Online-Broker: Ein Spezialist für schnelle Finger
Von Günter Heismann, Frankfurt
Bei den deutschen Online-Brokern ist das Minuszeichen beinahe schon ein Statussymbol. Ob Comdirekt, Consors oder Direkt Anlage Bank - sie alle melden derzeit nichts als Verluste.
Die Düsseldorfer Sino jedoch macht mit virtuellem Wertpapierhandel prächtige Gewinne. Im Geschäftsjahr 1999/2000 erwirtschaftete die Firma einen Umsatz von 8,8 Mio. Euro und wies dabei einen Jahresüberschuss von 3,5 Mio. Euro aus. In der laufenden Rechnungsperiode, sie begann am 1. Oktober, will Sino ähnlich hohe Erlöse und Gewinne erzielen, sagte der Vorstandsvorsitzende Ingo Hillen im Gespräch mit der Financial Times Deutschland.
Wie schafft eine Firma eine Umsatzrendite von bis zu vierzig Prozent, wenn die Konkurrenten durchweg Verluste machen? Sino hat sich auf eine kleine, wenn auch nicht immer ganz feine Klientel spezialisiert: Daytrader, die den ganzen Tag am Computer mit Aktien handeln und dabei auch eine weithin verpönte Variante des Wertpapierhandels praktizieren, das Short Selling, den Leerverkauf von Aktien.
Heaviest der Heavy Trader
Gerade einmal 116 Kunden zählte Sino Ende Mai. Die aber setzten in diesem Monat exakt 550 Mio. Euro um. Im Jahr 2000 betrug der Umsatz, den die Sino-Kunden mit Aktienhandel erzielten, 4 Mrd. Euro. "Wir haben die Heaviest der Heavy Trader", sagt Sino-Chef Hillen. "Der Pro-Kopf-Umsatz ist bei uns 270 Mal so hoch wie bei Comdirekt, Consors oder der Direkt Anlage Bank."
Offenbar braucht es starke, junge Nerven, um pro Tag für mehrere Hunderttausende, ja Millionen Euro Aktien zu kaufen und wieder abzustoßen. Die Sino-Kunden sind, Chef Hillen hat es genau ausgerechnet, im Schnitt gerade einmal 24 Jahre alt. Viele haben Banker oder Börsenmakler gelernt, gaben ihren Beruf jedoch auf, um sich ganz aufs Zocken zu verlegen.
Sino-Chef Hillen (30) hat einen ganz ähnlichen Berufsweg wie seine Klienten hinter sich. 1990 begann er eine Ausbildung bei der Deutschen Bank, wechselte 1992 als Wertpapierhändler zu Hornblower Fischer und ging vier Jahre später zu Schröder, Münchmeyer, Hengst.
Die Idee zu seiner Schnellfinger-Firma kam dem Jungunternehmer im Januar 1998 beim Skifahren. Im amerikanischen Squaw Valley hatten sich 600 Aktienhändler aus aller Welt zu ihrem jährlichen Treffen eingefunden. Schnell fand Hillen einen Teilhaber für sein Startup: Matthias Hocke, heute 30, den er bereits von der Deutschen Bank kannte. Im Frühjahr 1998 wurde Sino ins Leben gerufen.
Banklizenz
Allein - das Startup hatte keine Banklizenz, eine unabdingbare Vor-aussetzung für Aktienhandel. Eine Frankfurter Brokerfirma stellte den Kontakt zur Düsseldorfer Privatbank HSBC Trinkaus & Burkhardt her. Das angesehene Institut erklärte sich bereit, die Bank im Hintergrund für die hurtigen Geschäfte der Sino zu spielen, deren Kunden ihre Depots bei HSBC Trinkaus & Burkhardt führen. Die Mindesteinlage beträgt 100.000 Euro. Für ihre Dienste kassiert die Bank eine Gebühr von etwa 0,13 bis 0,14 Prozent am Aktienumsatz.
Die Rechtsexperten von Trinkaus & Burkhardt sind Hillen ebenfalls behilflich. Sino bietet als so ziemlich einziger Broker in Deutschland Leerverkäufe an: Die Kunden handeln mit Aktien, die ihnen gar nicht gehören, in der Hoffnung, dass die Kurse fallen, und sie die Papiere billiger einkaufen können als sie sie zuvor verkauft haben. Diese Short Seller bewegen sich in Deutschland in einer juristischen Grauzone.
Bislang sind Leerverkäufe nur innerhalb eines Tages möglich: Spätestens um 23.00 Uhr müssen die offenen Positionen glatt gestellt sein. Ende Juni will Sino auch Overnight-Leerverkäufe mit mehreren Tagen Laufzeit anbieten. An den Feinheiten des Angebots basteln die Juristen von HSBC Trinkaus & Burkhardt.
In seiner Zockernische sieht Hillen noch Raum für Wachstum. Ganz ohne Marketing, nur mit Mund-zu-Mund-Propaganda, hofft er, bis Ende 2002 die Kundenzahl auf annähernd 500 vervierfachen zu können.
Bis zu diesem Zeitpunkt will Hillen seine Brokerbude in eine vollgültige Bank verwandeln. Dazu braucht er als Mindestvoraussetzung ein Eigenkapital von 5 Mio. Euro. Derzeit sind es, trotz kräftiger Aufstockung aus thesaurierten Gewinnen, erst 1,65 Mio. Euro. Wenn seine Kunden, von denen angeblich die Wenigsten jemals schwere Verluste gemacht haben, weiter so heftig handeln wie bisher, wird Hillen die fehlenden Millionen gewiss bald zusammen haben.
© 2001 Financial Times Deutschland