Schon vergessen ? Heute vor 10 Jahren...

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Schon vergessen ? Heute vor 10 Jahren...

 
11.08.09 12:34
News - 11.08.09 12:02Börsen-Geschichte: Wenn Gigabells Sonne zweimal aufgeht

Vor zehn Jahren feierten Anleger die Erstnotiz von Gigabell. Der aberwitzige Börsengang am Tag der Sonnenfinsternis über Deutschland leitete den Anfang vom Ende des Neuen Markts ein. FTD.de blickt zurück auf eine Zeit der Gier und Übertreibung.


Es ist der 11. August 1999, der Tag der totalen Sonnenfinsternis über Süddeutschland. Es ist die Zeit, in der die geschwärzten Sonnenfinsternis-Brillen zunächst im ganzen Land knapp und nach Ende des Naturschauspiels um 13:52 Uhr dann wertloser Ramsch sind.


Es ist aber auch die Zeit, in der wertloser Ramsch schnell knapp und teuer werden kann. Am Dienstag vor genau zehn Jahren ging der Internetdienstleister Gigabell an den Neuen Markt in Frankfurt. Kein Jahr später hatte das von einem ehemaligen Schlagersänger geführte Unternehmen nicht nur den Millionenerlös aus dem Börsengang verpulvert, sondern auch rund 25 Mio. Euro Schulden aufgebaut und war im September 2000 pleite.


Gigabell, das ist die Geschichte des Neuen Markts in einer Nussschale, von blinder Gier und maßlosen Übertreibungen, eine Geschichte aus einer Zeit, in der Banken ein Unternehmen wie Gigabell bei einem Umsatz von 10 Mio. Euro und roten Zahlen mit einem Börsenwert von 200 Mio. Euro an den Markt wuchten und die Aktie sich trotzdem verdreifacht.


Es ist die Zeit, in der alle Internetfirmen "Full Service" bieten, "führend" sind und mit dem Emissionserlös im Ausland expandieren wollen. Und in der Konsortialbanken lange knobeln müssen, bis sie Kennziffern erfunden haben, mit denen sich eine Bewertung des 20-fachen Umsatzes rechtfertigen lässt und dafür vom Emissionserlös fünf Prozent plus x als Provision einstecken.


Es ist auch die Zeit, in der es Leute an der Spitze der windigen Klitschen braucht, die mit einem gewissen Showtalent den ganzen operativen Irrsinn und die grotesken Wachstumspläne an Anleger verkaufen können. So einen wie Gigabell-Chef Rudolf Zawrel: In seinem Leben vor Gigabell ist er Schlagersänger, der unter dem Künstlernamen Daniel David auftritt und Lieder wie "Du bist kein Stern für eine Nacht" oder "Ein Schuss Rum in den Tee" trällert.


Ordentlich einen im Tee haben am Abend des 11. August 1999 auch viele Besucher der Riesensause, die Gigabell in Rahmen der Erstnotiz der Aktie am Neuen Markt in Frankfurt veranstaltet. Das Motto des Börsengangs in Anspielung auf die Sonnenfinsternis: "Wenn die Gigabell ihr Debüt am Neuen Markt feiert, geht die Sonne zweimal auf."


Zwei Aspekte hätten Anleger hellhörig machen können: Erstens gehört Frankfurt gar nicht zu der Zone Deutschlands, in der sich die totale Sonnenfinsternis beobachten lässt - die beginnt erst 100 Kilometer weiter südlich. Und zweitens schmiert die Gigabell-Aktie am ersten Tag zunächst vom Emissionspreis von 38 Euro auf 33 Euro ab. Aber ein prominent besetztes Konsortium zum Börsengang - HSBC Trinkaus, die Frankfurter Sparkasse, die DG Bank und die Net-Ipo AG - schafft Vertrauen. Würden solche Banken Schrott verkaufen? Und gibt es da nicht die Emissionsstudien, nach denen Gigabell schon im Jahr 2000 einen Gewinn von 7 bis 11 Mio. Euro erwirtschaften wird?


Weil am Neuen Markt irgendwann die Aktien aber knapp, die Ankündigungen vollmundiger und die Gier groß werden, klettert die Gigabell-Aktie dennoch auf einen Kurs von 131 Euro. Das Unternehmen ist damit im März 2000 trotz katastrophaler operativer Lage - der Verlust liegt höher als der Umsatz - über 700 Mio. Euro wert.






Reihe von Rekorden

Den Platz in den Geschichtsbüchern des Neuen Markts sichert sich Gigabell gleich durch eine Reihe von Rekorden: Kein Unternehmen muss nach dem Börsengang die Prognosen schneller korrigieren - nur sechs Wochen nach dem IPO warnt Gigabell vor einem dreimal so hohen Verlust wie erwartet.


Kein Unternehmen kauft dennoch so kopflos mit dem Emissionserlös wahllos Firmen zu, während operativ das Geld - trotz eines Ex-Postministers im Aufsichtsrat - lichterloh brennt.


Und kein Unternehmen geht am Neuen Markt schneller unter. Im September 2000, 13 Monate nach Sonnenfinsternis und Börsengang, ist Gigabell pleite. "Locher, Ordner und Regale" sei er gewohnt, erklärt seinerzeit der Insolvenzverwalter der Deutschen Presse-Agentur. In der Buchhaltung von Gigabell aber herrsche gähnende Leere: Weder den genauen Umsatz noch die Beschäftigtenzahl kann er ermitteln.


Knapp drei Jahre und einige Skandale später schließt die Deutsche Börse den Neuen Markt im Juni 2003. Ihr Erfinder - Reto Francioni - ist heute Vorstandsvorsitzender der Deutschen Börse. Und Rudolf Zawrel? Wird 2005 vom Landgericht Frankfurt wegen Insiderhandel und Insolvenzverschleppung zu einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Zawrel war geständig.


Von Christian Kirchner


Quelle: FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
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