nur für ymehl, und sonstige Chaoten:

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nur für ymehl, und sonstige Chaoten:

 
15.10.02 17:31
Vor fast zehn Jahren starb Karl Koch einen mysteriösen Tod. Für die Öffentlichkeit war er der skrupellose jugendliche KGB-Spion und drogensüchtige Computer-Hacker aus Hannover. Jetzt rekonstruiert der Kinofilm "23" den Menschen Karl Koch

Auf den Spuren einer Legende

Vielleicht war es so etwas wie sein letzter Wille: eine Legende zu werden. Karl Koch hatte einst verkündet, kein Geheimdienst könne sich noch erlauben, ihn umzubringen, denn er sei inzwischen so bekannt, daß ein gewaltsamer Tod ihn zum Märtyrer für Abrüstung und Informationsfreiheit machen würde. Sein Tod war gewaltsam - ob es wirklich "nur" ein Selbstmord war, wird vermutlich niemals endgültig geklärt werden - ein Märtyrer ist er trotzdem nicht geworden. Aber eine Legende und jetzt auch eine Filmfigur.

"... engagiert und eher konservativ gekleidet"

Wer sich Karl Koch, seinem Leben und seinen Motiven nähern will, hat einen langen Weg vor sich. Auf der ersten Etappe erfährt er die üblichen Fakten, bekommt die ersten groben Eindrücke: Geboren am 22. Juli 1965 in Hannover, muß Karl als Kind erleben, wie seine Mutter langsam an Krebs stirbt; der Vater, Redakteur der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, erliegt Jahre später der gleichen Krankheit. Seine ältere Schwester versucht mehrfach, sich das Leben zu nehmen. Bis zur elften Klasse besucht Karl die IGS Roderbruch, wo er als guter, "eher konservativ gekleideter" und ungewöhnlich engagierter Schüler in Erinnerung bleibt. Im letzten Jahr dort läßt er sich beurlauben, um sich ganz seinen Aufgaben als Schülersprecher, Mitglied im Landesschülerrat und vieler anderer Gremien und als Herausgeber mehrer Schülerzeitungen zu widmen. Er ist politisch aktiv, kämpft gegen Faschismus und engagiert sich in der Anti-AKW-Bewegung. Erstmals nutzt er Computer.

"... konsumierte Haschisch und LSD in großen Mengen"

Für den Anfang vom Ende wählt das Oberlandesgericht Celle in seinem Urteil gegen die Hacker - nach Karls Tod gesprochen - diese Worte: "Bereits während seiner Schulzeit war er in einem solchen Ausmaß betäubungsmittelabhängig geworden, daß er über längere Zeit die Schule nicht besuchen konnte. Er konsumierte Haschisch und LSD in großen Mengen, später auch Kokain. Eine Berufsausbildung hatte er nicht absolviert, jedoch hatte er sich Kenntnisse des Umgangs mit Computern und des "Hackens" erworben."

Auch für Karls große Inspiration findet der Richter Worte: "Er war stark beeinflußt durch das Buch "lluminatus" des Autors Robert Anton Wilson. Der Held dieses Buches, "Hagbard Celine", rettet von seinem Goldenen Unterseeboot aus die Menschheit vor der Verschwörung von auf Weltbeherrschung gerichteten Computermächten und ist selbst in der Lage, die Welt durch Beherrschung der Computer zu kontrollieren."

Karl nennt sich beim Hacken nach seinem Vorbild "Hagbard". 1986 beschließen er und vier Bekannte, daß sie ihr Können zu Geld machen wollen. Im Sinne der Informationsfreiheit - das ist Karls Rechtfertigung - brechen sie in die Rechenzentren großer Institutionen und Militäreinrichtungen der USA ein, klauen dort Daten und verkaufen sie an den KGB. Karl leidet an Verfolgungswahn und läßt sich mehrfach in Landeskrankenhäuser einweisen. Illegale Drogen werden von starken Psychopharmaka abgelöst. Im Juli 1988 offenbart er sich dem Verfassungsschutz und wird in den folgenden Monaten tagelang verhört. Am 23. Mai des folgenden Jahres, 23 Jahre alt, verläßt er seinen Arbeitsplatz und kommt nicht mehr zurück. Die "23" gilt in den Illuminatengeschichten als magische Zahl und Todesdatum "aller großen Anarchisten". Seine verbrannte Leiche wird in einem Birkenwäldchen bei Gifhorn gefunden.

"... konnte verträumt sein"

Das sind die Fakten. Aber sie verraten nur wenig. Karl könnte ein Spinner sein, intelligent aber abgedreht, der auf die falsche Karte setzt und verliert; zu trostlos die Realität, zuviel Phantasie, zuviel Koks. Ist das Karl Koch? Menschen, die ihn gekannt haben, verdichten das Bild.

"Ich seh ihn immer noch am Fenster sitzen. Er konnte verträumt sein. Er machte den Eindruck, als sei er mit sich ziemlich beschäftigt." Josef Wojtasik, der sich an den Träumer erinnert, war Karls Lehrer für EDV-Grundlagen. Es war ein dreiviertel Jahr vor Karls Tod, als er in der Buhmannschule im zweiten Anlauf eine Ausbildung anpeilte; dieses Mal als Wirtschaftsassistent Informatik. "Ich erinnere mich noch an den Eignungstest für Informatik - daß er besser war als wir, wußte ich ja damals noch nicht - da stürzte er ab, Schweiß bildete sich auf seiner Stirn, er sackte weg. Den Test hat er trotzdem bestanden." Aus Wojtasiks Stimme klingt noch heute Anteilnahme. Ja, bestätigt er, er habe Karl sehr gern gemocht. "Man hatte bei ihm immer das Gefühl, man müßte ihm helfen, man wußte aber nicht wie. Er scheint mir sehr allein gewesen zu sein."

Einmal habe sich Karl vom Unterricht abgemeldet, weil er beim BND eine Aussage machen müsse. Das wollten die Lehrer nicht so recht glauben - bis ein Anruf des BND das bestätigt habe. Nur einen Monat nach Ausbildungsbeginn, gut acht Monate vor seinem Tod, meldete Karl sich ganz von der Schule ab.

"... ein absolut liebenswerter Mensch"

"Er hat die Ruhe ausgestrahlt eines Buddhas", sagt Jojo*, der als Treffpunkt für unser Gespräch das Café Tabac in der List vorgeschlagen hat, einen typischen Treffpunkt der damaligen Hacker-Szene. "Als Karl von der Therapie wieder da war, da war er völlig ruhig." Jojo hat sich inzwischen mit einem "Computer-Notdienst" selbständig gemacht. Er spricht bedächtig und überlegt über den Freund aus Hackerzeiten. Er bewunderte den um einige Jahre älteren Karl: als Hacker und als Mensch. "Er war niemals aggressiv, niemals laut, ein absolut liebenswerter Mensch." Karls Drogenprobleme waren zwischen ihnen kein Thema: "Zu dem Zeitpunkt, als er verstorben ist, da spielten ganz andere Sachen eine Rolle. Da hat er einen regulären Job gehabt. Er war wirklich guter Dinge. Er war nicht so durchgeknallt, zu der Zeit nicht mehr."

So sieht das auch der damalige Arbeitgeber, der Generalsekretär der Landesgeschäftsstelle der CDU, Hartwig Fischer. "Er machte einen ganz soliden Eindruck. Man merkte nicht, daß er Probleme hatte: Er ist pünktlich gekommen, hat alle Aufgaben - Überweisungen, Post - zur Zufriedenheit geregelt. Er war introvertiert, konnte sich nicht leicht mitteilen. Man mußte auf ihn zugehen, dann ist er aber nie den Gesprächen ausgewichen." Fischer hatte Karl auf Bitte einer Mitarbeiterin für diese Tätigkeiten eingestellt. Sie ist die Mutter eines guten Freunds von Karl und kennt seine Geschichte. Am 23. Mai 1989 soll Karl eine Kurierfahrt erledigen, verläßt Hannover mit einem Dienstwagen und kehrt nicht zurück.

Am 1. Juni meldet ein Landwirt der Polizei, daß schon seit Tagen ein Auto im Wald in Meinersen steht. Die Polizei findet neben dem Auto eine stark verkohlte Leiche und geschmolzene Reste eines Benzinkanisters. "Hitzeschock bei plötzlich auftretender großer Hitzeeinwirkung" ist laut Ermittlungsakte als Todesursache am wahrscheinlichsten. Mit Hilfe einer noch vorhandenen Fingerkuppe kann der Tote als Karl Koch identifiziert werden. Die chemisch-toxikologische Untersuchung bringt nicht viel, denn "Eingeweide waren ja nicht mehr da", gibt die Staatsanwaltschaft Hildesheim heute Auskunft. Der Todeszeitpunkt sei vermutlich schon der 23. Mai gewesen, Selbstmord die wahrscheinlichste Annahme. "Ich hab mir das damals überhaupt nicht vorstellen können...", sagt Hartwig Fischer, "aber Sie stecken da ja nicht drin."

"... freute sich wie ein Kind"

Niemand steckt da drin. Aber das, was Karl getrieben hat, war gerade die ganz besondere Welt in seinem Kopf, die keiner teilen konnte. Eine Welt, in der es "für den kreativen Geist weder richtig noch falsch gibt" (R.A.Wilson) und die nachzuvollziehen die schwierigste Aufgabe ist.

"Diese Welt, um die es da geht, ist eine sehr seltsame Mischung aus Realität und Unwirklichkeit und Abgedrehtheit", analysiert Jochen Sperber, ein Kenner der Szene. Und Urmel*, der mit Karl für den KGB gehackt hat, beschreibt die allnächtliche Hackerwelt. Die Telefonleitung fürs Modem geht quer durchs Zimmer, Zigarettenqualm hängt schwer in der Luft. Kaffee - später Koks - in Mengen hält wach. Mit viel Glück birgt der geknackte Rechner auf der anderen Seite der Welt wertvolle Informationen. Wie ein Kind freut sich Karl dann, der meistens viel zu unruhig ist, um still zu sitzen.

Noch hängt nicht die halbe Welt am Internet. Noch haben die meisten Computer nicht mal eine Festplatte. Der Film Wargames von 1983, in dem ein Schüler sich in den Rechner der amerikanischen Befehlszentrale einloggt und beinahe den dritten Weltkrieg auslöst, ist für die meisten Menschen pure Fiktion. Für die Hacker ist er naheliegende Inspiration. Jojo: "Karl hat ein Ding im Kopf gehabt, nämlich die Computer des Pentagon soweit lahmzulegen, daß es von dortaus nicht mehr möglich wäre, irgendeine Rakete zu zünden. Also in dem Moment, wo der Befehl kommt, daß da einfach ein Smiley auf dem Bildschirm erscheint und sagt, ‚das hast du mal gelesen, daß du hier Raketen abschicken kannst.‘"

"... war ein Visionär"

In seinem authentischen Roman "Das Kuckucksei" beschreibt der Astronom Clifford Stoll, wie er aus dem Rechenzentrum einer amerikanischen Universität die Hacker verfolgt – durch Militärnetze und –computer. Er braucht über ein Jahr und die Hilfe sämtlicher Geheimdienste, bis er die virtuellen Einbrüche zurückverfolgt hat. Nach Hannover, wo die Welt der großen, gefährlichen Geheimnisse Nacht für Nacht ganz nahe ist, ganz real für Hagbard und Urmel, vor ihren vergilbten Monitoren, in ihren verräucherten, rumpeligen Buden.

"Die Informatik sollte also nicht nur keine totalitäre Technik sein, sondern es ist die demokratische Technik schlechthin. Sie ist richtig angewandt eine Art Multiplikator der Demokratie", schreibt Karl Koch. Er ist ein Visionär. Aber er ist auch pleite, denn Drogen und Hacken kosten Geld. Viel Geld. Da sei die Idee, für den KGB zu hacken, geboren worden, sagt Urmel. Zwei der Hacker fahren in die DDR und fragen nach dem Weg zum KGB. Der Deal kommt zustande. Ob tatsächlich wertvolle Industrie- und Militärdaten den Bahnhof Friedrichstraße passieren oder eher "Hilfedateien", wie Jojo vermutet, läßt sich kaum mehr zweifelsfrei sagen.In jenen Tagen zumindest ist die ganze Welt des Kalten Krieges Nacht für Nacht Realität vor den vergilbten Monitoren der Hacker in Hannover.

"... konnte es ja nicht trennen"

Und dann gibt es die Illuminaten-Romane von Robert Anton Wilson, in die Karl immer wieder eintaucht. Leser wie Urmel werfen die Bücher als unlesbar in die Ecke, Leser wie Karl ordnen ihr Denken neu. In den Geschichten geht es um alles, alles ist möglich. Realtiät und Fiktion, Bewußtsein und Zeit verschwimmen. Verschwörer, Weltherrscher und bewußtseinserweiternde Drogen zwingen die Leser, selbst Raum und Zeit und ihre Überzeugungen in Frage zu stellen. Sie müssen mit Ideen spielen, die nicht in unseren gewohnten "Realitätstunnel" passen.

Wer sich aber ohnehin in einer virtuell-irrealen Welt eingerichtet hat, in der Geheimdienste reale Feinde sind, und in der die Devise gilt: ‚Mit niemand reden. Nichts aufschreiben. Aufpassen‘ – wie Urmel es nennt, wer niemals über ein festes Ordnungssystem verfügt hat, wie es Jochen Sperber von Karl Koch vermutet, der läuft Gefahr, in diesem neuen Realitätstunnel zu verschwinden.

"Er konnte es ja nicht trennen", bestätigt Urmel Karls Paranoia. "Auf der einen Seite hat er in seiner Welt der Illuminaten gelebt, auf der anderen Seite war er aber auch gezwungen, was zu leisten, damit der KGB Kohle rausrückt. Und das ging zum Schluß überhaupt nicht mehr. Er hat nichts zustande gekriegt."

"... der spinnt"

Statt dessen steigert er sich in Wahrnehmungen hinein, die seine Hackerfreunde zur Überzeugung bringen: Der spinnt. Er sucht und findet in Rechnercodes die 23, die magische Zahl, er will bei Tempo 180 aus einem Auto steigen, weil er glaubt, "sie" sind ihm gerade jetzt auf die Spur gekommen, und Jojo berichtet von einem weiteren, merkwürdigen Zwischenfall: "Er war in so einem Rauschzustand - 48 Stunden vorm Computer. Nachdem er da fertig war, hatte er irgendwie das Gefühl, daß irgendwas in die Luft geflogen ist, irgendein Atomkraftwerk oder so, das war am 26. April. Und dann kam erst vier Tage verzögert die offizielle Meldung." Das war Tschernobyl.

Kaum einer hat ihn ernstgenommen. Doch nach seinem mysteriösen Tod äußern viele Zweifel an der Selbstmordthese. Sie sehen zu diesem Zeitpunkt kein Motiv, sie fragen sich, warum fährt er so weit weg, wieso bringt er sich auf diese furchtbare Art um? War es doch ein Geheimdienst? Auch Karl hatte sich Gedanken dazu gemacht. Er schrieb: "Ich bin mittlerweile viel zu bekannt, als daß man noch versuchen könnte, mich brutal zu eliminieren. [...] Das einzige Land, das ein Interesse an meinem Verschwinden haben könnte, ist die BRD. Falls ich erwischt würde, würde ich so zum Märtyrer für Frieden, Abrüstung und Informationsfreiheit verklärt."


©julia förster, für die HAZ, 9. Januar 1999

QUELLE:land.heim.at/podersdorf/220941/specials/karlkoch1.html


Ich war oft am Ende, fertig und alleine. Alles was ich gehört habe war : Laß`es sein.Soviel Kraft hast du nicht, soviel kannst du nicht geben.Geh den Weg,den alle gehen, Du hast nur ein Leben.Doch ich will diesen Weg zu Ende gehen.Und ich weiß, wir werden die Sonne sehen!








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Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns herum immer wieder gepredigt wird. Und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse

Johann Wolfgang Goethe


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