Wer hätte gedacht, dass Al-Qaida derart gefährlich wäre?
"Intercepted Al Qaeda E-Mail Is Said to Hint at Regrouping" - so ein Artikel in der NYT von gestern. Klingt gut - aber was steckt im Einzelnen dahinter?
Wir erfahren in dem Artikel Verschiedenes über die fortschrittliche Technologie, die Al-Qaida-Terroristen in der Vergangenheit eingesetzt haben und weiterhin einsetzen.
In the investigation of the Sept. 11 attacks, investigators found that the hijackers communicated with each other in hundreds of e-mail messages often sent from public places like Kinko's or public libraries.
Ob es der New-York-Times auch einen Absatz wert wäre zu erwähnen, dass besagte Leute gelegentlich telefonierten oder Briefe schrieben? Den Leuten, mit denen ich kommuniziere, schreibe ich auch Hunderte von E-Mails. Wenn dies dem Autor ungewöhnlich erscheint, dann liegt es wohl an seiner eigenen, eher schüchternen Internetnutzung.
United States officials said they had discovered the existence of new Web sites and Internet communications that appeared to be part of a concerted Al Qaeda effort to reconstitute the group and re-establish communications after the war in Afghanistan.
Internet communications klingt nach E-Mails (zumal es im weiteren Verlauf des Artikels nur um Mails geht), wenn auch der Begriff nicht schwammiger und hilfloser sein könnte. Aber was ist denn nur mit den Websites gemeint? "Hallo, willkommen auf der Internetpräsenz von Al-Qaida! Wir freuen uns, Sie auf unserer Website begrüßen zu dürfen!". An anderer Stelle des NYT-Artikels kommen noch einmal diese Websites vor: Man sei sich sicher, es handele sich nicht um Scherze, sondern um echte Al-Qaida-Websites. Hm. Ohne URL-Angabe ist das schwer zu beurteilen. Aber selbst mit URL dürfte die Entscheidung nahezu unmöglich sein.
... highly mobile operatives, who often check their messages in public Internet cafes around the world, making them difficult to track. ... they feared that Al Qaeda, Osama bin Laden's network, could use its sophisticated Internet ability to launch new terror attacks against the United States ... Some of the activity appeared to come from villages in the Pakistani province of Baluchistan, along the Afghan border, a remote and sometimes lawless region.
Wir fassen zusammen: Al-Qaida-Terroristen checken regelmäßig ihren E-Mail-Eingang auf der Welt, und weil sie trickreich sind, machen sie das in öffentlichen Internetcafés. Diese Gewitztheit nennt man auf Englisch sophisticated Internet ability. Zwar werden die E-Mails auf der ganzen Welt abgeholt, öfters anscheinend in den Internetcafés von Dörfern einer entlegenen, gelegentlich in Anarchie befindlichen pakistanischen Region. Aha.
Investigators have been frustrated by their inability to track the Qaeda operatives who are picking up messages around the world. In many cases, they appear to read their e-mail in public places like airports and have thus stayed a step ahead of law enforcement authorities.
In den meisten Ländern dieser Welt muss man den Ausweis zücken, wenn man an einen Einzelplatz will, um kurz ins Netz zu kommen. Da haben wir also den Al-Qaida-Terroristen, der am Flughafen ist und sich kurz mal seine Terrormails abholt, nachdem er sich zuvor mit dem Pass ausgewiesen hat - blöder ging's ja gar nicht. Wenn solche Narreteien sophisticated Internet ability sein sollen, wie steht es dann um die Sache mit den AOL-CDs (weil illegal will ich's hier nicht näher ausführen): super-turbo-sophisticated Internet ability?
Officials cautioned today that the full significance of the Internet activity in and out of Pakistan was still not clear, and that it was uncertain whether any senior Al Qaeda leaders were involved.
Was heißt das? Versteht man nun die Mails oder nicht?
The content of the intercepted cyber traffic has not indicated specific threats, but one official said the purpose of the communications was troubling because it appeared to be focused on Al Qaeda's efforts to regroup.
Und was bedeutet das? Wenn sich zwei Pakistanis zum Mittagstee verabreden und die Mail wird abgehört, ist das dann Al-Qaida beim Sammeln?
Der ganze Artikel erinnert mich frappierend an die Kinderporno-Hypezeit, als die Presse vom Boulevardmagazin bis zum High-Tech-Newsticker uns mit so spannenden Nachrichten wie "Perverse tauschen Bilder übers Internet" zu fesseln verstand.
Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, weswegen ich nicht glaube, dass dergleichen Artikel mit der Absicht kolportiert werden, die Internetüberwachung auszudehnen. Solche Artikel entstehen aus der Unkenntnis von Menschen heraus, die sehr wenig Ahnung von den neuen Medien haben und es faszinierend finden, wenn Dinge wie "Ehepaar lernt sich beim Chatten kennen" oder "Mann kauft Auto im Internet" vorfallen. Wer das Netz und andere Internetdienste regelmäßig nutzt, findet dergleichen Schlagzeilen ungefähr so spannend wie "Ehepaar lernt sich bei Party kennen" oder "Mann kauft Auto bei Autohaus".
Wäre Al-Quaida wirklich so doof, zur Kommunikation überwachte Internetcafés zu nutzen (damit meine ich weniger kommunale Einrichtungen im entlegenen Pakistan, eher Flughafeneinrichtungen), könnte man E-Mail-Accounts relativ schnell mit Namen verbinden. Und wenn die Leute ihre Nachrichten über Hotmail & Co. austauschen, dann sollte es relativ leicht sein, an die Klartexte heranzukommen. Bei Briefpost oder Telefon wäre das alles nicht so trivial. Übrigens auch dies eine kleine Parallele zur Kinderpornographie: Zur Blüte des Hypes begannen wirklich manche technikferne Leute zu glauben, Internet fördere den Missbrauch von Kindern. Dass das Gegenteil der Fall war - dass nämlich einfach nur die Zahl der aufgedeckten Fälle anstieg, weil Perverse normalerweise keine Kryptographie- und Anti-Tracking-Experten sind und glaubten, das Internet sei so "privat" wie die Briefpost - habe ich nirgends je gelesen.
Man mag sich über die Dummheit von "officials" und Journalisten pikieren. Schlimm sind jedoch die Auswirkungen. Geistig schlichter veranlagte Menschen könnten den Unsinn glauben und die falschen Entscheidungen vorbereiten, zumal wenn sie politische Gewalt besitzen.
Gruß
Happy End
heise.de