Dienstag, 3. September 2002
Dabei sein ist alles!
Vom Hoffen und Bangen der Splitterparteien
Neben den sechs im Bundestag vertretenen Parteien haben 22 weitere ihre Teilnahme an der Bundestagswahl 2002 beim Bundeswahlleiter angemeldet und die Bedingungen für die Zulassung erfüllt. Von diesem Erfolg abgesehen ist ihnen vor allem eines gemeinsam: dass sie auch nach dem 22. September nicht im Bundestag vertreten sein werden.
Nicht allen Kandidaten ist dabei der klare Blick der Tierschutz-Partei gegeben: Um wenigstens am Wahlabend einmal genannt zu werden, fordern die Tierschützer, bei der Wahlberichterstattung wieder zur Praxis einer Aufgliederung der Ergebnisse der "Sonstigen" zurückzukehren.
20 Prozent für die Violetten
Andere Parteien sind deutlich optimistischer: So verbreitet die Alternative spirituelle Politik im neuen Zeitalter (Die Violetten) hinsichtlich ihrer eigenen Erfolgsaussichten folgende etwas halsbrecherisch anmutende Prognose: "Zirka 10 Millionen Menschen in Deutschland sind von Karma und Reinkarnation überzeugt. Diese 10 Millionen könnten das Wählerpotential sein und damit Die Violetten auf 20% aller Wählerstimmen bringen."
Immerhin dämpfen Die Violetten auf ihrer Internetseite die Hoffnung auf Einzug in den Bundestag als drittstärkste Kraft selbst, denn, so lesen wir weiter, "diese 10 Millionen sind nur zu einem kleinen Teil spirituell, die meisten sind religiös und wählen dementsprechend eine religiöse Partei oder gehen nicht zur Wahl." Logisch.
Und tragisch zugleich: "Die im Bundestag vertretenen materialistischen und religiösen Parteien betreiben eine Politik, der noch keine spirituellen Erkenntnisse zugrunde liegen, die für die Verwirklichung des spirituellen freiheitlichen Zeitalters jedoch erforderlich sind. Auch die Programme der nationalistischen Parteien und der religiösen Kleinparteien sind nicht aus spirituellen Erkenntnissen entstanden." Im Klartext: Das spirituelle Zeitalter wird in Deutschland auf absehbare Zeit nicht verwirklicht werden können.
"Es geht um Ihre Gesundheit"
Überraschend weit ist auch der Bogen, den die Partei Aufbruch spannt. Selbst wenn die Begrüßung auf der an Reformhaus-Produkte erinnernden Website noch recht präzise formuliert ist - "Spenden Sie für unseren Bundestagswahlkampf, es geht um Ihre Gesundheit" - wird bald klar, dass es so einfach dann doch nicht und mit Spenden alleine schon gar nicht getan ist, denn: "Deutschland bildet nicht nur geographisch die Mitte Westeuropas. Es ist ein Schicksalsland der Menschheit als solches." Weshalb das neue Bewusstsein der Bevölkerung, das sich in "psychotherapeutischen Lebensansätzen" und der New-Age-Bewegung ebenso bezeugt habe wie in "Bürgerinitiativen gegen Mobilfunk, Gentechnologie und Atomkraft" nun auch endlich im Bundestag Einzug halten müsse.
Apokalypse und Zeigefinger
Generell scheint für viele der kleinen Parteien die Versuchung unwiderstehlich zu sein, wahlweise die große Zeitenwende oder überdurchschnittlich hohe moralische Ansprüche für sich in Anschlag zu bringen. Womöglich können sich die Kandidaten selbst nicht so richtig vorstellen, wieso bei einem halbwegs geregelten Verlauf der Weltgeschichte jemand auf die Idee kommen sollte, ihnen seine wertvolle Stimme zu geben.
Ein Paradebeispiel für das Schema Zeitenwende ist die Bürgerrechtsbewegung Solidarität (BüSo), die im wesentlichen aus Helga Zepp-LaRouche zu bestehen scheint und auch die wahren Hintergründe des 11. September kennt. Frau Zepp-LaRouche ("Finanzkrach und Kriegsgefahr - Ich weiß, was zu tun ist!") hat im Wahlkampf den unschätzbaren Vorteil, sich auf "meinen Ehemann Lyndon LaRouche" berufen zu können.
Dieser konnte zwar, wie wir einer Kurzbiographie auf der BüSo-Website entnehmen, dem globalen Finanzkollaps nicht selbst entgegentreten, weil die "Machtergreifung von George W. Bush" dazwischen kam. Doch würde zur Not auch Ehefrau Helga die Regierungen der Welt drängen, "das globale Finanz- und Währungssystem umgehend einem geordneten Bankrottverfahren zu unterziehen". Rettung - zumindest für Deutschland - käme danach über die "eurasische Landbrücke", eine Art Remake der Seidenstraße.
Das Problem dieser Art Wahlwerbung: die Klientel für derartige Weltbilder ist entweder knapp zwanzig und hat die Welt gerade selbst so gut verstanden, dass sie auf alle weiteren Aufklärungsversuche verzichten kann, oder sie ist schon älter und Mitglied einer konkurrierenden Splitterpartei. Der verbleibende Rest verteilt sich in Promille-Dosen auf die 22 Klein-Bewerber um den Bundestags-Einzug.
Christen ohne Kondom
Unter diesen finden sich neben sechs Parteien, die dem rechten Lager zuzuordnen sind und in Auftritt und Organisation erwartungsgemäß nichts Neues zu bieten haben, auch zwei Vereinigungen unter dem Siegel "Christen", bei denen zumindest die Themenauswahl erfrischend ist.
Die drängendsten Fragen, mit denen sich die Vertreter der Christlichen Mitte (CM) auf ihrer Startseite im Netz beschäftigen, lauten a) "Sind Kondome ein Schutz gegen AIDS, wie selbst das Gesundheitsministerium in seiner Werbung behauptet?" (Antwort: Nein, wirksam schützt nur die Ehe) und b) "Ist die Existenz Gottes wissenschaftlich beweisbar?" (Antwort nicht auf der Seite selbst, aber bei einem in Kürze stattfindenden Vortrag).
Die Partei Bibeltreuer Christen (PBC) setzt auf Platz eins ihres Programms die Wiederabschaffung der Homo-Ehe. Der Geist, dem dieser originelle Einfall entspringt, offenbart sich auch in den Programmpunkten zu Zuwanderung, Asylpolitik und - oft vergessen - "Moscheen in Deutschland". O-Ton: "Vor der Genehmigung weiterer Moscheebauten in Deutschland ist auf die Unterdrückung der Christen und die Missachtung der Menschenrechte in den islamischen Ländern hinzuweisen."
Nur der Name ist Programm
Die meisten der verbleibenden Splitter-Parteien im Rennen gehören zur Kategorie derer, bei denen der Name - und meist nur der Name - Programm ist. Entweder wird die ganze Welt aus einem Prinzip erklärt, oder es wird einfach nur ein Thema wahrgenommen.
Die Bayernpartei verfolgt eigentlich nur landespolitische Ziele, die aber laut Programm "glaubhaft nur von eigenen Bundestagskandidaten vertreten werden" können. Für die Feministische Partei (Die Frauen) ist der Mann das Feindbild ("Die prekäre Weltlage, in der wir uns befinden, die Armut, der Hunger, die Ausbeutung von Menschen und der Raubbau an der Natur, alle Kriege und die Gefährdung unseres Lebens durch Atomkraftwerke und Chemieindustrie sind Werke von Männern. Sie sind in den Köpfen von Männern entstanden und werden unter der Herrschaft von Männern ausgeführt."). Entsprechendes gilt für die Tierschutz-Partei, die Familien-Partei, Die Grauen und in besonderer Weise für die Partei für Rentengerechtigkeit (PRG).
Geübte Verlierer
Bleiben die routinierten Verlierer KPD, ÖDP, und Zentrum ("Älteste Partei Deutschlands"), deren Problem in erster Linie darin besteht, dass sie in zu großer thematischer und ideologischer Nähe zu einer der sechs im Parlament vertretenen Parteien laborieren, was die Wahl des Wählers auf das "Markenprodukt" fallen lässt.
Und dann gibt es - als letztes - auch noch die Humanistische Partei (HP). Dass sie nicht in den Bundestag kommen wird, ist in der Tat eine Schande. Denn die HP weiß als einzige, was "wirklich menschlich" ist.
Quelle: www.n-tv.de/3062708.html