Von Kathrin Hille aus der FTD
Die Party zu seinem 60. Geburtstag nutzte Abdurrahman Wahid am vergangenen Freitag, um noch einmal richtig zu feiern. Im Sommerpalast Cipanas, 75 Kilometer südlich von Jakarta, hatte Indonesiens Präsident all jene um sich versammelt, die ihm gewogen waren: seine Familie und seine Freunde.
Durch die Zeremonie führte die First Lady. Für das leibliche Wohl der Gäste war gesorgt: Ein riesiger Reiskuchen wurde angeschnitten, Hirsch-Spieße aufgetragen. Am Abend lud Nina Akbar, die Frau des Parlamentspräsidenten, zum Puppentheater.
Ab Montag wird es für den Präsidenten wieder ernst, sehr ernst. Wahid muss vor der Nationalversammlung (MPR) seine Rede zur Nation halten. Eine Art Reifeprüfung: Denn die Abgeordneten, die ihn vor knapp einem Jahr gewählt haben, drohen damit, Wahid seines Amtes zu entheben. Sie werfen dem einst als Hoffnungsträger gefeierten Staatsoberhaupt Diktator-Allüren, Inkompetenz und Vetternwirtschaft vor.
Für ausländische Investoren ist die Unsicherheit über Wahids Zukunft ein fatales Signal. Der greise Präsident, der dem 200-Millionen-Volk den Übergang zur Demokratie verschafft hat, galt ihnen als Garant für die Stabilität des Landes. Damit ist es erst einmal vorbei: Die Landeswährung tanze derzeit "wie ein Jo-Jo", spotten Händler in Jakarta.
Eine gefährliche Lage. Solange die Rupiah tanzt, misstrauen ausländische Investoren dem Land. Dringend benötigtes Kapital zum Wiederaufbau der Wirtschaft bleibt aus.
Immer lautstarker drängen die indonesischen Unternehmer die streitenden Politiker daher zum Einlenken. "Wir fordern die Abgeordneten auf, ihre Machtkämpfe zurückzustellen", sagt Aburizal Bakrie, Vorsitzender der Industrie- und Handelskammer Kadin. "Die Wirtschaftskrise geht ins vierte Jahr, und es gibt keine deutlichen Signale für eine Erholung".
Vergangene Woche schien es, als würden die Kampfhähne den Appell tatsächlich beherzigen. Am Dienstag führte Wahid mit seinen Koalitionspartnern ein "klärendes Gespräch". Einigkeit herrscht deshalb noch lange nicht. Vizepräsidentin Megawati Sukarno Putri blieb der Geburtstagsparty trotz Einladung fern.
Unverhoffte Rückendeckung erhielt Wahid durch zwei andere Ereignisse. Am Donnerstag erhob Generalstaatsanwalt Marzuki Darusman Anklage im Korruptionsverfahren gegen Ex-Diktator Suharto. Am Tag darauf legte das Statistikamt Wachstumszahlen vor, mit denen selbst Optimisten nicht gerechnet hatten. So stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im zweiten Quartal um 4,13 Prozent - ein erster Hoffnungsschimmer nach dem Einbruch um 14 Prozent 1998 und der Stagnation im vergangenen Jahr.
In der Nationalversammlung dürfte es dennoch hoch hergehen. Der Problemberg, vor dem Indonesien steht, ist gewaltig. Zu langsam ist die Regierung seit ihrem Amtsantritt im Oktober 1999 vorangekommen. Das gilt vor allem für die Jagd auf säumige Schuldner. Zum Ende des Krisenjahres 1998 stand die Privatwirtschaft bei den Banken mit 118 Mrd. $ in der Kreide. 60 Prozent der Kredite entfallen auf ausländische Banken.
Die so genannte Jakarta-Initiative zur freiwilligen Umschuldung hat bislang wenig bewirkt. Von den mehr als 330 Unternehmen, die dort mit mit Schulden von rund 23 Mrd. $ registriert sind, wurden gerade mal sechs Firmen umgeschuldet, und damit weniger als 1 Mrd. $.
Der Weg über das Insolvenzverfahren ist für die Gläubiger keine Alternative. Obwohl das Parlament 1998 ein neues Insolvenzgesetz verabschiedet hat, "bleiben die Urteileunberechenbar", so die Weltbank. Richter wie Schuldner gelten alsinkompetent, korrupt oder beides.
Erst seit einigen Monaten ist die Regierung in Jakarta wirklich darum bemüht, diesem Treiben ein Ende zu setzen. In ihrer jüngsten Absichtserklärung hat sie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) versprochen, störrische Schuldner hartnäckiger zu verfolgen. So beschlagnahmte die Bankrestrukturierungsbehörde Ibra 14 Hektar Land, die das Unternehmen einer Suharto-Tochter als Sicherheit bereitgestellt hatte.
Solche Sicherheiten wird die Behörde allerdings nur zu einem Bruchteil des veranschlagten Wertes wieder los. Das reißt riesige Löcher in den Staatshaushalt. Seit März 1998 ist die Gesamtverschuldung der Zentralregierung von 23 Prozent des BIP auf 91 Prozent (Stand: Ende März 2000) gestiegen. "Damit bleibt der Regierung kaum Spielraum, um die sozialen Folgen der Wirtschaftskrise aufzufangen", warnt die Weltbank.
Das war bereits in der Vergangenheit deutlich zu spüren. Die Durchschnittslöhne sind seit Ausbruch der Wirtschaftskrise um 34 Prozent gesunken; in der Landwirtschaft sogar um 40 Prozent. Lebten zu Boomzeiten nur 11,3 Prozent aller Haushalte unter der Armutsgrenze, so sind es heute 20,3 Prozent.
Die Armut bremst die notwendige Deregulierung. Seit langem fordert der IWF das Ende der Subventionen für Kochöl, Treibstoff und Reis. Nach einem IWF-Arbeitspapier müsste etwa der Preis für Diesel um 40 Prozent herauf gesetzt werden, um an das Weltmarktniveau heranzureichen. Das Parlament hat lediglich eine Erhöhung der Treibstoffpreise von 13,5 Prozent bewilligt.
"Natürlich braucht man einen vorübergehenden Ausgleich für die Ärmsten", sagt Ehtisham Ahmad, Ko-Autor, des IWF-Papiers. Und schlägt zur Abfederung die Ausgabe von Kerosin-Coupons vor.
Bei einer solchen Lösung wäre jedoch der Missbrauch vor Ort programmiert. Zumal die Regierung in Jakarta den Provinzen nach den Plänen des IWF ab 2002 finanzpolitische Autonomie zugestehen soll. In allen 66.000 Dorfverwaltungen müssten Beamte zur Überwachung postiert werden. Kosten: 46 Mio. $ pro Jahr.
Eine Alternative zur Dezentralisierung gibt es für Jakarta nicht. Denn nur so kann die Regierung die nach Unabhängigkeit strebenden Provinzen überhaupt im Verbund halten. In Aceh am Nordzipfel der Insel Sumatra und Westpapua am anderen Ende des Inselreichs fordern Widerstandsgruppen offen die Abspaltung. Hätten sie Erfolg, könnte das eine Kettenreaktion auslösen.
Grund für das Unabhängigkeitsstreben sind die Lebensbedingungen vor Ort. Westpapua etwa ist eine der ärmsten Provinzen Indonesiens. "Wir wandern kollektiv nach Papua-Neuguinea aus, wenn sich nicht endlich jemand um uns kümmert", droht Demainus Kyeuw-Kyeuw, Lokalbeamter nahe der Grenze. Die Straßen, die sein Dorf mit der Außenwelt verbinden, seien so kaputt, dass die Bauern ihre Waren nicht mehr auf den Markt schaffen könnten.
Zusätzlich erschwert wird der ökonomische Wiederaufbau des Landes durch blutige Scharmützel wie sie sich Muslime und Christen auf den Molukken liefern. Die Gerüchte wollen nicht abreißen, dass die Militärs den Konflikt anheizen, statt ihn zu lösen. "Alle wissen, dass die Gewalt auf eine Verschwörung Dritter zurückgeht", sagt Provinzgouverneur Saleh Latuconsina.
Die Militärs, von Ex-Diktator Suharto als staatstragendes Element installiert, konnte Wahid nur scheinbar in ihre Schranken weisen. Zwar versuchte er gleich nach seiner Wahl, den Uniformierten ihre Rolle als offizielle Ordnungsmacht zu entziehen: Er wechselte die Führung aus, verbündete sich mit der unter Suharto ins Abseits geratenen Marine, drängte das Heer an den Rand.
Doch die Militärs können sich mit diesem Machtverlust offenbar nicht abfinden. Ende Juli musste ein Offizier zugeben, dass auf den Molukken Angehörige des berüchtigten Spezialkommandos Kopassus im Einsatz sind. Die Männer, deren Markenzeichen lange Haare sind, waren unter Suharto für die Drecksarbeit zuständig. "Wenn die jetzt in den Molukken auftauchen, ist das ein beunruhigendes Zeichen", sagt ein westlicher Diplomat in Jakarta. Beobachter glauben, die alte "Elitetruppe" stachele den Konflikt vorsätzlich an, um sich unersetzlich zu machen.
Wahids Liste unerfüllter Aufgaben ist also lang. Die Sitzung der Nationalversammlung wird daher mit Spannung erwartet. Bei vielen Anhängern Wahids gilt dieser Montag als "D-Day". Wenn die MPR-Abgeordneten den Präsidenten zu hart anfassen, könnte dessen 30 Millionen Mitglieder starke Moslemorganisation Nadhlatul Ulama (NU) versuchen, Zeichen zu setzen. Der militante NU-Flügel Banser hat bereits gedroht, er werde für Wahids politisches Überleben notfalls kämpfen. Zugleich hat Satgas, der militante Flügel von Vizepräsidentin Megawatis Demokratischer Kampfpartei (PDI-P) mobil gemacht, um die Sitzung zu "schützen".
Jakarta kann sich auf ein paar heiße Tage einstellen. "Unruhestifter werden auf der Stelle erschossen", kündigte ein Polizeibeamter in Jakarta vorsichtshalber schon mal an.