Nach der Kabel-Pleite:

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zombi17:

Nach der Kabel-Pleite:

 
12.07.01 11:04
  NEWMEDIA 11.07.2001

Nach der Kabel-Pleite:
Shake-out der Minusmillionäre
von Sven Scheffler

Es konnte nicht gut gehen. Es war ein völlig wahnsinniges Projekt, das der Berliner Privatradiomacher Ulrich Schamoni da 1989 startete: SK4, interaktives Fernsehen, in einer Zeit ohne Internet, mit nicht viel mehr als ein paar wackligen Animationen aus dem PC. Klar ging das nicht gut – aber SK4, das damals mit Abstand abgedrehteste Medienprojekt Berlins, zog auch die abgedrehtesten Leute an.

Einer davon war Paulus Neef. Silvester 1990 kündigte er gemeinsam mit seinem SK4-Kollegen Eku Wand per Telex (das gab es damals noch) und gründete Pixelpark. Heute ist Pixelpark selbst zu einem Projekt geworden, das gar nicht gut gehen kann. Und ganz egal, was aus Pixelpark wird: Ein paar von den abgedrehten Leuten, die sich dafür begeisterten, werden Firmen gründen, die in zehn Jahren an den Märkten für Furore sorgen.

Doch es gibt einen kleinen Unterschied zwischen SK4 damals und Pixelpark, Kabel New Media oder I-D Media heute: SK4 kostete Ulrich Schamoni ein paar Millionen – die Onlineagenturen ihre Aktionäre ein paar Milliarden. Allein Paulus Neef, Bernd Kolb und Peter Kabel vernichteten einen Börsenwert von mehr als 3 Milliarden Mark (Wertentwicklung der Aktien im Streubesitz vom Höchststand bis heute).

Der zentrale Fehler im Konzept der Konzernbauer ist typisch für alle Bereiche des Internetbusiness: Kabel, Neef und Co. sahen, dass das Internet die Wirtschaft revolutionieren würde. So weit korrekt. Sie hielten das Internet aber für den Schlüsselfaktor in dieser Revolution. Doch es ist „nur“ ein Werkzeug der Veränderung.

Der Unterschied klingt nicht gewaltig, die Auswirkungen für die Firmen sind es schon: „Onlineagenturen hatten ursprünglich den Auftrag, an der Fassade ihrer Kunden herumzubasteln“, sagt der e-Consultant Dirk Maass, dessen Webagentur Vice Versa 1999 von Kabel New Media gekauft wurde. „Und plötzlich sah es so aus, als könnten sie von dort, von der Fassade, direkt ins Zentralnervensystem der Kunden vorstoßen. Eine solche Perspektive hat wohl noch nie eine Branche gehabt.“

Ob es sich dabei um eine reale Perspektive handelte, ist vielleicht irgendwann einmal für Historiker interessant. Heute gibt es diese Perspektive jedenfalls nicht mehr. Es war für die klassischen Berater einfacher, Webkompetenz zu erlangen, als für die Webagenturen, Beratungs-Know-how zu sammeln. Inzwischen drängen die Branchenriesen Accenture, Boston Consulting Group (BCG) oder McKinsey massiv in den Markt. Immer öfter bleibt den Agenturen nur das Frontend-Design. Die großen e-Commerce-Projekte oder den Umbau ganzer Geschäftsprozesse machen die klassischen Consultants.

Doch damit wollen die sich nicht zufrieden geben. So tritt die BCG-Tochter Platinion auch im Frontend gegen die reinen Webagenturen an. Ähnlich macht es KPMG in ihrem e-Business- Solution-Center. KPMG konnte Kabel New Media bei dessen Stammkunden BMW ausbremsen und so den Zuschlag für die e-Procurement-Plattform des Autoherstellers erhalten. „Ein reiner Internetdienstleister kam dafür nicht infrage“, sagt BMW-Frau Martina Wimmer.

Ob Razorfish oder Kabel, Icon Medialab oder Pixelpark: Gescheitert sind die Geschäftsmodelle, die auf Strategieberatung setzten; die möglichst alle potenziellen Bereiche von Onlineberatung und -produktion abdecken wollten, und das auch noch in möglichst vielen Ländern gleichzeitig.

Nicht nur Anleger, auch Analysten flogen auf die Strategie der Neefs, Kabels und Kolbs. Mehr noch: Die Researcher forderten das Wachstum um jeden Preis geradezu heraus und feierten lange Zeit das Streben nach schierer Größe, während wenig expansionshungrige Agenturen wie Sinner Schrader oder Antwerpes verurteilt wurden: zu klein, zu langsam, zu langweilig – guten Margen zum Trotz. Mittlerweile sieht Peter Barkow, Analyst bei HSBC Trinkaus & Burkhardt, die Webtüftler differenzierter: „Die Internetdienstleister müssen sich vergrößern, sich spezialisieren, oder sie bleiben kleine unbedeutende Marktteilnehmer.“ Was in der Zukunft zähle, sei die Fokussierung. Sein Favorit: die Kölner Agentur Antwerpes, die sich auf die Medizin- und Pharmabranche konzentriert hat.

Der One-Stop-Ansatz – wie ihn etwa Kabel New Media angestrebt hatte – weckt Skepsis bei Barkow: „In der Theorie klingt die Idee eines umfassenden Full-Service-Ansatzes recht überzeugend, in der Realität jedoch besteht das Risiko, dass nichts, aber auch gar nichts richtig gemacht wird.“ Deswegen schließt er auch eine Übernahme von Kabel New Media aus: „Als Ganzes ist Kabel nicht zu retten.“

Die Liquidität der Internetconsultants leidet an Schwindsucht. Vor allem bei Pixelpark und Popnet ist der Kapitalverzehr deutlich angeschwollen. Dennoch: In der Krise sieht Barkow eine Riesenchance. Pixelpark, I-D Media, Popnet und natürlich Kabel New Media reduzieren ihre Kapazitäten. „Die anderen Agenturen können davon nur profitieren“, sagt Barkow.

Das meint auch Oliver Sinner von Sinner Schrader: „Die Branche befindet sich in einem Konsolidierungsprozess, den wir verständlicherweise begrüßen. Es werden nur die gesunden Unternehmen überleben, und Sinner Schrader wird dazu gehören.“ Akquisitionen will Sinner nicht ausschließen: „Wir haben 55 Millionen Mark liquide Mittel zum Investieren.“ Zum Beispiel für Teile von Kabel New Media? „Natürlich sind wir offen. Wir wollen uns aber in dieser brisanten und für Kabel schwierigen Phase zurückhalten und warten, bis man auf uns zukommt.“

Derart übernahmewillige Onlineagenturen gibt es heute nicht mehr viele. Dafür steigt der Appetit bei den klassischen Beratungskonzernen. Börsenaspirant Accenture etwa stieg kürzlich bei Abbax ein, einem Spezialisten für e-Business-Software, nachdem dieser seinen IPO absagen musste. Der Börsengang erleichtert Accenture weitere Akqusitionen. Leicht könnte manche verblasste Webikone der Versuchung erliegen, ihre eigene schwächelnde Aktie gegen Anteile am Weltkonzern Accenture zu tauschen.

Doch ausgerechnet die einstmals so gelobte One-Stop-Strategie macht Übernahmen in der derzeitigen Situation schwierig. „Der Full-Service-Approach verschleiert die Kernkompetenzen der meisten Anbieter“, sagt HSBC-Analyst Barkow. Auch DG-Bank-Analyst Rainer Raschdorf sieht eher Möglichkeiten intensiver Kooperation.

Im Einstieg der Deutschen Bank bei GFT macht er einen Trend in der Branche aus: „Um in diesem Markt überleben zu können, müssen sich alle Mitbewerber differenzieren.“ Ob mit oder ohne Kapitalbeteiligung: Die Zukunft könnte in Partnerschaften liegen. So arbeiten die Berater von Pricewaterhouse Coopers oder McKinsey mit kleinen Webagenturen zusammen, wenn es um Frontend-Lösungen geht. McKinsey will sich völlig aufs technische Backend konzentrieren und überlässt den Kreativpart einem Agenturspezialisten. Die Werbeagentur Jung von Matt wiederum geht genau den umgekehrten Weg: Sie macht nur das kreative Frontend – den Rest sollen Technikspezialisten erledigen.

e-Consultant Maass sieht in der Spezialisierung das Erfolg versprechendste Geschäftsmodell: „Kleine und mittelgroße Agenturen halten sich relativ gut im Markt. Sie mussten sich fast zwangsläufig auf ausgewählte Angebote spezialisieren – und das ist heute gefragt und wird auch in Zukunft gefragt sein.“

Nur an den Erfolg an der Börse glaubt Maass nicht mehr: „Die Story, die die Onlineagenturen hatten, ist abgebrannt – und sie haben keine neue Story. Online Solutions sind nach wie vor viel Handwerk.“ Und Handwerk hat zwar goldenen Boden – aber nur, wenn man mit beiden Beinen am Boden bleibt.  
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