Tiefstände sehen"
Markus Koch lebt seit 1992 in den USA und ist der bekannteste deutsche Börsenberichterstatter an Wall Street. Im Jahr 1994 gründete der Wahl-New Yorker seine Firma Wall Street Correspondents und informiert seitdem Anleger börsentäglich vom wichtigsten Finanzplatz der Welt. Dank seiner guten Kontakte zu Händlern und Analysten weiß er über die neuesten Trends und Entwicklungen an NYSE und Nasdaq immer bestens Bescheid. In Deutschland ist Markus Koch Anlegern vor allem durch seine abendlichen Fernsehauftritte bei n-tv und seine Kolumnen in der Wirtschaftswoche bekannt.
Stock-World sprach exklusiv mit Markus Koch über seine Einschätzung der US-Konjunktur und Lage im Irak-Konflikt. Darüber hinaus gab uns der Börsenexperte einen Ausblick auf das neue Jahr und nannte uns seine persönlichen Favoriten für 2003.
Stock-World: Der Ölpreis ist bereits stark gestiegen und Gold notiert über 340 Dollar je Feinunze - so hoch wie seit 1997 nicht mehr. Rechnen Sie nach den Äußerungen von US-Präsident George W. Bush und Chef-Waffeninspekteur Hans Blix noch im Januar mit einem Einmarsch der Amerikaner im Irak? Käme es zu einem Krieg, was wären die Auswirkungen auf die Aktienmärkte?
Markus Koch: Ich rechne ganz sicher mit einem Krieg, allerdings nicht bevor die UN ihren Schlussbericht veröffentlicht hat. Präsident Bush hat sich längst für einen Regimewechsel im Irak entschieden und ein negativer UN-Bescheid könnte als notwendige Legitimation für einen Militärschlag dienen. Die Folgen sind allerdings ebenso schwer abzuschätzen wie die Frage nach der Entwicklung in der Zeit danach zu beantworten ist. Gewissheit gibt es lediglich über die Auswirkungen auf die Börsen rund um den Globus: Herbe Verluste. Fallen zudem die Erfolgsmeldungen ebenso spärlich wie im Kampf gegen die Al-Kaida in Afghanistan aus, könnten die Einbußen sogar noch größer als in 2002 ausfallen.
Stock-World: Welche Meinung haben die Amerikaner eigentlich zu einem möglichen Feldzug gegen Saddam Hussein?
Markus Koch: Das Volk steht hinter seinem Präsidenten. Nicht zuletzt hat dies eindrucksvoll der Ausgang der US-Kongresswahlen gezeigt, die ein deutliches Votum für Bush und seine Politik waren.
Stock-World: Alan Greenspan hat sich in der vergangenen Woche verhalten optimistisch zur Lage der US-Konjunktur geäußert und gesagt, die Wirtschaft arbeite sich langsam ihren Weg aus der Krise heraus. Ist die lang ersehnte Wende nun endlich da?
Markus Koch: "Jein". Ich denke, die Notenbank weiß derzeit selbst nicht, wo die amerikanische Wirtschaft steht bzw. sich hinentwickelt. Bester Beweis hierfür war das November-Sitzungsprotokoll. Es steckte voller Widersprüche. Die uneinheitlichen Signale der letzten Wochen, beispielsweise die Arbeitsmarktdaten, zeigen klar, dass sich die Konjunktur in den USA in einer Art Nirvana befindet. Dies ist auch der Hauptgrund für den Käuferstreik am Aktienmarkt, der wiederum das größte Hindernis für einen nachhaltigen Aufschwung ist.
Stock-World: Ist demnach die Phase der Zinssenkungen noch nicht vorbei? Viel Spielraum nach unten hat Greenspan ja nicht mehr.
Markus Koch: Das stimmt. Ich rechne daher höchstens noch mit einem weiteren Zinsschritt von 25 Basispunkten. Allerdings hat Greenspan noch eine Reihe anderer Möglichkeiten die Konjunktur anzukurbeln, beispielsweise könnte er die Druckerpressen anwerfen.
Stock-World: Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Situation im Hinblick auf die so wichtige und oft zitierte Konsumfreude der Amerikaner?
Markus Koch: Positiv ausgedrückt, waren die Amerikaner immer schon bereit ihr letztes Hemd zu geben, um zu konsumieren. Sobald sich in der Bevölkerung die Meinung durchsetzt, dass es mit der Wirtschaft wieder bergauf geht, wird sich der Konsum deutlich erholen. Daher messe ich auch dem in letzter Zeit stark gefallenen Verbrauchervertrauen nicht so viel Gewicht bei, da es sich hier um einen nachhinkenden Indikator handelt, der letztlich nur die Stimmung der Konsumenten, die auf Erfahrungen in der Vergangenheit beruhen, wiederspiegelt.
Stock-World: Wie viel Potenzial haben die Börsen im kommenden Jahr? Haben wir die Tiefs im Dow Jones und an der Nasdaq im Oktober schon gesehen?
Markus Koch: Angesichts schwacher Fundamentaldaten und einem nicht enden wollenden Käuferstreik weiß ich ehrlich gesagt nicht, wodurch ein Aufschwung an den Aktienmärkten getragen werden könnte. Ich denke, dass wir die Tiefststände vom 9. Oktober nochmals testen. Mit einer 45-prozentigen Wahrscheinlichkeit sehen wir sogar neue Tiefs. Dafür sprechen mehrere gute Gründe. Noch im Januar wird eine Entscheidung über einen Irak-Krieg fallen. Der Arbeitsmarkt bleibt angespannt. Ich rechne im nächsten Jahr sogar mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf 6,5 Prozent. Hinzu kommt, dass bei steigendem Ölpreis der Dollar schwächelt. Und obwohl Amerikas neuer Finanzminister John Snow es nicht öffentlich zugeben wird, ist er zur Unterstützung der Konjunkturerholung derzeit mit einem schwächeren Dollar ganz zufrieden. Zudem steckt die Bush-Administration in einem Dilemma: Um die Wirtschaft zu stärken betreibt man expansive Fiskalpolitik und die Verschuldung nimmt zu. Dies birgt aber die Gefahr steigender Realzinsen, weshalb die Regierung höllisch aufpassen muss.
Stock-World: Wie ist die Stimmung mit Blick auf das nächste Jahr an Wall Street? Beispielsweise prophezeit Abby Cohen, Chefstrategin von Goldman Sachs, für 2003 einen Anstieg im S&P 500 Index auf 1.150 Punkte. Sind die Analysten nur "bullish" aus guter alter Tradition?
Markus Koch: Das sehe ich auch so. Aktuell stehen die Analysten an Wall Street und beten, dass es im nächsten Jahr an den Aktienmärkten wieder bergauf geht. Nicht zuletzt hängen bei vielen die Jobs von der Börsenentwicklung ab. Daher und nach drei negativen Jahren ist es kein Wunder, wenn die meisten Finanzprofis "bullish" gestimmt sind.
Stock-World: Als ein besonders häufiger Grund für steigende Kurse wird eine Erholung bei den Unternehmensgewinnen genannt. Etliche Analysten halten zudem das Bewertungsniveau der Aktien für insgesamt zu niedrig. Teilen Sie diese Ansicht?
Markus Koch: Das kommt auf die Bewertungsmethode an, die man verwendet. Gemessen am Notenbankmodell ist die Börse rund 15 Prozent unterbewertet. Nach dem Dividendenmodell sind Aktien allerdings immer noch zu teuer.
Stock-World: Welche Branchen sind Ihre Favoriten für 2003, welche Sektoren sollten Anleger lieber meiden?
Markus Koch: Schwierige Frage. Einzelne Branchen hervorzuheben ist kaum möglich, da das wirtschaftliche Umfeld noch unsicher ist. Besser als ein Investment in spezielle Sektoren gefällt mir eine Anlage in so genannten Exchange Traded Funds (ETF). Hierbei handelt es sich um an der Börse fortlaufend gehandelte Fonds, die in den meisten Fällen einen bestimmten Index nachbilden. Generell gilt, Anleger sollten in den ersten Monaten des kommenden Jahres nicht Robin Hood spielen. Ich empfehle eine Cashquote von mindestens 25 Prozent zu halten, um bei einer möglichen Besserung der Großwetterlage im zweiten Halbjahr handlungsfähig zu sein.
Stock-World: Können Sie auch Einzeltitel im Dow Jones und an der Nasdaq empfehlen?
Markus Koch: Normalerweise empfehle ich keine einzelnen Aktien. Wenn überhaupt würde ich Coca-Cola, Gillette und IBM kaufen. An der Nasdaq gefällt mir eine Dell Computer ganz gut.
Stock-World: Wie lautet ihre konkrete Prognose für den Kursverlauf im kommenden Jahr?
Markus Koch: Für die ersten sechs Monate bin ich bei Dow Jones & Co. pessimistisch gestimmt. Im Februar/März werden wir wahrscheinlich neue Tiefststände sehen. Erst in der zweiten Jahreshälfte rechne ich mit einer Aufwärtsbewegung. Zwar ist die Erwartungshaltung bei den Unternehmensgewinnen inzwischen sehr gering, und Ökonomen rechnen mit einem moderaten Wirtschaftswachstum in den USA. Allerdings können auch kleinste Störfeuer, beispielsweise durch die Dollar- bzw. Ölpreisentwicklung oder vom Arbeitsmarkt her, ausreichen, um das zarte Aufschwungspflänzchen zunichte zu machen und eine erneute Abwärtsspirale in Gang zu setzen. Unter dem Strich erwarte ich an den Aktienmärkten in 2003 aber eine positive Performance.
Stock-World: Herr Koch, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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