die reise nach jerusalem
Die gute alte "Tube": Londons U-Bahn ist heruntergekommen, unzuverlässig und unbequem, aber immer noch das schnellste Transportmittel der britischen Hauptstadt. Das liegt allerdings daran, dass man in der Sieben-Millionen-Metropole anders überhaupt nicht vorankommt.
Vorige Woche musste ich nach Heathrow, von wo ich nach Dublin fliegen wollte. Die "Piccadilly Line" führt von der Innenstadt direkt zum Flughafen. Jedenfalls theoretisch. Bis Acton Town, wo sich die Linie gabelt, ging alles gut. Die Bahn war voll gestopft mit Menschen und ihrem Gepäck - darunter zwei Japaner mit einem Furcht einflößenden Schrankkoffer.
Am nächsten Bahnhof kam der Zug zum Stehen. "Das muss South Ealing sein", sagte ein Engländer in kurzen Hosen und wattierter Weste, ohne von seinem Leihbüchereibuch aufzublicken. "Hier bleibt die U-Bahn jeden Tag stecken." Nach einer Weile fuhr auf dem Parallelgleis der nächste Zug ein. Man beäugte sich gegenseitig argwöhnisch. Dann kam die Ansage durch das schnarrende Lautsprechersystem: Der Zug auf dem anderen Gleis würde vor unserem abfahren. Im Nu sprangen alle aus dem Abteil und quetschten sich in den anderen Zug, allen voran die beiden Japaner, die trotz Schrankkoffer einen Sitzplatz ergatterten. Nur der kurz behoste Engländer blieb sitzen. "Ist mir zu voll", sagte er. "Bis später dann."
Was er mit der ominösen Bemerkung meinte, wurde an der nächsten Station klar. Unser Zug blieb stehen, während auf dem Parallelgleis die Bahn einrollte, die wir gerade verlassen hatten. Sie war vollkommen leer, bis auf den Engländer mit seinem Büchereibuch. Unser Schaffner verkündete, dass der andere Zug früher als unserer losfahren würde, und wieder setzte eine Stampede quer über den Bahnsteig ein. Als ich mich ins Abteil gequetscht hatte, bemerkte ich, dass die beiden Japaner mit ihrem unhandlichen Gepäckstück neben dem stoischen Engländer saßen. Wie hatten sie das gemacht? Bieten sie im Fernen Osten Drängelkurse an, oder ist das angeboren? Waren es gar zwei identische Japanerpaare mit identischen Schrankkoffern? Ich kam mir vor wie der Hase gegen zwei orientalische Igel.
Bei der Station Osterley hatten wir uns an die "Reise nach Jerusalem" gewöhnt. Natürlich saßen die Japaner längst fröhlich im Zug, als ich mich hineingezwängt hatte. Der Schaffner erklärte bedauernd, dass er nichts dafür könne, sondern dass den Zügen von höherer Stelle Priorität zugewiesen werde. Ab jetzt hätten wir aber nichts mehr zu befürchten, denn nun verlaufe die Strecke eingleisig, sodass uns der andere Zug unmöglich überholen könne. Das war gelogen.
Zwei Haltestellen vor unserem Reiseziel verkündete der Zugführer, dass unser Zug nur bis Hatton Cross fahren würde - eine Station vor Heathrow. Er entschuldigte sich für die kurzfristige Umdisponierung. Der nächste Zug sei uns aber dicht auf den Fersen. Die Wiedersehensfreude mit dem Engländer, der noch immer auf seinem angestammten Platz saß, neben ihm die beiden Japaner, hielt sich in Grenzen. Mein Flugzeug war über alle Berge.
taz
Die gute alte "Tube": Londons U-Bahn ist heruntergekommen, unzuverlässig und unbequem, aber immer noch das schnellste Transportmittel der britischen Hauptstadt. Das liegt allerdings daran, dass man in der Sieben-Millionen-Metropole anders überhaupt nicht vorankommt.
Vorige Woche musste ich nach Heathrow, von wo ich nach Dublin fliegen wollte. Die "Piccadilly Line" führt von der Innenstadt direkt zum Flughafen. Jedenfalls theoretisch. Bis Acton Town, wo sich die Linie gabelt, ging alles gut. Die Bahn war voll gestopft mit Menschen und ihrem Gepäck - darunter zwei Japaner mit einem Furcht einflößenden Schrankkoffer.
Am nächsten Bahnhof kam der Zug zum Stehen. "Das muss South Ealing sein", sagte ein Engländer in kurzen Hosen und wattierter Weste, ohne von seinem Leihbüchereibuch aufzublicken. "Hier bleibt die U-Bahn jeden Tag stecken." Nach einer Weile fuhr auf dem Parallelgleis der nächste Zug ein. Man beäugte sich gegenseitig argwöhnisch. Dann kam die Ansage durch das schnarrende Lautsprechersystem: Der Zug auf dem anderen Gleis würde vor unserem abfahren. Im Nu sprangen alle aus dem Abteil und quetschten sich in den anderen Zug, allen voran die beiden Japaner, die trotz Schrankkoffer einen Sitzplatz ergatterten. Nur der kurz behoste Engländer blieb sitzen. "Ist mir zu voll", sagte er. "Bis später dann."
Was er mit der ominösen Bemerkung meinte, wurde an der nächsten Station klar. Unser Zug blieb stehen, während auf dem Parallelgleis die Bahn einrollte, die wir gerade verlassen hatten. Sie war vollkommen leer, bis auf den Engländer mit seinem Büchereibuch. Unser Schaffner verkündete, dass der andere Zug früher als unserer losfahren würde, und wieder setzte eine Stampede quer über den Bahnsteig ein. Als ich mich ins Abteil gequetscht hatte, bemerkte ich, dass die beiden Japaner mit ihrem unhandlichen Gepäckstück neben dem stoischen Engländer saßen. Wie hatten sie das gemacht? Bieten sie im Fernen Osten Drängelkurse an, oder ist das angeboren? Waren es gar zwei identische Japanerpaare mit identischen Schrankkoffern? Ich kam mir vor wie der Hase gegen zwei orientalische Igel.
Bei der Station Osterley hatten wir uns an die "Reise nach Jerusalem" gewöhnt. Natürlich saßen die Japaner längst fröhlich im Zug, als ich mich hineingezwängt hatte. Der Schaffner erklärte bedauernd, dass er nichts dafür könne, sondern dass den Zügen von höherer Stelle Priorität zugewiesen werde. Ab jetzt hätten wir aber nichts mehr zu befürchten, denn nun verlaufe die Strecke eingleisig, sodass uns der andere Zug unmöglich überholen könne. Das war gelogen.
Zwei Haltestellen vor unserem Reiseziel verkündete der Zugführer, dass unser Zug nur bis Hatton Cross fahren würde - eine Station vor Heathrow. Er entschuldigte sich für die kurzfristige Umdisponierung. Der nächste Zug sei uns aber dicht auf den Fersen. Die Wiedersehensfreude mit dem Engländer, der noch immer auf seinem angestammten Platz saß, neben ihm die beiden Japaner, hielt sich in Grenzen. Mein Flugzeug war über alle Berge.
taz