Immer mehr Unternehmen schlägt das letzte Stündlein am Neuen Markt - Kinowelt ist der neueste Abgang
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Wer kennt es nicht, das Lied von den zehn kleinen Negerlein. Würde der Text auf das derzeitige Geschehen am Neuen Markt übertragen, müsste es heißen: 324 kleine Unternehmen gingen an den Neuen Markt, eins davon wurde insolvent, da waren´s nur noch 323... Nach Brainpool, Brokat, Trius, Saltus und Ejay ist Kinowelt nun das sechste Unternehmen, das seit Jahresbeginn das Wachstumssegment der deutschen Börse verlässt. Das insolvente Medienunternehmen wechselt mit Ablauf des 22. Februars an den Geregelten Markt (siehe auch BZ Nr. 20 vom 30. Januar, Seite 12, "Kinowelt verlässt den Neuen Markt").
Kinowelt nimmt damit den sicheren Ausschluss durch die Deutsche Börse vorweg. Denn erstens fehlen den Münchnern die zwei geforderten Designated Sponsors, zweitens notiert die Aktie seit Ende August 2001 fast ununterbrochen auf Penny-Stock-Niveau. Nachdem im Dezember der Insolvenzantrag gestellt wurde, legten die BHF-Bank und die HypoVereinsbank ihr Betreuermandat nieder. Das Bankhaus Sal. Oppenheim war bereits im November als Betreuerbank abgesprungen.
Zu Beginn der im Mai 1998 mit einem Emissionspreis von 55 Euro gestarteten Börsenkarriere machte das Medienunternehmen vor allem durch starke Zuwächse bei Umsatz und Ergebnis sowie durch etliche Akquisitionen von sich reden. Seit März vergangenen Jahres änderten sich dann die Schlagzeilen, um die Liquiditätssituation rankten sich wilde Gerüchte - die stets dementiert wurden - und im Mai schockten die Münchner mit einer Gewinnwarnung. Für die Sparte Merchandising, die im Wesentlichen aus der Brameier Fanworld AG besteht, wurde im Juni ein Totalverkauf angedacht und die geplante Aufstockung auf 100 % bei der Sportwelt Beteiligungs GmbH wurde ad acta gelegt. Im Juli wurde die 40 %ige Beteiligung an der Berliner Progress Film-Verleih GmbH veräußert, zwei Monate später wurde der Kunstfilm-Verleih Arthaus geschlossen. Anfang dieser Woche wurde der 7,7 %ige Anteil an der insolventen Media-Netcom AG abgegeben.
Dass die Neuemissionswelle - die bereits im Vorjahr abebbte - zu keiner neuen Flut anwachsen würde, verwundert kaum. Auch dass sich der Trend des Vorjahres fortsetzen würde, ist die logische Konsequenz aus den Beobachtungen des bisherigen Marktgeschehens.
2001 war nicht nur das erste Jahr in der noch jungen Geschichte des Neuen Marktes, in dem erstmals Unternehmen von der Deutschen Börse hinausgeworfen und Sanktionen wegen zu später Übermittlung von Quartalsberichten und Jahresabschlüssen verhängt wurden. Es verließen auch mehr Gesellschaften den Neuen Markt als eintraten -11 Neueinsteigern standen 24 Ausscheider gegenüber. Private Media ist in diesem Jahr das bislang einzige Unternehmen, das den Gang an das einst so beliebte Wachstumssegment wagt. Diesem einen IPO stehen sechs Unternehmen gegenüber, die den Neuen Markt verlassen haben bzw. ihn bis zum 22. Februar 2002 verlassen werden.
Im Jahr 2000 sah das Verhältnis noch ganz anders aus: 127 Unternehmen stürmten an den Neuen Markt, wohingegen nur 2 Gesellschaften (LHS Group und SVC AG Schmidt Vogel Consulting) absprangen. 1999, als 118 Gesellschaften den Kurszettel verlängerten, verließen ebenfalls nur zwei Unternehmen (Lösch Umweltschutz AG und Sero Entsorgungs AG) das Wachstumssegment. 1998 (mit 37 Neueinsteigern) und 1997, dem Jahr der Gründung des Neuen Marktes, in dem sich 11 Unternehmen in diesem Segment notieren ließen, gab es keine Aussteiger.
Freiwillig oder unfreiwillig?
Die Gründe für ein Delisting sind unterschiedlich - entweder das Unternehmen wechselt freiwillig das Segment, geht im Rahmen einer Fusion bzw. Übernahme oder wird von der Deutschen Börse wegen Regelverstößen und / oder eines eröffneten Insolvenzverfahrens ausgeschlossen. Genau einen Monat, nachdem die Deutsche Börse den Ausschluss eines Unternehmens mitteilt, wird die Aktie nicht mehr am Neuen Markt, sondern automatisch am Geregelten Markt gelistet - bis September 2000 musste die Notierung am Geregelten Markt noch mit einer Bank zusammen explizit beantragt werden.
Seit Bestehen des Wachstumssegmentes kehrten 14 Unternehmen diesem freiwillig den Rücken, zehn Gesellschaften wurden ausgeschlossen und 9 verschwanden im Rahmen einer Fusion oder Übernahme, nach deren Abschluss der Streubesitz zu gering für einen Verbleib im Neuen Markt war. Sieben der zwangsweise verbannten Gesellschaften flogen wegen eines eröffneten Insolvenzverfahrens vom Kurszettel, bei drei Unternehmen nennt die Deutsche Börse Regelverstöße als Auslöser für den Ausschluss. Insgesamt verlor der Neue Markt 33 Mitglieder zwischen März 1997 und dem 22. Februar 2002, davon allein 24 im vergangenen Jahr. Auffallend ist, dass sich 2001 die Austritte gegen Jahresende häuften. Im ersten Quartal schieden vier Gesellschaften aus, im zweiten Quartal waren es zwei und im dritten Quartal gingen vier Unternehmen - insgesamt also zehn. Im Schlussquartal verlor der Neue Markt dann 14 Teilnehmer, acht davon im November und fünf im Dezember.
Ricardo.de eröffnete im Januar 2001 den Reigen der ausscheidenden Unternehmen. Das Internet-Auktionshaus wurde vom britischen Wettbewerber QXL übernommen, die restlichen noch im Streubesitz befindlichen Aktien werden im Geregelten Markt gehandelt. Es dauerte einen Monat, bis die nächste Übernahme den Kurszettel um eine weitere Position kürzte. Da die italienische Volksbankengruppe Bipop-Carire nach einem Umtauschangebot etwas mehr als 99 % der Titel der Entrium Direct Bankers AG in den Händen hielt, wurde die Notiz der restlichen Papiere im Februar am Geregelten Markt fortgesetzt.
Folgende Transaktion brachte das Wachstumssegment gleich um zwei Mitglieder: Die Beteiligung der Systematics an der MSH International Service von 79,3 % wurde im Rahmen eines öffentlichen Umtauschangebots auf über 97 % aufgestockt. Der Happen war für Systematics allerdings etwas zu groß, und das Unternehmen ging an EDS, einen Ableger von General Motors. Seit Februar wird MSH am Geregelten Markt gehandelt, Systematics folgte im Juni. Im Mai wechselte die Ision Internet AG mit ihren restlichen 2,2 % im Streubesitz liegenden Papieren in den Geregelten Markt, nachdem das Unternehmen von der Energis plc. erworben wurde. Fünf Monate später wechselte das letzte Unternehmen für 2001 nach abgeschlossener Übernahme das Segment. United Vision wurde von der Werbeagentur Scholz & Friends geschluckt und verlängert seit November als Scholz & Friends den Kurszettel am Geregelten Markt.
Freiwilliger Rückzug bevorzugt
Unter den zehn Gesellschaften, die dem Neuen Markt freiwillig den Rücken zukehrten, war bei der Hälfte ein Rauswurf bereits absehbar. Drei Gesellschaften waren insolvent und die Aktien von zwei Unternehmen notierten im Penny-Stock-Bereich. Ein freiwilliger Abgang wurde erst in der zweiten Jahreshälfte ein Thema für die Unternehmen. Den Anfang machte die insolvente Sunburst Merchandising AG, die im Juli Richtung Geregelter Markt entschwand. Nach eigenen Aussagen konnten die sich aus dem Regelwerk des Neuen Marktes ergebenden Pflichten nicht mehr erfüllt werden und es war zum Schluss nur mehr ein Designated Sponsor (Commerzbank) vorhanden. Auch die Refugium Holding AG i.A. war insolvent und verfügte nur noch über einen Designated Sponsor (Gontard & Metallbank), als der Seniorenheimbetreiber im August das Segment wechselte.
Der Penny Stock Team Communications Group, der sich künftig Impact Media Group nennen will, kam dem Delisting zuvor und wechselte ebenfalls im August das Segment, blieb aber an der Nasdaq (ebenfalls als Penny Stock) gelistet. Zudem musste das finanziell in Bedrängnis geratene Unternehmen im Juni 2001 für die verspätete Übermittlung des 2000er Jahresabschlusses 50 000 Euro an die Deutsche Börse berappen. Edel Music begründete den Ausstieg im Oktober mit den erheblichen finanziellen und personellen Kapazitäten, die ein Listing am Neuen Markt erfordert.
Auch bei den freiwilligen Aussteigern häuften sich die Abgänge zum Jahresende. Ohne Ausnahme schieden die Unternehmen im zweiten Semester aus, darunter fünf - und damit die Hälfte - im November: Die Mediantis AG i.A. verließ das Wachstumssegment, nachdem die Aktionäre auf einer außerordentlichen Hauptversammlung mit 99,97 % der anwesenden Stimmen (50,2 % des Grundkapitals) die Auflösung der Gesellschaft beschlossen hatten. Der französische Internet-Dienstleister Integra, der im Dezember 1999 in einem Zweitlisting als 200ster Wert am Neuen Markt erschien, verabschiedete sich allerdings nicht ohne im Mai mit einer von der Deutschen Börse verhängten Geldstrafe von 10 000 Euro wegen der verspäteten Lieferung des Jahresabschlusses 2000 aufzufallen.
Das Stuttgarter Medienhaus Dino Entertainment AG begründete den Ausstieg mit erheblichen Kosteneinsparungen und bezeichnete ihn als Konsequenz des eingeleiteten Restrukturierungsprogrammes auf dem Weg zur Profitabilität. Die Feedback AG ließ die Notierung am Neuen Markt ebenfalls aus Kostengründen einstellen, nachdem die durch das Moorhuhn-Spiel bekannt gewordene Phenomedia AG im Rahmen eines Tauschangebotes 86,92 % an dem Regensburger Unternehmen hielt.
Die insolvente Popnet Internet AG kam ihrem Rauswurf zuvor und strich im November freiwillig die Segel, nachdem sich Anfang Oktober die Commerzbank sowie das Bankhaus Sal. Oppenheim als Betreuerbanken verabschiedet hatten. Auch der Penny Stock Musicmusicmusic - der sich bereits auf der 2000 aufgekommenen "Todesliste" fand - ging lieber vorsichtshalber im Dezember freiwillig und wartete nicht erst den absehbaren Ausschluss ab. Als die Diskussion um die Delisting-Pläne der Deutschen Börse aufkamen, wurden diese prinzipiell von dem kanadischen Unternehmen begrüßt. Allerdings müssten dabei Gesellschaften betroffen sein, die Investoren betrogen hätten und ihre Pflichten nicht erfüllten - und nicht Unternehmen, die der generellen Stimmung am Neuen Markt zum Opfer gefallen seien (vgl. BZ vom 15.08.2001).
Prominente Namen führen die Liste an
Das erste Unternehmen, das wegen eines Regelverstoßes vom Neuen Markt ausgeschlossen wurde, war der Pleitefall Gigabell im Februar 2001. Erst ein halbes Jahr später, im August, wurde mit Teldafax das zweite Unternehmen, ebenfalls wegen Verstoßes gegen das Regelwerk, aus dem Wachstumssegment entfernt. Im November kam eine Lawine ins Rollen: Kabel New Media, Infomatec und MB Software verabschiedeten sich wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie Regelverstößen, die Notiz der Management Data fiel der Insolvenz zum Opfer. Im Dezember schlug dann für Lipro (wegen Insolvenz und Regelverstoßes) und Prodacta (lediglich aufgrund der Insolvenz) das letzte Stündlein. Beide Unternehmen waren schon zuvor ins Visier der Deutschen Börse geraten. Im Juni 2001 wurde Lipro wegen zu später Übermittlung des Jahresabschlusses 2000 eine Geldstrafe von 80 000 Euro auferlegt und Prodacta kostete derselbe Regelverstoß 50 000 Euro.
Da die neue Berichtssaison bevorsteht, darf nun gewettet werden, nicht nur welches Unternehmen als nächstes vom Kurszettel des neuen Marktes verschwinden wird, sondern auch, aus welchem Grund. Als erster Kandidat empfiehlt sich die Concept AG. 80 % deren Grundkapitals befinden sich bereits in den Händen der zur britischen WPP-Gruppe gehörende Ogilvyone Worldwide. Das Übernahmeangebot für den restlichen Streubesitz liegt bei 6,80 Euro in bar (vgl. BZ vom 17. Januar). Der IT-Dienstleister M+S Elektronik hat im Dezember einen Insolvenzantrag gestellt, und die Aktie notiert seitdem im Penny-Stock-Bereich, ist also akut vom Delisting bedroht. Ebenfalls ein heißer Kandidat für einen Segmentwechsel ist die österreichische Kretztechnik AG, die nach einem Übernahmeangebots zu 92,5 % zu General Electric (GE) gehört.
Wenn es im Tempo des vergangenen Jahres weitergeht, kann sich das Wachstumssegment ohne Neuzugänge noch 13,5 Jahre halten, bevor die derzeit 324 Mitglieder verschwunden sind.
Von Alexandra Baude, Frankfurt
Wer kennt es nicht, das Lied von den zehn kleinen Negerlein. Würde der Text auf das derzeitige Geschehen am Neuen Markt übertragen, müsste es heißen: 324 kleine Unternehmen gingen an den Neuen Markt, eins davon wurde insolvent, da waren´s nur noch 323... Nach Brainpool, Brokat, Trius, Saltus und Ejay ist Kinowelt nun das sechste Unternehmen, das seit Jahresbeginn das Wachstumssegment der deutschen Börse verlässt. Das insolvente Medienunternehmen wechselt mit Ablauf des 22. Februars an den Geregelten Markt (siehe auch BZ Nr. 20 vom 30. Januar, Seite 12, "Kinowelt verlässt den Neuen Markt").
Kinowelt nimmt damit den sicheren Ausschluss durch die Deutsche Börse vorweg. Denn erstens fehlen den Münchnern die zwei geforderten Designated Sponsors, zweitens notiert die Aktie seit Ende August 2001 fast ununterbrochen auf Penny-Stock-Niveau. Nachdem im Dezember der Insolvenzantrag gestellt wurde, legten die BHF-Bank und die HypoVereinsbank ihr Betreuermandat nieder. Das Bankhaus Sal. Oppenheim war bereits im November als Betreuerbank abgesprungen.
Zu Beginn der im Mai 1998 mit einem Emissionspreis von 55 Euro gestarteten Börsenkarriere machte das Medienunternehmen vor allem durch starke Zuwächse bei Umsatz und Ergebnis sowie durch etliche Akquisitionen von sich reden. Seit März vergangenen Jahres änderten sich dann die Schlagzeilen, um die Liquiditätssituation rankten sich wilde Gerüchte - die stets dementiert wurden - und im Mai schockten die Münchner mit einer Gewinnwarnung. Für die Sparte Merchandising, die im Wesentlichen aus der Brameier Fanworld AG besteht, wurde im Juni ein Totalverkauf angedacht und die geplante Aufstockung auf 100 % bei der Sportwelt Beteiligungs GmbH wurde ad acta gelegt. Im Juli wurde die 40 %ige Beteiligung an der Berliner Progress Film-Verleih GmbH veräußert, zwei Monate später wurde der Kunstfilm-Verleih Arthaus geschlossen. Anfang dieser Woche wurde der 7,7 %ige Anteil an der insolventen Media-Netcom AG abgegeben.
Dass die Neuemissionswelle - die bereits im Vorjahr abebbte - zu keiner neuen Flut anwachsen würde, verwundert kaum. Auch dass sich der Trend des Vorjahres fortsetzen würde, ist die logische Konsequenz aus den Beobachtungen des bisherigen Marktgeschehens.
2001 war nicht nur das erste Jahr in der noch jungen Geschichte des Neuen Marktes, in dem erstmals Unternehmen von der Deutschen Börse hinausgeworfen und Sanktionen wegen zu später Übermittlung von Quartalsberichten und Jahresabschlüssen verhängt wurden. Es verließen auch mehr Gesellschaften den Neuen Markt als eintraten -11 Neueinsteigern standen 24 Ausscheider gegenüber. Private Media ist in diesem Jahr das bislang einzige Unternehmen, das den Gang an das einst so beliebte Wachstumssegment wagt. Diesem einen IPO stehen sechs Unternehmen gegenüber, die den Neuen Markt verlassen haben bzw. ihn bis zum 22. Februar 2002 verlassen werden.
Im Jahr 2000 sah das Verhältnis noch ganz anders aus: 127 Unternehmen stürmten an den Neuen Markt, wohingegen nur 2 Gesellschaften (LHS Group und SVC AG Schmidt Vogel Consulting) absprangen. 1999, als 118 Gesellschaften den Kurszettel verlängerten, verließen ebenfalls nur zwei Unternehmen (Lösch Umweltschutz AG und Sero Entsorgungs AG) das Wachstumssegment. 1998 (mit 37 Neueinsteigern) und 1997, dem Jahr der Gründung des Neuen Marktes, in dem sich 11 Unternehmen in diesem Segment notieren ließen, gab es keine Aussteiger.
Freiwillig oder unfreiwillig?
Die Gründe für ein Delisting sind unterschiedlich - entweder das Unternehmen wechselt freiwillig das Segment, geht im Rahmen einer Fusion bzw. Übernahme oder wird von der Deutschen Börse wegen Regelverstößen und / oder eines eröffneten Insolvenzverfahrens ausgeschlossen. Genau einen Monat, nachdem die Deutsche Börse den Ausschluss eines Unternehmens mitteilt, wird die Aktie nicht mehr am Neuen Markt, sondern automatisch am Geregelten Markt gelistet - bis September 2000 musste die Notierung am Geregelten Markt noch mit einer Bank zusammen explizit beantragt werden.
Seit Bestehen des Wachstumssegmentes kehrten 14 Unternehmen diesem freiwillig den Rücken, zehn Gesellschaften wurden ausgeschlossen und 9 verschwanden im Rahmen einer Fusion oder Übernahme, nach deren Abschluss der Streubesitz zu gering für einen Verbleib im Neuen Markt war. Sieben der zwangsweise verbannten Gesellschaften flogen wegen eines eröffneten Insolvenzverfahrens vom Kurszettel, bei drei Unternehmen nennt die Deutsche Börse Regelverstöße als Auslöser für den Ausschluss. Insgesamt verlor der Neue Markt 33 Mitglieder zwischen März 1997 und dem 22. Februar 2002, davon allein 24 im vergangenen Jahr. Auffallend ist, dass sich 2001 die Austritte gegen Jahresende häuften. Im ersten Quartal schieden vier Gesellschaften aus, im zweiten Quartal waren es zwei und im dritten Quartal gingen vier Unternehmen - insgesamt also zehn. Im Schlussquartal verlor der Neue Markt dann 14 Teilnehmer, acht davon im November und fünf im Dezember.
Ricardo.de eröffnete im Januar 2001 den Reigen der ausscheidenden Unternehmen. Das Internet-Auktionshaus wurde vom britischen Wettbewerber QXL übernommen, die restlichen noch im Streubesitz befindlichen Aktien werden im Geregelten Markt gehandelt. Es dauerte einen Monat, bis die nächste Übernahme den Kurszettel um eine weitere Position kürzte. Da die italienische Volksbankengruppe Bipop-Carire nach einem Umtauschangebot etwas mehr als 99 % der Titel der Entrium Direct Bankers AG in den Händen hielt, wurde die Notiz der restlichen Papiere im Februar am Geregelten Markt fortgesetzt.
Folgende Transaktion brachte das Wachstumssegment gleich um zwei Mitglieder: Die Beteiligung der Systematics an der MSH International Service von 79,3 % wurde im Rahmen eines öffentlichen Umtauschangebots auf über 97 % aufgestockt. Der Happen war für Systematics allerdings etwas zu groß, und das Unternehmen ging an EDS, einen Ableger von General Motors. Seit Februar wird MSH am Geregelten Markt gehandelt, Systematics folgte im Juni. Im Mai wechselte die Ision Internet AG mit ihren restlichen 2,2 % im Streubesitz liegenden Papieren in den Geregelten Markt, nachdem das Unternehmen von der Energis plc. erworben wurde. Fünf Monate später wechselte das letzte Unternehmen für 2001 nach abgeschlossener Übernahme das Segment. United Vision wurde von der Werbeagentur Scholz & Friends geschluckt und verlängert seit November als Scholz & Friends den Kurszettel am Geregelten Markt.
Freiwilliger Rückzug bevorzugt
Unter den zehn Gesellschaften, die dem Neuen Markt freiwillig den Rücken zukehrten, war bei der Hälfte ein Rauswurf bereits absehbar. Drei Gesellschaften waren insolvent und die Aktien von zwei Unternehmen notierten im Penny-Stock-Bereich. Ein freiwilliger Abgang wurde erst in der zweiten Jahreshälfte ein Thema für die Unternehmen. Den Anfang machte die insolvente Sunburst Merchandising AG, die im Juli Richtung Geregelter Markt entschwand. Nach eigenen Aussagen konnten die sich aus dem Regelwerk des Neuen Marktes ergebenden Pflichten nicht mehr erfüllt werden und es war zum Schluss nur mehr ein Designated Sponsor (Commerzbank) vorhanden. Auch die Refugium Holding AG i.A. war insolvent und verfügte nur noch über einen Designated Sponsor (Gontard & Metallbank), als der Seniorenheimbetreiber im August das Segment wechselte.
Der Penny Stock Team Communications Group, der sich künftig Impact Media Group nennen will, kam dem Delisting zuvor und wechselte ebenfalls im August das Segment, blieb aber an der Nasdaq (ebenfalls als Penny Stock) gelistet. Zudem musste das finanziell in Bedrängnis geratene Unternehmen im Juni 2001 für die verspätete Übermittlung des 2000er Jahresabschlusses 50 000 Euro an die Deutsche Börse berappen. Edel Music begründete den Ausstieg im Oktober mit den erheblichen finanziellen und personellen Kapazitäten, die ein Listing am Neuen Markt erfordert.
Auch bei den freiwilligen Aussteigern häuften sich die Abgänge zum Jahresende. Ohne Ausnahme schieden die Unternehmen im zweiten Semester aus, darunter fünf - und damit die Hälfte - im November: Die Mediantis AG i.A. verließ das Wachstumssegment, nachdem die Aktionäre auf einer außerordentlichen Hauptversammlung mit 99,97 % der anwesenden Stimmen (50,2 % des Grundkapitals) die Auflösung der Gesellschaft beschlossen hatten. Der französische Internet-Dienstleister Integra, der im Dezember 1999 in einem Zweitlisting als 200ster Wert am Neuen Markt erschien, verabschiedete sich allerdings nicht ohne im Mai mit einer von der Deutschen Börse verhängten Geldstrafe von 10 000 Euro wegen der verspäteten Lieferung des Jahresabschlusses 2000 aufzufallen.
Das Stuttgarter Medienhaus Dino Entertainment AG begründete den Ausstieg mit erheblichen Kosteneinsparungen und bezeichnete ihn als Konsequenz des eingeleiteten Restrukturierungsprogrammes auf dem Weg zur Profitabilität. Die Feedback AG ließ die Notierung am Neuen Markt ebenfalls aus Kostengründen einstellen, nachdem die durch das Moorhuhn-Spiel bekannt gewordene Phenomedia AG im Rahmen eines Tauschangebotes 86,92 % an dem Regensburger Unternehmen hielt.
Die insolvente Popnet Internet AG kam ihrem Rauswurf zuvor und strich im November freiwillig die Segel, nachdem sich Anfang Oktober die Commerzbank sowie das Bankhaus Sal. Oppenheim als Betreuerbanken verabschiedet hatten. Auch der Penny Stock Musicmusicmusic - der sich bereits auf der 2000 aufgekommenen "Todesliste" fand - ging lieber vorsichtshalber im Dezember freiwillig und wartete nicht erst den absehbaren Ausschluss ab. Als die Diskussion um die Delisting-Pläne der Deutschen Börse aufkamen, wurden diese prinzipiell von dem kanadischen Unternehmen begrüßt. Allerdings müssten dabei Gesellschaften betroffen sein, die Investoren betrogen hätten und ihre Pflichten nicht erfüllten - und nicht Unternehmen, die der generellen Stimmung am Neuen Markt zum Opfer gefallen seien (vgl. BZ vom 15.08.2001).
Prominente Namen führen die Liste an
Das erste Unternehmen, das wegen eines Regelverstoßes vom Neuen Markt ausgeschlossen wurde, war der Pleitefall Gigabell im Februar 2001. Erst ein halbes Jahr später, im August, wurde mit Teldafax das zweite Unternehmen, ebenfalls wegen Verstoßes gegen das Regelwerk, aus dem Wachstumssegment entfernt. Im November kam eine Lawine ins Rollen: Kabel New Media, Infomatec und MB Software verabschiedeten sich wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie Regelverstößen, die Notiz der Management Data fiel der Insolvenz zum Opfer. Im Dezember schlug dann für Lipro (wegen Insolvenz und Regelverstoßes) und Prodacta (lediglich aufgrund der Insolvenz) das letzte Stündlein. Beide Unternehmen waren schon zuvor ins Visier der Deutschen Börse geraten. Im Juni 2001 wurde Lipro wegen zu später Übermittlung des Jahresabschlusses 2000 eine Geldstrafe von 80 000 Euro auferlegt und Prodacta kostete derselbe Regelverstoß 50 000 Euro.
Da die neue Berichtssaison bevorsteht, darf nun gewettet werden, nicht nur welches Unternehmen als nächstes vom Kurszettel des neuen Marktes verschwinden wird, sondern auch, aus welchem Grund. Als erster Kandidat empfiehlt sich die Concept AG. 80 % deren Grundkapitals befinden sich bereits in den Händen der zur britischen WPP-Gruppe gehörende Ogilvyone Worldwide. Das Übernahmeangebot für den restlichen Streubesitz liegt bei 6,80 Euro in bar (vgl. BZ vom 17. Januar). Der IT-Dienstleister M+S Elektronik hat im Dezember einen Insolvenzantrag gestellt, und die Aktie notiert seitdem im Penny-Stock-Bereich, ist also akut vom Delisting bedroht. Ebenfalls ein heißer Kandidat für einen Segmentwechsel ist die österreichische Kretztechnik AG, die nach einem Übernahmeangebots zu 92,5 % zu General Electric (GE) gehört.
Wenn es im Tempo des vergangenen Jahres weitergeht, kann sich das Wachstumssegment ohne Neuzugänge noch 13,5 Jahre halten, bevor die derzeit 324 Mitglieder verschwunden sind.