Plötzlich geht alles sehr schnell. Der erste Kurssturz des Dow Jones, der bis dahin dritthöchste der Geschichte, traf mich völlig unvorbereitet in den Rücken. Ich war nämlich mit der Asienkrise beschäftigt und paukte gerade eine Liste mit Kaufempfehlungen total unterbewerteter Aktien" der Zeitschrift "
"Capital", als der mir völlig unbekannte Analyst Ralph Acampora den Markt kaputtredete.
Natürlich versuchte ich sofort, ihn wieder hochzureden. Aber bei Kai war besetzt, und im Weißen Haus meldete sich nur der Anrufbeantworter mit der Mitteilung, daß der Präsident im juristischen Sinne nie eine sexuelle Beziehung zum Dow Jones unterhalten habe.
In der Zwischenzeit hatte die internationale Finanzgemeinschaft mich persönlich für die amerikanische Konjunkturabflachung verantwortlich gemacht und mein Portfolio entwertet.
Ich bekam kalte Füße. Ich lag noch knapp vorne. Meine Kriegslist: Ich würde die fallenden Messer an mir vorbeiregnen lassen und sie dann unten einsammeln.
Kai hatte dafür überhaupt kein Verständnis. Weder er noch Carola Ferstl von n-tv. Keine Blondine der Welt ist cooler. Sie hat den Ansatz zu Grübchen und eine Stimme aus Stahl. Und wenn sie von Bullen und Bären spricht, klingt es so, als habe
sie jeden einzelnen von ihnen persönlich mit Blicken in die Knie gezwungen.
Alle also redeten auf mich ein: Das mußt du durchstehen, du Kleinanleger! Du blutest, na und? Wir bluten alle. Offenbar ist das Börsenspiel eine Art Mutprobe. Wer in der Raserei hin auf den Abgrund am längsten auf dem Gas bleibt, hat gewonnen.
Merkwürdige Aktienphilosophie. Die Idee ist: alles stehen lassen, auf alle Ewigkeit. Das Geld komplett in den virtuellen Raum einsperren und nicht antasten, denn den richtigen Zeitpunkt zum Verkauf gibt es nie.
Eine steigende Aktie zu verkaufen ist dumm, weil sie weitersteigen und weitere goldene Eier werfen könnte. Eine fallende Aktie zu verkaufen hieße, Verluste zu realisieren, und ist daher doppeldumm, denn sie könnte die Verluste schon am nächsten Tag mit einem kleinen Anstieg wettgemacht haben. Es ist wie mit der Bankräuberbeute: Das Geld ist vergraben, und du darfst es nicht anrühren, sonst fliegst du auf.
Allerdings gilt diese Logik offenbar nur für Kleinanleger. Wenn Kurse nach unten rauschen, heißt das ja, daß viele, viele Aktien verkauft werden. Erwiesenermaßen waren es jedoch nicht Kleinanleger, sondern große Häuser, die da "Gewinne realisierten". Es waren Profis, die Massen abwarfen. Es waren Unternehmenspräsidenten wie der meiner LHS Group, die auf dem Weg nach draußen ihre Aktienoptionen verscherbelten. Und die Kleinanleger standen brav im Regen herum, tapfere Frontschweine, die die Stellung hielten.
Nichts für mich. Meine Anlageberaterin schien persönlich enttäuscht von mir. Ich solle doch nicht kopflos werden. immerhin, ich war ihr wichtig. Ich reimte mir ihre Widerstände so zusammen: Wenn ich jetzt aussteige, ich, der typische Kleinanleger, steigen alle anderen auch aus. Dann ist die Börse kaputt, Deutschland geht den Bach runter, die Banken entlassen Personal, ihr Mann würde die Scheidung einreichen, und Aufständische würden die Innenstädte plündern. Das ganze System stand auf dem Spiel. Würde ich ein zweites 1929 verantworten wollen?
Aber sicher. Die Solidarität des Kleinanlegers hat Grenzen, besonders wenn es um eigene Ersparnisse geht. "Nun gut", seufzte sie pikiert, "wenn Sie meinen ..."
Ich schlief eine ruhige Nacht. Und dann wurde das Leben zur Hölle. Ich hatte mich entschlossen, gegen den Dax zu wetten und wiederum gewann der Dax. Das grausame Schicksal hatte ihn gedreht. Auf meinem Computerbildschirm: alles grün. Die Messer fielen nicht mehr, sie hatten Flügel bekommen. Und ich Idiot war auf dem Tiefpunkt abgesprungen (oder der Marke, die wir alle damals - selige Dax-Zeiten von 5270 - für den Tiefpunkt hielten).
Es gibt nichts Dümmeres. Ich schämte mich. Und nun wurde ich abgestraft von der Lottogemeinschaft der Aktionäre. Kai blickte auf mich herab, Passanten schüttelten den Kopf, wenn sie mich sahen, mein Sohn fragte mich unter Tränen: "Papa, stimmt es, daß du Siemens bei 118 abgestoßen hast?"
Nun waren die Kurse auf und davon. Ich würde mich ihnen ein Lebtag hinterherkaufen müssen. Dann las ich noch, daß Abby Cohen, die große alte Dame der Wall Street, bei ihrer Prognose für ein neues Rekordhoch am Jahresende blieb. Diejenigen also, die die Nerven behalten hatten, würden demnächst mit ihren neuen Jaguars und BMW Roadstern am Spielplatz vorfahren und ihre Kinder in teuren Privatschulen anmelden.
Ich begann, mir Argumente fürs öffentliche Schulsystem zurechtzulegen und mit den Grünen zu sympathisieren, die den unrechtmäßig erworbenen Reichtum der Jaguar Fahrer wenigstens über den Benzinpreis wieder abschöpfen würden. Ich murmelte Beschwörungen über den Kurs
seiten der "Frankfurter Allgemeinen". Das Wunder - es trat ein. Der Dax hatte Mitleid. Ein paar Tage später holte er mich dort wieder ab, wo ich abgesprungen war. Ich stieg wieder ein, mit lauter Schnäppchen im Portfolio, ab nach oben.
Das Glück hielt zwei Tage. Dann blieb der Dax ächzend hängen. Dann rasselte er abwärts. Zunächst dachte ich, er wollte nur schnell noch ein paar andere Feiglinge einsammeln. Doch nun hielt er überhaupt nicht mehr an. Er wollte nur runter. Das Tageslicht verschwand, und ich saß festgeschnallt im Expreß nach unten, hinab in den siebten Kreis der Hölle.
"Capital", als der mir völlig unbekannte Analyst Ralph Acampora den Markt kaputtredete.
Natürlich versuchte ich sofort, ihn wieder hochzureden. Aber bei Kai war besetzt, und im Weißen Haus meldete sich nur der Anrufbeantworter mit der Mitteilung, daß der Präsident im juristischen Sinne nie eine sexuelle Beziehung zum Dow Jones unterhalten habe.
In der Zwischenzeit hatte die internationale Finanzgemeinschaft mich persönlich für die amerikanische Konjunkturabflachung verantwortlich gemacht und mein Portfolio entwertet.
Ich bekam kalte Füße. Ich lag noch knapp vorne. Meine Kriegslist: Ich würde die fallenden Messer an mir vorbeiregnen lassen und sie dann unten einsammeln.
Kai hatte dafür überhaupt kein Verständnis. Weder er noch Carola Ferstl von n-tv. Keine Blondine der Welt ist cooler. Sie hat den Ansatz zu Grübchen und eine Stimme aus Stahl. Und wenn sie von Bullen und Bären spricht, klingt es so, als habe
sie jeden einzelnen von ihnen persönlich mit Blicken in die Knie gezwungen.
Alle also redeten auf mich ein: Das mußt du durchstehen, du Kleinanleger! Du blutest, na und? Wir bluten alle. Offenbar ist das Börsenspiel eine Art Mutprobe. Wer in der Raserei hin auf den Abgrund am längsten auf dem Gas bleibt, hat gewonnen.
Merkwürdige Aktienphilosophie. Die Idee ist: alles stehen lassen, auf alle Ewigkeit. Das Geld komplett in den virtuellen Raum einsperren und nicht antasten, denn den richtigen Zeitpunkt zum Verkauf gibt es nie.
Eine steigende Aktie zu verkaufen ist dumm, weil sie weitersteigen und weitere goldene Eier werfen könnte. Eine fallende Aktie zu verkaufen hieße, Verluste zu realisieren, und ist daher doppeldumm, denn sie könnte die Verluste schon am nächsten Tag mit einem kleinen Anstieg wettgemacht haben. Es ist wie mit der Bankräuberbeute: Das Geld ist vergraben, und du darfst es nicht anrühren, sonst fliegst du auf.
Allerdings gilt diese Logik offenbar nur für Kleinanleger. Wenn Kurse nach unten rauschen, heißt das ja, daß viele, viele Aktien verkauft werden. Erwiesenermaßen waren es jedoch nicht Kleinanleger, sondern große Häuser, die da "Gewinne realisierten". Es waren Profis, die Massen abwarfen. Es waren Unternehmenspräsidenten wie der meiner LHS Group, die auf dem Weg nach draußen ihre Aktienoptionen verscherbelten. Und die Kleinanleger standen brav im Regen herum, tapfere Frontschweine, die die Stellung hielten.
Nichts für mich. Meine Anlageberaterin schien persönlich enttäuscht von mir. Ich solle doch nicht kopflos werden. immerhin, ich war ihr wichtig. Ich reimte mir ihre Widerstände so zusammen: Wenn ich jetzt aussteige, ich, der typische Kleinanleger, steigen alle anderen auch aus. Dann ist die Börse kaputt, Deutschland geht den Bach runter, die Banken entlassen Personal, ihr Mann würde die Scheidung einreichen, und Aufständische würden die Innenstädte plündern. Das ganze System stand auf dem Spiel. Würde ich ein zweites 1929 verantworten wollen?
Aber sicher. Die Solidarität des Kleinanlegers hat Grenzen, besonders wenn es um eigene Ersparnisse geht. "Nun gut", seufzte sie pikiert, "wenn Sie meinen ..."
Ich schlief eine ruhige Nacht. Und dann wurde das Leben zur Hölle. Ich hatte mich entschlossen, gegen den Dax zu wetten und wiederum gewann der Dax. Das grausame Schicksal hatte ihn gedreht. Auf meinem Computerbildschirm: alles grün. Die Messer fielen nicht mehr, sie hatten Flügel bekommen. Und ich Idiot war auf dem Tiefpunkt abgesprungen (oder der Marke, die wir alle damals - selige Dax-Zeiten von 5270 - für den Tiefpunkt hielten).
Es gibt nichts Dümmeres. Ich schämte mich. Und nun wurde ich abgestraft von der Lottogemeinschaft der Aktionäre. Kai blickte auf mich herab, Passanten schüttelten den Kopf, wenn sie mich sahen, mein Sohn fragte mich unter Tränen: "Papa, stimmt es, daß du Siemens bei 118 abgestoßen hast?"
Nun waren die Kurse auf und davon. Ich würde mich ihnen ein Lebtag hinterherkaufen müssen. Dann las ich noch, daß Abby Cohen, die große alte Dame der Wall Street, bei ihrer Prognose für ein neues Rekordhoch am Jahresende blieb. Diejenigen also, die die Nerven behalten hatten, würden demnächst mit ihren neuen Jaguars und BMW Roadstern am Spielplatz vorfahren und ihre Kinder in teuren Privatschulen anmelden.
Ich begann, mir Argumente fürs öffentliche Schulsystem zurechtzulegen und mit den Grünen zu sympathisieren, die den unrechtmäßig erworbenen Reichtum der Jaguar Fahrer wenigstens über den Benzinpreis wieder abschöpfen würden. Ich murmelte Beschwörungen über den Kurs
seiten der "Frankfurter Allgemeinen". Das Wunder - es trat ein. Der Dax hatte Mitleid. Ein paar Tage später holte er mich dort wieder ab, wo ich abgesprungen war. Ich stieg wieder ein, mit lauter Schnäppchen im Portfolio, ab nach oben.
Das Glück hielt zwei Tage. Dann blieb der Dax ächzend hängen. Dann rasselte er abwärts. Zunächst dachte ich, er wollte nur schnell noch ein paar andere Feiglinge einsammeln. Doch nun hielt er überhaupt nicht mehr an. Er wollte nur runter. Das Tageslicht verschwand, und ich saß festgeschnallt im Expreß nach unten, hinab in den siebten Kreis der Hölle.