Rauf oder Runter - Wie ernst muss man Analysten nehmen?
01/12/2000
Michael Knauer
Frankfurt (GLBN) – Analysten haben Hochkonjunktur –und Analystenschelte nicht minder. Vor allem die wachsende Schar der Privatanleger sucht Orientierung im Börsendschungel, erst Recht in den derzeit unruhigen Zeiten. Für viele Aktienbesitzer sind Analysten Ortskundige, die auch im dichtesten Wald noch sicher ans Ziel finden.
Doch so mancher Anleger hat in jüngerer Zeit im Vertrauen auf die prophetischen Gaben eines Experten sein Geld pulverisiert und fragt sich nun, wie ernst man die Analysten noch nehmen kann. Studien haben gezeigt, dass Analysten weitaus häufiger zum Kauf einer Aktie raten als zum Verkauf. Mit der Börsenrealität hat dies aber nicht viel zu tun.
In dieser Woche bot sich den Anlegern ein neues Beispiel für das Stirnrunzeln, das Expertenempfehlungen auslösen können. Das renommierte US-Investmenthaus Schroder Salomon Smith Barney reduzierte sein Kursziel für die SAP Vorzugsaktie von 175 auf 125 Euro. Wie so oft zogen die Analysten der zweiten Reihe prompt hinterher: Der „Aktionärsbrief“ zum Beispiel erklärte nach dem Votum von Salomon, ein weiterer Kursrutsch der SAP-Aktie sei nicht auszuschließen.
Wem solche „Analysen“ zu düster erschienen, der konnte sich in der abgelaufenen Woche auch andere Stimmen zu Gemüte führen: So prophezeiten zum Beispiel die Experten der WestLB genau das Gegenteil: Das Kursziel bleibe bei 280 Euro, die Beurteilung ebenfalls auf der Bewertung als "Outperformer", hieß es. Auch die Analysten der Investmentbank Lehman Brothers hielten in einer aktuellen Bewertung an einem imposanten Kursziel fest: 255 und 295 Euro trauen sie der Aktie weiterhin zu.
Tja, was nun, rauf oder runter, rein oder raus, fragt sich der geneigte Anleger. Der Verdacht ist nicht neu, dass manche Analysten Bewertungsgründe in ihre Studien einfließen lassen, die nichts mit dem untersuchten Unternehmen zu tun haben.
Viele Neulinge sitzen auf derben Verlusten
Vor allem jene unerfahrenen Anleger in Deutschland, die in diesem Jahr zum ersten Mal Aktien kauften, stellen sich solche Fragen. Wie eine aktuelle Umfrage des Forsa-Institus zu Tage förderte, zeichneten in den vergangenen zwölf Monaten sage und schreibe 71 Prozent aller Westdeutschen die eine oder andere Aktie (mehr).
Viele dieser Neu-Börsianer sitzen aber am Ende des Jahres nicht auf den erhofften Riesengewinnen, sondern auf derben Verlusten. Seit März haben viele Titel am Neuen Markt 50, 60 oder gar 80 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Sein Traumhoch hatte der Nemax All Share am 10. März bei 8559,32 Punkten – inzwischen kratzt er bedenklich nahe an der Schwelle von 3000 Zählern.
Paradebeispiel EM.TV
Ein Paradebeispiel für die Deutungskünste mancher Analysten ist die missliche Lage des einst umjubelten Medienstar am Neuen Markt, EM.TV (mehr). So empfahlen die Experten von Hornblower Fischer die Aktein des Filmvermarkters am 22. Februar zum Kauf. Damals hatte EM.TV ein sagenhaft hohes KGV von 110. Dies sei zwar „nicht mehr billig“, räumten die Analysten von Hornblower Fischer damals ein, dennoch waren sie überzeugt, „dass die Bewertung aufgrund der exzellenten Wachstumsperspektiven gerechtfertigt sei.“
Auch die Experten des Bankhauses Salomon Oppenheim empfahlen EM.TV am 11. Februar erneut zum Kauf. Diese Empfehlung wurde fast punktgenau an jenem Tag ausgesprochen, an dem die Aktie ihr absolutes Jahreshoch bei 119,50 Euro erreichte. 15,95 Euro am Freitag sprechen da eine deutliche Sprache - der Kursverlust betrug seit der Kaufempfehlung somit mehr als 86 Prozent.
Von Buy-Side- und Sell-Side-Analysten
Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz in Düsseldorf betrachtet die Empfehlungen der Analysten generell mit wachsamen Augen. „Unbeeinflusste Meinungen am Markt sind immer schwieriger zu finden“, formuliert er vorsichtig. Die Ohren besonders spitzen müssten die Anleger immer dann, wenn Analysten eng mit der Handels- oder Mergers&Akquisitions-Abteilung ihres Instituts verbandelt seien. „Die gesamte Analystenzunft ist durch solche Verquickungen ins Gerede gekommen“, so Kurz. Er wolle damit aber nicht alte Verschwörungstheorien pflegen, betont er.
Solche Verquickungen sind vor allem durch die so genannten „Buy-Side-Analysten“ und „Sell-Side-Analysten“ möglich: Erstere arbeiten im Dienste von Fondsgesellschaften, die Aktien in ihr Depot aufnehmen wollen (buy). Letztere arbeiten hauptsächlich für Banken und Investmenthäuser, wo sie eng mit den jeweiligen Kollegen vom Aktienhandel zusammenarbeiten (Sell). Der Gesetzgeber hat erkannt, dass die Trennung beider Bereiche wichtig für die Glaubwürdigkeit der Investmentberatung ist. Deshalb schreibt das Wertpapiergesetz vor, dass Research und Asset Management klar voneinander getrennt geführt werden müssen.
Ein besonderer Dorn im Auge ist Anlegerschützer Kurz vor allem die Verbreitung von Kurszielen. Ein guter Analyst kenne die Marktstellung eines Unternehmens, er wisse, wie sensibel ein Unternehmen auf Zinsentwicklungen reagiert und ob es Preisdruck durch die Konkurrenz gebe. „Er weiß aber nicht, wie der Kurs in X Monaten aussehen wird“, betont Kurz. Nichts anderes hat jahrelang auch der bekannte Aktienpapst André Kostolany gepredigt: „Glauben Sie dem Guru nicht, egal, was er verspricht“, war sein Motto.
Wertende Analysen hält Kurz ohnehin für wenig verlässlich, entscheidend seien die fundamentalen Analysen zur Marktstellung eines Unternehmens. Für die Anleger bedeute dies, sich „nicht Aktien zuzulegen, wenn ein Kollege am Kopierer von Kurszielen geschwärmt hat.“ Kurz’ Empfehlung lautet daher: „Gerade im Neuen Markt müssen die Anleger ihre eigenen Analysten sein – um diese Arbeit kommen sie nicht herum.“
Empfehlungen führen zu Transaktionen
Für Theo Kitz, Technologie- und Telekomspezialist beim Münchener Bankhaus Merck Finck & Co. ist eine Analysten-Kapriole wie die oben erwähnte Salomon-Verkaufsempfehlung für SAP ein typisches Beispiel der amerikanischen Investmentkultur. „Amerikaner sind schon immer aggressiver bei ihren Anlagebewertungen gewesen, entweder übertrieben positiv oder übertrieben negativ.“
Der dahinter stehende Zweck sei doch nicht so schwer zu erkennen: „Es geht natürlich auch darum, Geschäfte zu generieren“. Salomon zum Beispiel habe rund 200 gut dotierte Analysten. „Die müssen sich ab und zu eine Story ausdenken, gute Gründe dafür finden sie sicher immer.“ Auch die Neigung zur Abgabe von Kurszielen sei in den USA verbreiteter als in Europa.
In Europa, so Kitz, herrsche dagegen ein gemäßigterer Tenor in den Analysen vor. Er weist darauf hin, dass sein Haus generell keine Kursziele und auch keine absoluten Empfehlungen abgebe. Es sei eben ein prinzipieller Unterschied, ob eine eindeutige „Kaufempfehlung“ abgegeben werde, oder ob ein Unternehmen als „Outperformer“ bezeichnet werde, der im Vergleich zum Rest des Marktsegmentes voraussichtlich besser abschneide.
Friederike Herkommer, Software-Analystin bei der HypoVereinsbank in München, sieht als Hauptgrund für die auseinanderdriftenden Empfehlungen der Analysten unterschiedliche Bewertungskriterien. "Das Gesamtszenario für den Markt ist bei jedem Kollegen unterschiedlich." Unterschiedliche Traditionen in den USA und in Europa gebe es schon, doch von Übertreibungen bei ihren US-Kollegen wolle sie nicht reden.
Den jüngst erlebten massiven Ausstieg der US-Fonds zum Jahresende erklärt sie mit einem klassischen "window dressing". Die Strategie der Fonds sei es, durch einen solchen Ausstieg zum Teil noch Gewinne zu realisieren und dann auf niedrigerem Niveau wieder einzusteigen.
Nach einer abgeschlossenen Bodenbildung sollte es im neuen Jahr wieder bergauf gehen, macht sie den gebeutelten Anlegern Mut. "Dann ist der Technologiesektor mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten auch wieder besonders interessant", so Herkommer. Und SAP, da ist sich die Analystin sicher, werde ihre Einschätzung als "Outperformer" nachhaltig unter Beweis stellen.
mik/jag
Gruß dZdM
01/12/2000
Michael Knauer
Frankfurt (GLBN) – Analysten haben Hochkonjunktur –und Analystenschelte nicht minder. Vor allem die wachsende Schar der Privatanleger sucht Orientierung im Börsendschungel, erst Recht in den derzeit unruhigen Zeiten. Für viele Aktienbesitzer sind Analysten Ortskundige, die auch im dichtesten Wald noch sicher ans Ziel finden.
Doch so mancher Anleger hat in jüngerer Zeit im Vertrauen auf die prophetischen Gaben eines Experten sein Geld pulverisiert und fragt sich nun, wie ernst man die Analysten noch nehmen kann. Studien haben gezeigt, dass Analysten weitaus häufiger zum Kauf einer Aktie raten als zum Verkauf. Mit der Börsenrealität hat dies aber nicht viel zu tun.
In dieser Woche bot sich den Anlegern ein neues Beispiel für das Stirnrunzeln, das Expertenempfehlungen auslösen können. Das renommierte US-Investmenthaus Schroder Salomon Smith Barney reduzierte sein Kursziel für die SAP Vorzugsaktie von 175 auf 125 Euro. Wie so oft zogen die Analysten der zweiten Reihe prompt hinterher: Der „Aktionärsbrief“ zum Beispiel erklärte nach dem Votum von Salomon, ein weiterer Kursrutsch der SAP-Aktie sei nicht auszuschließen.
Wem solche „Analysen“ zu düster erschienen, der konnte sich in der abgelaufenen Woche auch andere Stimmen zu Gemüte führen: So prophezeiten zum Beispiel die Experten der WestLB genau das Gegenteil: Das Kursziel bleibe bei 280 Euro, die Beurteilung ebenfalls auf der Bewertung als "Outperformer", hieß es. Auch die Analysten der Investmentbank Lehman Brothers hielten in einer aktuellen Bewertung an einem imposanten Kursziel fest: 255 und 295 Euro trauen sie der Aktie weiterhin zu.
Tja, was nun, rauf oder runter, rein oder raus, fragt sich der geneigte Anleger. Der Verdacht ist nicht neu, dass manche Analysten Bewertungsgründe in ihre Studien einfließen lassen, die nichts mit dem untersuchten Unternehmen zu tun haben.
Viele Neulinge sitzen auf derben Verlusten
Vor allem jene unerfahrenen Anleger in Deutschland, die in diesem Jahr zum ersten Mal Aktien kauften, stellen sich solche Fragen. Wie eine aktuelle Umfrage des Forsa-Institus zu Tage förderte, zeichneten in den vergangenen zwölf Monaten sage und schreibe 71 Prozent aller Westdeutschen die eine oder andere Aktie (mehr).
Viele dieser Neu-Börsianer sitzen aber am Ende des Jahres nicht auf den erhofften Riesengewinnen, sondern auf derben Verlusten. Seit März haben viele Titel am Neuen Markt 50, 60 oder gar 80 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Sein Traumhoch hatte der Nemax All Share am 10. März bei 8559,32 Punkten – inzwischen kratzt er bedenklich nahe an der Schwelle von 3000 Zählern.
Paradebeispiel EM.TV
Ein Paradebeispiel für die Deutungskünste mancher Analysten ist die missliche Lage des einst umjubelten Medienstar am Neuen Markt, EM.TV (mehr). So empfahlen die Experten von Hornblower Fischer die Aktein des Filmvermarkters am 22. Februar zum Kauf. Damals hatte EM.TV ein sagenhaft hohes KGV von 110. Dies sei zwar „nicht mehr billig“, räumten die Analysten von Hornblower Fischer damals ein, dennoch waren sie überzeugt, „dass die Bewertung aufgrund der exzellenten Wachstumsperspektiven gerechtfertigt sei.“
Auch die Experten des Bankhauses Salomon Oppenheim empfahlen EM.TV am 11. Februar erneut zum Kauf. Diese Empfehlung wurde fast punktgenau an jenem Tag ausgesprochen, an dem die Aktie ihr absolutes Jahreshoch bei 119,50 Euro erreichte. 15,95 Euro am Freitag sprechen da eine deutliche Sprache - der Kursverlust betrug seit der Kaufempfehlung somit mehr als 86 Prozent.
Von Buy-Side- und Sell-Side-Analysten
Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz in Düsseldorf betrachtet die Empfehlungen der Analysten generell mit wachsamen Augen. „Unbeeinflusste Meinungen am Markt sind immer schwieriger zu finden“, formuliert er vorsichtig. Die Ohren besonders spitzen müssten die Anleger immer dann, wenn Analysten eng mit der Handels- oder Mergers&Akquisitions-Abteilung ihres Instituts verbandelt seien. „Die gesamte Analystenzunft ist durch solche Verquickungen ins Gerede gekommen“, so Kurz. Er wolle damit aber nicht alte Verschwörungstheorien pflegen, betont er.
Solche Verquickungen sind vor allem durch die so genannten „Buy-Side-Analysten“ und „Sell-Side-Analysten“ möglich: Erstere arbeiten im Dienste von Fondsgesellschaften, die Aktien in ihr Depot aufnehmen wollen (buy). Letztere arbeiten hauptsächlich für Banken und Investmenthäuser, wo sie eng mit den jeweiligen Kollegen vom Aktienhandel zusammenarbeiten (Sell). Der Gesetzgeber hat erkannt, dass die Trennung beider Bereiche wichtig für die Glaubwürdigkeit der Investmentberatung ist. Deshalb schreibt das Wertpapiergesetz vor, dass Research und Asset Management klar voneinander getrennt geführt werden müssen.
Ein besonderer Dorn im Auge ist Anlegerschützer Kurz vor allem die Verbreitung von Kurszielen. Ein guter Analyst kenne die Marktstellung eines Unternehmens, er wisse, wie sensibel ein Unternehmen auf Zinsentwicklungen reagiert und ob es Preisdruck durch die Konkurrenz gebe. „Er weiß aber nicht, wie der Kurs in X Monaten aussehen wird“, betont Kurz. Nichts anderes hat jahrelang auch der bekannte Aktienpapst André Kostolany gepredigt: „Glauben Sie dem Guru nicht, egal, was er verspricht“, war sein Motto.
Wertende Analysen hält Kurz ohnehin für wenig verlässlich, entscheidend seien die fundamentalen Analysen zur Marktstellung eines Unternehmens. Für die Anleger bedeute dies, sich „nicht Aktien zuzulegen, wenn ein Kollege am Kopierer von Kurszielen geschwärmt hat.“ Kurz’ Empfehlung lautet daher: „Gerade im Neuen Markt müssen die Anleger ihre eigenen Analysten sein – um diese Arbeit kommen sie nicht herum.“
Empfehlungen führen zu Transaktionen
Für Theo Kitz, Technologie- und Telekomspezialist beim Münchener Bankhaus Merck Finck & Co. ist eine Analysten-Kapriole wie die oben erwähnte Salomon-Verkaufsempfehlung für SAP ein typisches Beispiel der amerikanischen Investmentkultur. „Amerikaner sind schon immer aggressiver bei ihren Anlagebewertungen gewesen, entweder übertrieben positiv oder übertrieben negativ.“
Der dahinter stehende Zweck sei doch nicht so schwer zu erkennen: „Es geht natürlich auch darum, Geschäfte zu generieren“. Salomon zum Beispiel habe rund 200 gut dotierte Analysten. „Die müssen sich ab und zu eine Story ausdenken, gute Gründe dafür finden sie sicher immer.“ Auch die Neigung zur Abgabe von Kurszielen sei in den USA verbreiteter als in Europa.
In Europa, so Kitz, herrsche dagegen ein gemäßigterer Tenor in den Analysen vor. Er weist darauf hin, dass sein Haus generell keine Kursziele und auch keine absoluten Empfehlungen abgebe. Es sei eben ein prinzipieller Unterschied, ob eine eindeutige „Kaufempfehlung“ abgegeben werde, oder ob ein Unternehmen als „Outperformer“ bezeichnet werde, der im Vergleich zum Rest des Marktsegmentes voraussichtlich besser abschneide.
Friederike Herkommer, Software-Analystin bei der HypoVereinsbank in München, sieht als Hauptgrund für die auseinanderdriftenden Empfehlungen der Analysten unterschiedliche Bewertungskriterien. "Das Gesamtszenario für den Markt ist bei jedem Kollegen unterschiedlich." Unterschiedliche Traditionen in den USA und in Europa gebe es schon, doch von Übertreibungen bei ihren US-Kollegen wolle sie nicht reden.
Den jüngst erlebten massiven Ausstieg der US-Fonds zum Jahresende erklärt sie mit einem klassischen "window dressing". Die Strategie der Fonds sei es, durch einen solchen Ausstieg zum Teil noch Gewinne zu realisieren und dann auf niedrigerem Niveau wieder einzusteigen.
Nach einer abgeschlossenen Bodenbildung sollte es im neuen Jahr wieder bergauf gehen, macht sie den gebeutelten Anlegern Mut. "Dann ist der Technologiesektor mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten auch wieder besonders interessant", so Herkommer. Und SAP, da ist sich die Analystin sicher, werde ihre Einschätzung als "Outperformer" nachhaltig unter Beweis stellen.
mik/jag
Gruß dZdM