Panik-Verkaufswelle, die gestern europaweit die Titel von Axa, Allianz und Co nach unten riss. Auslöser war die Gewinnwarnung von Fortis.
In einer gestern veröffentlichten Erklärung räumte Anton van Rossum, Chef des belgisch-niederländischen Allfinanzkonzerns ein, dass der Wert des Aktien-Portfolios durch die Kurseinbrüche zum erstenmal in der zwölfjährigen Unternehmensgeschichte unter den Kaufpreis gesunken sei. Die Verluste müssten daher durch die Gewinne aus dem operativen Geschäft gedeckt werden. Am Vortag hatte bereits Aegon die Märkte mit einer Gewinnwarnung geschockt.
„Die Kursreaktion an den Märkten ist übertrieben“, sagte Richard Burden, Versicherungsanalyst von Goldman Sachs in London. „Die Märkte versehen die Abschreibungen auf Aktienverluste mit einem Multiplikator. Das ist ungerechfertigt.“ Fortis hatte erklärt, rund 850 Mill. Euro zur Sicherung seines Aktienportfolios Ende März zurückgestellt zu haben. An der Börse hat das Unternehmen in den vergangenen beiden Tagen aber rund 3,6 Mrd. Euro an Wert verloren.
Marc Koning, Analyst bei Robeco. Koning schätzt indes, dass die Verluste am Aktienbesitz von Fortis inzwischen eine Mrd. Euro überschritten haben. „Fortis kann froh sein, wenn am Ende des Jahres eine schwarze Null in der Bilanz steht“, meint er. Ein Drittel des Anlageportfolios hat der Finanzkonzern in Aktien. Zum Vergleich: bei Aegon sind es 20 %, der niederländische Konkurrent ING hat 23 % seiner Anlagen an der Börse investiert.
Auch Goldman Sachs rechnet noch mit weiteren Abschreibungen auf Aktienbesitz bei besonders stark in Aktien engagierten Versicherern wie Axa, Zurich Financial Services oder ING. „Aber ist kein großer europäischer Versicherer in Gefahr, die gesetzlichen Mindestausstattung mit Kapital zu unterschreiten,“ sagte Burden.
Der Alllianz-Konzern erklärte am Abend auf Anfrage, dass er trotz der verschärften Börsenbaisse noch über „ausreichende Reserven“ in seinen Anlagen verfügt. „Wir haben frühzeitig in Aktien investiert“, erklärte eine Sprecherin der Allianz Leben gegenüber dem Handelsblatt.
Als der niederländische Versicherer Aegon zu Beginn dieser Woche die Märkte mit einer drastischen Gewinnwarnung schockte, beruhigte Fortis noch: „Keine Änderung an der im Frühjahr aufgestellten ehrgeizigen Prognose für das laufende Jahr“, hieß es auf Anfrage des Handelsblatts: Ehrgeizige 12 % Gewinn pro Aktie, was einem Nettogewinn von rund 2,4 Milliarden Euro entsprochen hätte.
Das war am vergangenen Montag. Gestern folgte nun das Eingeständnis: „Obwohl die operativen Entwicklungen im ersten Halbjahr im Rahmen der Erwartungen sind und die Liquidität weiterhin stark ist, wird das im ersten Quartal genannte Gewinnziel für das Gesamtjahr nicht erreicht werden“, teilte Fortis mit.
Genaue Angaben darüber, wie weit die Prognose nach unten revidiert wird, machte das Unternehmen nicht. Analysten wie Bart van de Feen von der Rabobank hielten jedoch schon die von Fortis hochgehaltene 12-prozentige Gewinnsteigerung für zu optimistisch: „Wir haben da schon mit höchstens zehn Prozent gerechnet“, so van de Feen. Wenn sich die Situation auf den Aktienmärkten nicht bessere, werde das Unternehmen im 3. Quartal einen Sonderaufwand buchen müssen, kündigte eine Fortis-Sprecherin an. Über dessen Höhe wollte sie jedoch keine Angaben machen.
Feen verweist auf die positiven Aspekte bei Fortis: „Im operativen Geschäft sieht es ganz gut aus“. Besonders der Banksektor entwickelt sich dank des stabilen Marktumfelds in den Benelux-Ländern, wo das Unternehmen seinen Schwerpunkt hat, zufriedenstellend.
Die trübe Lage auf dem Versicherungsmarkt trifft Fortis zwar auch, im Gegensatz zum Wettbewerber Aegon, der sein Geschäft hauptsächlich mit Lebensversicherungen macht, verfügt Fortis aber über eine breitere Produktpalette. Der Sektor Versicherungen steuert nur rund ein Drittel zum Nettogewinn bei.
Dennoch: Auch Fortis kämpft mit Absatzproblemen bei den Lebensversicherungen. Im ersten Jahresdrittel schrumpften die Prämieneinnahmen bereits um fast 40 %. Branchenkenner wie Tiago Parente von Bear Stearns erwarten daher, dass auf Grund des schlechten Marktumfelds noch weitere All-Finanzkonzerne, die wie zum Beispiel ING mit einem signifikanten Aktienanteil im Anlageportfolio dem Börsentrend ausgesetzt sind, die Investoren mit Gewinnwarnungen überraschen könnten.
Auch wenn die Märkte derzeit ein anderes Bild zeigen: Langfristig können gerade die großen Versicherer wie Fortis, die deutsche Allianz und die französische Axa von der Krise an den Märkten gar profitieren, meint Thorsten Karbaum, Versicherungsanalyst der WestLB Panmure. „Kleinere Anbieter kommen in Bedrängnis. Eine Marktbereinigung zeichnet sich ab.“
HANDELSBLATT, Mittwoch, 24. Juli 2002, 10:43 Uh