Gefährliche Blockade
Beim Energieversorger RWE geht es drunter und drüber: Milliardeninvestitionen rechnen sich nicht, die sonst üppigen Gewinne brechen weg.
Von seinem Abgang beim Essener Stromkonzern RWE hatte Dietmar Kuhnt klare Vorstellungen. Einen geordneten Konzern wollte der Manager seinem Nachfolger hinterlassen. Einen glitzernden "Global Player", der in seinen Stammgeschäften Strom, Wasser, Gas und Umwelt kräftige Gewinne einfährt.
Und damit der Abschied des lang gedienten Konzernchefs auch einen glänzenden Höhepunkt erfährt, hatten die RWE-Manager den scheidenden Vorstand sogar erfolgreich für einen Fernsehpreis ins Gespräch gebracht. Für seine "wirtschaftlichen Visionen" wurde Kuhnt bei einer pompösen Fernsehgala in Berlin mit einem Wirtschafts-Bambi geehrt.
Ausgerechnet Kuhnt! Dem stocksteifen Juristen bescheinigen selbst wohlwollende Mitarbeiter, dass er in seiner ganzen Karriere noch nie eine Vision gehabt habe, die über die Standortverlagerung eines Kohlekraftwerks hinausgegangen wäre. Doch während sich der Fernseh-Bambi noch als Geschmacksfrage abhaken lässt, kommt auch die unternehmerische Leistung des RWE-Managers zunehmend in die Kritik.
Bei der Aufsichtsratssitzung am Montag dieser Woche zumindest muss Kuhnt den Kontrolleuren wahre Hiobsbotschaften verkünden. Wie aus den Vorlagen hervorgeht, wird der Gewinn des Konzerns im nächsten Geschäftsjahr dramatisch einbrechen. Das Nettoergebnis, so die vorläufige Schätzung, wird um bis zu 40 Prozent zurückgehen und damit rund 500 Millionen Euro unter dem bereits mageren Vorjahresergebnis liegen.
Außerdem drohen Sonderabschreibungen in Höhe von rund 1,1 Milliarden Euro für zu teuer gekaufte Unternehmen, und das Finanzergebnis wird durch den Verfall der im Portfolio gehaltenen Aktien spürbar nach unten revidiert werden.
Zwar verspricht der Vorstand in seiner Aufsichtsratsvorlage, dass es sich bei dem dramatischen Gewinnrückgang lediglich um eine vorübergehende Schwäche handele und das Nettoergebnis ab 2004 alte Höchststände sogar wieder übertreffen werde. Doch Skepsis ist angebracht.
Denn immer offensichtlicher wird, dass sich der Essener Konzern in einer äußerst schwierigen Verfassung befindet. Die Gründe für die Schieflage sind schnell gefunden: Um den einst biederen Stromversorger zum Weltkonzern auszubauen, haben Kuhnt und seine Manager in den vergangenen Jahren milliardenschwere Beteiligungen in aller Welt zusammengerafft.
In den USA beispielsweise kaufte RWE den Wasserversorger American Water Works, in England den Stromversorger Innogy und den Wasserkonzern Thames Water. Inklusive deren Schulden kostete der Kaufrausch mehr als 30 Milliarden Euro, die Finanzverbindlichkeiten des Konzerns stiegen auf über 15 Milliarden Euro.
Mit den neuen Töchtern, versprach Kuhnt euphorisch, breche für RWE eine neue Ära an, mit steigenden Gewinnen und weltweiten Synergievorteilen. Die Realität sieht anders aus: Von den angepeilten Renditezielen (bis zu zwölf Prozent) sind die zusammengekauften Beteiligungen meilenweit entfernt. Kuhnt und seinem Management dämmert allmählich, dass sie deutlich mehr Geld ausgegeben haben, als die Firmen tatsächlich wert sind.
"Würde man die Unternehmen heute verkaufen", rechnet ein Spitzenmanager vor, "würde nicht einmal ein Bruchteil der 30 Milliarden Euro wieder eingespielt werden." Weitere Sonderabschreibungen in Milliardenhöhe sind damit programmiert.
Einige Zukäufe haben sich als wahre Sanierungsfälle entpuppt. So mussten die RWE-Manager beim britischen Wasserversorger Thames Water feststellen, dass die Rohrleitungssysteme in zahlreichen englischen Städten in Teilen aus gefährlichen Bleileitungen bestehen. Die Sanierung wird viele Millionen verschlingen.
Gewaltiger Investitionsbedarf besteht auch beim britischen Stromversorger Innogy. Viele Kraftwerke schaffen die kürzlich in der EU angehobenen Umweltstandards nicht mehr und müssen nun teuer nachgerüstet oder sogar stillgelegt werden.
Lediglich das klassische, inländische Stromgeschäft des Konzerns ist intakt und wirft kräftig Gewinne ab. Doch Handlungsbedarf besteht auch hier. Durch eine effiziente Struktur des Konzerns und des Vorstands, hat Unternehmensberater Roland Berger im Auftrag von Kuhnt herausgefunden, ließen sich hohe Millionenbeträge einsparen. Nach diesen Plänen soll beispielsweise die Kohle-Tochter Rheinbraun mit der Stromerzeugungssparte Power fusioniert werden. Auch der völlig ineffiziente Vertrieb des Konzerns müsste neu strukturiert werden.
Doch eine schnelle Umsetzung jeglicher Sanierungskonzepte wird es bei RWE nicht geben. Das zumindest hat RWE-Aufsichtsratschef Friedel Neuber vor einigen Wochen in einer Aufsichtsratssitzung unmissverständlich klar gemacht.
Seit langem schon liefern sich Neuber und Kuhnt eine erbitterte Dauerfehde. Der ehemalige Banker hat dem RWE-Lenker nicht verziehen, dass er ihn vor einigen Monaten aus dem Aufsichtsrat drängen wollte. Quasi als Racheakt versucht er seinerseits zu verhindern, dass Kuhnt nach seinem Ausscheiden im Februar einen Platz im obersten Kontrollgremium erhält.
Außerdem, so Neubers Anweisung, sollen alle wichtigen Konzernentscheidungen so lange hinausgeschoben werden, bis der von ihm ausgesuchte Kuhnt-Nachfolger, Harry Roels, endlich im Amt ist.
Mit der Anordnung, schimpft ein hochrangiger Manager, habe Neuber den Vorstand über Monate auf reine Verwaltungsaufgaben reduziert. Das sei eine "gefährliche Blockade", die für das Unternehmen böse Konsequenzen haben könne.
Dass ausgerechnet der Niederländer Roels das Steuer nach seinem Amtsantritt im Februar schnell herumreißen könnte, daran glaubt bei RWE kaum noch jemand. Dem 54-jährigen Gasfachmann wird vorgeworfen, er lasse es am notwendigen Arbeitseinsatz fehlen.
Tatsächlich hatte Roels nach seinem Ausscheiden bei Shell darauf bestanden, erst einmal einen achtmonatigen Urlaub anzutreten. Neuber musste sogar den eigentlich im Dezember ausgelaufenen Vertrag von Kuhnt um zwei weitere Monate verlängern, weil Roels offenbar nicht auf einen ausgedehnten Segeltörn in Australien verzichten mochte. Nur gelegentlich nahm Roels als Gast an Vorstandssitzungen teil.
Angesprochen auf seine Abstinenz, versuchte der zukünftige Chef den wachsenden Unmut zu besänftigen: Immerhin, so Roels im kleinen Kreis, habe er im vergangenen halben Jahr schon fast 30 Tage bei RWE zugebracht - und das, obwohl er doch eigentlich noch Urlaub habe.