Roulette oder Sparstrumpf - Geplatze Träume
Im Silicon Valley, der Wiege der New Economy, herrscht eine düstere Stimmung. Hunderte von Start-ups sind pleite, viele der einst hoch bezahlten Mitarbeiter landen auf der Straße.
Es begann an einem festlichen Abend auf Treasure Island, der Schatzinsel in der Bucht vor San Francisco. Mit dem Traum von einer strahlenden Zukunft, rauschenden Festen, Essen und Trinken vom feinsten, wie im Schlaraffenland – und alles war kostenlos. Alle feierten - das Internet, den Reichtum, und vor allem sich selbst.
Junge Frauen, frisch aus dem College, konnten 150 000 Dollar im Jahr verdienen, indem sie Platz für Werbung auf einer Website verkauften. Viele kassierten eine Prämie von einem Jahresgehalt nur dafür, dass sie einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Alle durften träumen von der Frührente als Millionär in den Sonnenparadiesen dieser Erde.
Dieses Märchen aus dem Silicon Valley geht gerade zu Ende und überhaupt nicht verträumt. Die vermutlich schnellste Ernüchterung der Wirtschaftsgeschichte begann vor genau einem Jahr. Im März hatte die US-Technologiebörse Nasdaq kurz die unglaubliche Höhe von 5000 Punkten überschritten - um von da an in unendliche Tiefen zu stürzen. Jüngster Stand: 1929, minus 62%.
Mit der Nasdaq fielen der deutsche Nemax, der Standardwert-Index Dax und auch der US-Indizes Dow Jones, bis vorige Woche regelrecht Panik an den Börsen herrschte. Täglich trieben die Zuckungen der Märkte den Brokern und Investoren das Adrenalin ins Blut. Am Donnerstag Nachmittag spielte die Wall Street endgültig verrückt: Am Ende lag der Dow Jones 20% unter dem Höchststand des vergangenen Jahres.
In dem einen Jahr, in dem die Nasdaq immer aufs Neue nach unten sackte, haben sich 3,5 Billionen Dollar Papiervermögen verflüchtigt. 322 Internet-Firmen sind verschwunden, die Hälfte davon allein in den vergangenen drei Monaten. In nur zwölf Monaten starb der Traum des Techno-Landes Silicon Valley. Seit Anfang des Jahres haben dort 50 Firmen mindestens 6000 Leute gefeuert. Nachlassverwalter zerren Rechner, Billardtische und coole Aeron-Bürostühle aus den glasschimmernden Palästen der Dot.com-Firmenzentralen in San Francisco. An den Fassaden blähen sich still die Transparente: "Space for lease", Flächen zu vermieten. Parklücken klaffen, wo vorher Luxusschlitten zu bewundern waren.
Eine Ewigkeit scheint es her, dass all die jungen Papier-Millionäre zur Party nach Treasure Island pilgerten, um dort nach 20jährigen Internet-Girls mit kompatiblem Aktienpaket im Handtäschchen zu haschen. Vorbei die Zeit, als die Gründer sich voller Euphorie über Pläne zum Erwerb eines Firmenjets austauschten. Leasen? Oder gleich kaufen? Das war hier die einzige Frage die im Raum stand.
Feten gibt es immer noch, in San Francisco wie im nahen Silicon Valley, und die Frauen stehen da wie früher und trinken ihren Cosmopolitan-Cocktail. Aber inzwischen heißen die Feste "Pink Slip Party", benannt nach rosafarbenen Kündigungs-schreiben. Und die Handtaschen müssen groß genug sein, um mehrere Kopien des Lebenslaufs und Bewerbungsschreibens knickfrei transportieren zu können. Denn auf den Partys tummeln sich jetzt mehr Arbeitslose als angehende Millionäre. Die Aktienoptionen, mit denen Ex-Arbeitgeber, einst das Gehalt versüßt hatte, habe ihren Wert verloren, der Traum ist zu Ende gegangen.
Yahoo, Amazon, EBay oder AOL von Stephen Case, auch die Sprinter der New Economy sind ins Stolpern geraten. Selbst die Technologie-Konzerne, die lange als immun galten, haben mittlerweile Gewinnwarnungen herausgegeben. Cisco-Chef John Chambers leidet ebenso wie seine Kollegin bei Hewlett-Packard, Carly Fiorina. Zusammen sind Microsoft, Intel, Cisco, Oracle und JDS Uniphase inzwischen über eine Billion Dollar weniger wert als im vorigen März. Das ist rund zehnmal so viel wie das Kapital, das in sämtliche US-Neuemissionen im vorigen Jahr gesteckt wurde.
Noch diskutieren die Ökonomen, ob der Niedergang der Technologiewerte den Abwärtstrend der gesamten Wirtschaft ausgelöst hat - oder umgekehrt. Wie auch immer das Drama ausgeht - die Nasdaq hat der Traum vom Wachstum ohne Ende und Reichtum für alle mit in die Tiefe gerissen.
Dabei fing alles so schön an: 1995 mit dem legendären Börsengang von Marc Andreessens und Jim Clarks Firma Netscape, deren Aktien am ersten Handelstag vom ohnehin hohen Emissionspreis, 28 Dollar, auf unfassbare 58 Dollar stiegen. Damit pushten die Investoren das umsatzschwache Start-up - von Profiten ganz zu schweigen - auf einen Marktwert von über 2,3 Milliarden Dollar. Der Funke, der aus Netscapes Raketenstart sprang, entzündete einen weltweiten Boom. Leute wie Tim Draper, Partner in einer der einflussreichsten Wagniskapitalfirmen des Silicon Valley, heizten ihn mit Sprüchen an: "Das Internet ist die großartigste Revolution in der Weltgeschichte." Gründer wie Jerry Yang und Jeff Bezos wurden zu weltweiten Idolen. Die Nasdaq und dann der Neue Markt in Deutschland verzauberten die konservative Welt der Börsen in eine Gameshow für jedermann.
Schließlich wimmelte es dort von abenteuerlustigen Jungunternehmern in Pulli und Jeans; jeder hatte die nächste großartige Idee, wie die Welt etwa mit einem Internet-Shop für Hundefutter zu verändern sei. Täglich wurden neue Träume vom „Big Deal“ geboren.
Taxifahrer, Teenager, Hausfrauen und Künstler in Amerika und Europa lernten die Börsenkürzel YHOO und AMZON auswendig, manch einer baute sich eine neue Existenz als Daytrader oder EBay-Auktionator auf. Es entstand ein Kapitalismus zum Mitmachen für alle. Er nannte sich: New Economy und funktionierte, zumindest eine Zeit lang, nach ganz neuen Regeln. Gewinne? Schlipse? Sparsamkeit? Das war die Old Economy.
Das Silicon Valley und seine sympathische Gründerkultur gaukelten vor, dass es auch anders geht. Die Start-ups zelebrierten die neuen flachen Hierarchien, indem der Bote mittags einen Vice President beim Tischfußball besiegte. Sie alle waren erfolgreich - denn von 1998 bis 2000 haben Investoren in den USA fast 117 Milliarden Dollar in 1155 Start-up-Börsengänge an der Nasdaq gesteckt. Das Risikokapital floss in einem immer breiteren Strom in die neuen Unternehmen. Im letzten Herbst waren es fast 7,3 Milliarden Dollar allein fürs Silicon Valley.
"Noch vor einem Jahr genügte eine Powerpoint-Präsentation, um 20 Millionen locker zu machen", erinnert sich François Xavier Nuttall, 36, Gründer des Start-ups Audiosoft. "Heute geht fast gar nichts mehr, die Geldhähne sind eingetrocknet." Nach Monaten vergeblicher Suche nach ebendiesen 20 Millionen Dollar hat Nuttall fast alle Mitarbeiter entlassen müssen und ist jetzt dabei, das Hauptquartier seiner Firma vom Valley ins schweizerische Genf zurückzuverlegen.
In den USA kündigen Web-Firmen beinahe täglich massenweise Entlassungen an. Das Branchenblatt "Industry Standard" hat auf seiner Website einen Kündigungszähler eingerichtet, dem zufolge im Schicksalsjahr von März bis März fast 73 000 Mitarbeiter aus US-Internet-Firmen gefeuert wurden. Allein im Januar landeten über 15 400 der so genannten Dotcommies auf der Straße.
B2C, einst das Zauberkürzel für den Verkauf von Waren übers Internet an Endkonsumenten, hat seinen Zauber verloren. Auch B2B ist wieder im Gespräch, aber diesmal als "Back to Business School", zurück zum Management-Studium.
Im Noe Valley, einem der begehrteren Wohngebiete in San Francisco, sind plötzlich wieder Häuser zu mieten. Noch vor einem Jahr musste ein Suchender Schlange stehen mit hundert Mitbewerbern. Es ging um karge Zwei-Zimmer-Wohnungen, die 2500 Dollar Miete kosten sollten. Wegen der Web-Kids, die Latinos und Künstler aus Teilen San Franciscos verdrängten, hatte sich bereits ein kleiner Bürgerkrieg zusammengebraut.
Im Valley war es unter den Neureichen üblich, für den Hauskauf die Aktienoptionen zu beleihen. Pech nur, wenn diese statt ursprünglich 6 Millionen plötzlich nur rund 400 000 Dollar wert sind - die Folge davon sind Notverkaufe. So kam es, dass ein schickes Haus mit Pool in Menlo Park, das damals für fünf Millionen Dollar an solch einen Papier-Krösus ging, kürzlich für die Hälfte auf den Markt geworfen wurde.
Auch die Vermieter von Büroflächen hatten sich lange an der Dot.com-Ära erfreut, denn die mit Investorengeld ausgestatteten Start-ups waren bereit, ein Vielfaches der bis dahin üblichen Miete in San Francisco zu zahlen. Gnadenlos flogen viele der traditionellen Geschäftsleute aus ihren Lagerhäusern und Büroetagen.
Die bisher überlebenden Internet-Firmen sind plötzlich sparsam. Sie geben kaum noch Geld für Marketing aus, für Partys schon gar nicht, auch nicht für Anzeigen. Vier der in San Francisco ansässigen Internet-Zeitschriften mussten inzwischen selber Leute entlassen. PR-Agenturen, aus dem Nichts gesprossen durch das Bestreben vieler Dot.coms, ganz schnell auf der ganzen Welt bekannt zu werden, machen reihenweise dicht.
In den USA gibt es keine Meldepflicht, daher lässt sich schwer messen, wie viele der gefeuerten Internet-Arbeiter das Silicon Valley tatsächlich verlassen. Wahrscheinlich ist aber, dass die, verbleibenden, ihr Geld fürs Erste zusammen halten. Zuerst sparen die Ex-Neureichen an der Luxuskarosse: Ferrari- und Porsche- Händler müssen auch den Gürtel enger schnallen.
Die Spirale verwirbelt sich womöglich doch noch zum Teufelskreis: Die Aussicht auf eine Rezession hält die Old Economy davon ab, in die Produkte von Software-Firmen und Web-Technologien zu investieren. Die verschreckten Privatinvestoren werden ohnehin nicht mehr ohne weiteres ihre Ersparnisse in dubiose Start-ups oder Risikofonds stecken. Das nächste Opfer auf dem Weg nach unten sind daher die Wagnisfinanzierer. Der einsame Börsengang einer der letzten Hoffnungsträger , hat bei seinem Börsengang vor zwei Wochen so wenig Geld eingespielt, dass allein eine der Wagniskapital-Firmen fast 12,8 Millionen Dollar verloren hat.
Auch die Analysten sind für das Desaster verantwortlich, die unschuldige Investoren zum Kauf der Aktien idiotischer Firmen berieten. Vor allem Analysten jener Banken, deren Investmentabteilungen wiederum die Dot.coms an die Börse gebracht haben. wie die Investmentbanken, Goldman Sachs, Credit Suisses First Boston, Merryll Lynch.
Die Investoren, die zu spät eingestiegen sind, werden den Löwenanteil der Zeche bezahlen müssen. Wenn man sich alle diese Tatsachen vor Augen hält, muss man sich über die derzeitige Korrektur und Konsolidierung der Märkte und Aktien, hin zu realen Kursen, nicht wundern. Der Traum vom schnellen Geld ist nach nur 2 Jahren zu Ende gegangen - die große Ernüchterung ist eingekehrt und die Phantasie wurde wertberichtigt - auf Kosten der gutgläubigen Anleger.
Börsengewinne wird es auch weiterhin geben, aber die Bäume werden so schnell nicht wieder in den Himmel wachsen. Man wird lernen müssen in "Werte" statt in Träume und Phantasien zu investieren. -KR-
www.smarthouse-media.de/news/news_detail.asp?NewsNr=38366
www.smarthouse-media.de/news/news_detail.asp?NewsNr=38365
Im Silicon Valley, der Wiege der New Economy, herrscht eine düstere Stimmung. Hunderte von Start-ups sind pleite, viele der einst hoch bezahlten Mitarbeiter landen auf der Straße.
Es begann an einem festlichen Abend auf Treasure Island, der Schatzinsel in der Bucht vor San Francisco. Mit dem Traum von einer strahlenden Zukunft, rauschenden Festen, Essen und Trinken vom feinsten, wie im Schlaraffenland – und alles war kostenlos. Alle feierten - das Internet, den Reichtum, und vor allem sich selbst.
Junge Frauen, frisch aus dem College, konnten 150 000 Dollar im Jahr verdienen, indem sie Platz für Werbung auf einer Website verkauften. Viele kassierten eine Prämie von einem Jahresgehalt nur dafür, dass sie einen Arbeitsvertrag unterschrieben. Alle durften träumen von der Frührente als Millionär in den Sonnenparadiesen dieser Erde.
Dieses Märchen aus dem Silicon Valley geht gerade zu Ende und überhaupt nicht verträumt. Die vermutlich schnellste Ernüchterung der Wirtschaftsgeschichte begann vor genau einem Jahr. Im März hatte die US-Technologiebörse Nasdaq kurz die unglaubliche Höhe von 5000 Punkten überschritten - um von da an in unendliche Tiefen zu stürzen. Jüngster Stand: 1929, minus 62%.
Mit der Nasdaq fielen der deutsche Nemax, der Standardwert-Index Dax und auch der US-Indizes Dow Jones, bis vorige Woche regelrecht Panik an den Börsen herrschte. Täglich trieben die Zuckungen der Märkte den Brokern und Investoren das Adrenalin ins Blut. Am Donnerstag Nachmittag spielte die Wall Street endgültig verrückt: Am Ende lag der Dow Jones 20% unter dem Höchststand des vergangenen Jahres.
In dem einen Jahr, in dem die Nasdaq immer aufs Neue nach unten sackte, haben sich 3,5 Billionen Dollar Papiervermögen verflüchtigt. 322 Internet-Firmen sind verschwunden, die Hälfte davon allein in den vergangenen drei Monaten. In nur zwölf Monaten starb der Traum des Techno-Landes Silicon Valley. Seit Anfang des Jahres haben dort 50 Firmen mindestens 6000 Leute gefeuert. Nachlassverwalter zerren Rechner, Billardtische und coole Aeron-Bürostühle aus den glasschimmernden Palästen der Dot.com-Firmenzentralen in San Francisco. An den Fassaden blähen sich still die Transparente: "Space for lease", Flächen zu vermieten. Parklücken klaffen, wo vorher Luxusschlitten zu bewundern waren.
Eine Ewigkeit scheint es her, dass all die jungen Papier-Millionäre zur Party nach Treasure Island pilgerten, um dort nach 20jährigen Internet-Girls mit kompatiblem Aktienpaket im Handtäschchen zu haschen. Vorbei die Zeit, als die Gründer sich voller Euphorie über Pläne zum Erwerb eines Firmenjets austauschten. Leasen? Oder gleich kaufen? Das war hier die einzige Frage die im Raum stand.
Feten gibt es immer noch, in San Francisco wie im nahen Silicon Valley, und die Frauen stehen da wie früher und trinken ihren Cosmopolitan-Cocktail. Aber inzwischen heißen die Feste "Pink Slip Party", benannt nach rosafarbenen Kündigungs-schreiben. Und die Handtaschen müssen groß genug sein, um mehrere Kopien des Lebenslaufs und Bewerbungsschreibens knickfrei transportieren zu können. Denn auf den Partys tummeln sich jetzt mehr Arbeitslose als angehende Millionäre. Die Aktienoptionen, mit denen Ex-Arbeitgeber, einst das Gehalt versüßt hatte, habe ihren Wert verloren, der Traum ist zu Ende gegangen.
Yahoo, Amazon, EBay oder AOL von Stephen Case, auch die Sprinter der New Economy sind ins Stolpern geraten. Selbst die Technologie-Konzerne, die lange als immun galten, haben mittlerweile Gewinnwarnungen herausgegeben. Cisco-Chef John Chambers leidet ebenso wie seine Kollegin bei Hewlett-Packard, Carly Fiorina. Zusammen sind Microsoft, Intel, Cisco, Oracle und JDS Uniphase inzwischen über eine Billion Dollar weniger wert als im vorigen März. Das ist rund zehnmal so viel wie das Kapital, das in sämtliche US-Neuemissionen im vorigen Jahr gesteckt wurde.
Noch diskutieren die Ökonomen, ob der Niedergang der Technologiewerte den Abwärtstrend der gesamten Wirtschaft ausgelöst hat - oder umgekehrt. Wie auch immer das Drama ausgeht - die Nasdaq hat der Traum vom Wachstum ohne Ende und Reichtum für alle mit in die Tiefe gerissen.
Dabei fing alles so schön an: 1995 mit dem legendären Börsengang von Marc Andreessens und Jim Clarks Firma Netscape, deren Aktien am ersten Handelstag vom ohnehin hohen Emissionspreis, 28 Dollar, auf unfassbare 58 Dollar stiegen. Damit pushten die Investoren das umsatzschwache Start-up - von Profiten ganz zu schweigen - auf einen Marktwert von über 2,3 Milliarden Dollar. Der Funke, der aus Netscapes Raketenstart sprang, entzündete einen weltweiten Boom. Leute wie Tim Draper, Partner in einer der einflussreichsten Wagniskapitalfirmen des Silicon Valley, heizten ihn mit Sprüchen an: "Das Internet ist die großartigste Revolution in der Weltgeschichte." Gründer wie Jerry Yang und Jeff Bezos wurden zu weltweiten Idolen. Die Nasdaq und dann der Neue Markt in Deutschland verzauberten die konservative Welt der Börsen in eine Gameshow für jedermann.
Schließlich wimmelte es dort von abenteuerlustigen Jungunternehmern in Pulli und Jeans; jeder hatte die nächste großartige Idee, wie die Welt etwa mit einem Internet-Shop für Hundefutter zu verändern sei. Täglich wurden neue Träume vom „Big Deal“ geboren.
Taxifahrer, Teenager, Hausfrauen und Künstler in Amerika und Europa lernten die Börsenkürzel YHOO und AMZON auswendig, manch einer baute sich eine neue Existenz als Daytrader oder EBay-Auktionator auf. Es entstand ein Kapitalismus zum Mitmachen für alle. Er nannte sich: New Economy und funktionierte, zumindest eine Zeit lang, nach ganz neuen Regeln. Gewinne? Schlipse? Sparsamkeit? Das war die Old Economy.
Das Silicon Valley und seine sympathische Gründerkultur gaukelten vor, dass es auch anders geht. Die Start-ups zelebrierten die neuen flachen Hierarchien, indem der Bote mittags einen Vice President beim Tischfußball besiegte. Sie alle waren erfolgreich - denn von 1998 bis 2000 haben Investoren in den USA fast 117 Milliarden Dollar in 1155 Start-up-Börsengänge an der Nasdaq gesteckt. Das Risikokapital floss in einem immer breiteren Strom in die neuen Unternehmen. Im letzten Herbst waren es fast 7,3 Milliarden Dollar allein fürs Silicon Valley.
"Noch vor einem Jahr genügte eine Powerpoint-Präsentation, um 20 Millionen locker zu machen", erinnert sich François Xavier Nuttall, 36, Gründer des Start-ups Audiosoft. "Heute geht fast gar nichts mehr, die Geldhähne sind eingetrocknet." Nach Monaten vergeblicher Suche nach ebendiesen 20 Millionen Dollar hat Nuttall fast alle Mitarbeiter entlassen müssen und ist jetzt dabei, das Hauptquartier seiner Firma vom Valley ins schweizerische Genf zurückzuverlegen.
In den USA kündigen Web-Firmen beinahe täglich massenweise Entlassungen an. Das Branchenblatt "Industry Standard" hat auf seiner Website einen Kündigungszähler eingerichtet, dem zufolge im Schicksalsjahr von März bis März fast 73 000 Mitarbeiter aus US-Internet-Firmen gefeuert wurden. Allein im Januar landeten über 15 400 der so genannten Dotcommies auf der Straße.
B2C, einst das Zauberkürzel für den Verkauf von Waren übers Internet an Endkonsumenten, hat seinen Zauber verloren. Auch B2B ist wieder im Gespräch, aber diesmal als "Back to Business School", zurück zum Management-Studium.
Im Noe Valley, einem der begehrteren Wohngebiete in San Francisco, sind plötzlich wieder Häuser zu mieten. Noch vor einem Jahr musste ein Suchender Schlange stehen mit hundert Mitbewerbern. Es ging um karge Zwei-Zimmer-Wohnungen, die 2500 Dollar Miete kosten sollten. Wegen der Web-Kids, die Latinos und Künstler aus Teilen San Franciscos verdrängten, hatte sich bereits ein kleiner Bürgerkrieg zusammengebraut.
Im Valley war es unter den Neureichen üblich, für den Hauskauf die Aktienoptionen zu beleihen. Pech nur, wenn diese statt ursprünglich 6 Millionen plötzlich nur rund 400 000 Dollar wert sind - die Folge davon sind Notverkaufe. So kam es, dass ein schickes Haus mit Pool in Menlo Park, das damals für fünf Millionen Dollar an solch einen Papier-Krösus ging, kürzlich für die Hälfte auf den Markt geworfen wurde.
Auch die Vermieter von Büroflächen hatten sich lange an der Dot.com-Ära erfreut, denn die mit Investorengeld ausgestatteten Start-ups waren bereit, ein Vielfaches der bis dahin üblichen Miete in San Francisco zu zahlen. Gnadenlos flogen viele der traditionellen Geschäftsleute aus ihren Lagerhäusern und Büroetagen.
Die bisher überlebenden Internet-Firmen sind plötzlich sparsam. Sie geben kaum noch Geld für Marketing aus, für Partys schon gar nicht, auch nicht für Anzeigen. Vier der in San Francisco ansässigen Internet-Zeitschriften mussten inzwischen selber Leute entlassen. PR-Agenturen, aus dem Nichts gesprossen durch das Bestreben vieler Dot.coms, ganz schnell auf der ganzen Welt bekannt zu werden, machen reihenweise dicht.
In den USA gibt es keine Meldepflicht, daher lässt sich schwer messen, wie viele der gefeuerten Internet-Arbeiter das Silicon Valley tatsächlich verlassen. Wahrscheinlich ist aber, dass die, verbleibenden, ihr Geld fürs Erste zusammen halten. Zuerst sparen die Ex-Neureichen an der Luxuskarosse: Ferrari- und Porsche- Händler müssen auch den Gürtel enger schnallen.
Die Spirale verwirbelt sich womöglich doch noch zum Teufelskreis: Die Aussicht auf eine Rezession hält die Old Economy davon ab, in die Produkte von Software-Firmen und Web-Technologien zu investieren. Die verschreckten Privatinvestoren werden ohnehin nicht mehr ohne weiteres ihre Ersparnisse in dubiose Start-ups oder Risikofonds stecken. Das nächste Opfer auf dem Weg nach unten sind daher die Wagnisfinanzierer. Der einsame Börsengang einer der letzten Hoffnungsträger , hat bei seinem Börsengang vor zwei Wochen so wenig Geld eingespielt, dass allein eine der Wagniskapital-Firmen fast 12,8 Millionen Dollar verloren hat.
Auch die Analysten sind für das Desaster verantwortlich, die unschuldige Investoren zum Kauf der Aktien idiotischer Firmen berieten. Vor allem Analysten jener Banken, deren Investmentabteilungen wiederum die Dot.coms an die Börse gebracht haben. wie die Investmentbanken, Goldman Sachs, Credit Suisses First Boston, Merryll Lynch.
Die Investoren, die zu spät eingestiegen sind, werden den Löwenanteil der Zeche bezahlen müssen. Wenn man sich alle diese Tatsachen vor Augen hält, muss man sich über die derzeitige Korrektur und Konsolidierung der Märkte und Aktien, hin zu realen Kursen, nicht wundern. Der Traum vom schnellen Geld ist nach nur 2 Jahren zu Ende gegangen - die große Ernüchterung ist eingekehrt und die Phantasie wurde wertberichtigt - auf Kosten der gutgläubigen Anleger.
Börsengewinne wird es auch weiterhin geben, aber die Bäume werden so schnell nicht wieder in den Himmel wachsen. Man wird lernen müssen in "Werte" statt in Träume und Phantasien zu investieren. -KR-
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