Noch rollt der Rubel nicht so recht am Hindukusch. Die Kabuler Zentralbank will das Finanzsystem daher wiederbeleben. Sie hofft dabei auf zweierlei: Auf das Goodwill der Russen und auf Know-how aus Deutschland.
Ein Angestellter der Afghanischen Zentralbank neben einem Bündel Geldnoten
Kabul - Viel Platz zum Treten bleibt hier nicht. Knarrend geht die schwere Stahltür auf, ein, zwei Schritte - dann versperrt ein riesiger Berg den Weg: Papierbündel, gestapelt wie Briketts bis hoch zum Deckenrand.
Es sind zusammengeschnürte rötliche Scheine: alles Afghani, die Landeswährung am Hindukusch. Alhaj Abdul Zaher zählt 50 Reihen mit je 1250 Päckchen, jedes voller abgegriffener 100-Afghani-Scheine: "3,35 Milliarden" stellt er mit Griff zum Rechner fest - 90.540 Dollar laut Tageskurs.
Im Nebenraum erhebt sich ein ähnlicher, nur grünlich schimmernder Berg: 500er und 1000er Scheine. Das, sagt Zaher, seien immerhin schon 5,6 Milliarden Afghani, was derzeit genau 151.351 Dollar entspricht.
Die beiden Räume liegen im Erdgeschoss. Sie sind nur grob verputzt, feucht und muffig, zwecks Lüftung sind zwei Fenster zur Hofseite aufgesperrt. Es kann nicht schwer sein, von dort aus in das Geldlager der Kabuler Zentralbank zu gelangen.
Währungssystem kollabiert
Das Finanzhaus nennt sich wie schon zur Königszeit "Afghanistan Bank", und der silberbärtige würdevolle Abdul Zaher, 64, ist ihr Chefkassierer - und das bereits 45 Jahre lang. Auch er war schon unter Monarch Zahir Schah im Amt, nur während des Taliban-Regimes hat er sich eine Aus-Zeit gegönnt.
Der Zustand der zentralen Schatzkammer in Kabul entspricht exakt dem des afghanischen Währungssystems: Es ist völlig kollabiert. Es gibt kein Kontensystem mehr, keinen Geldtransfer zwischen den Banken, keine Geldkarten, keine Kredite. Der Währungskreislauf beruht ausschließlich auf Bargeld, die größte und gängigste Note - der blaue 10.000er Afghani - ist umgerechnet derzeit gerade mal 31 Cent wert.
Nicht nur, dass das monetäre Afghanistan noch in der Zeit vor dem Bürgerkrieg steckt - Zahers Tresore sind Jahrgang 1940, sie stammen aus den Düsseldorfer Geldschrankwerken Peltz und den Ostertag-Werken in Aalen, und die Schreibmaschinen heißen Optima, "made in GDR".
Geldzählen bei der Zentralbank: Noch rollt der Rubel nicht so recht am Hindukusch
Den totalen Zusammenbruch aber haben erst die Taliban herbeigeführt. Regimeführer Mullah Omar finanzierte den Bürgerkrieg aus seinen vollgestopften Geldkisten unterm Bett, die Gotteskrieger verboten jegliche Zinszahlungen, und bei ihrer Flucht im November nahmen die frommen Fundis Millionen amerikanischer Dollar, pakistanischer Rupien und kurioserweise sogar bündelweise Afghani mit.
Wie viel einheimisches Geld überhaupt noch in Afghanistan oder den Nachbarländern zirkuliert - Abdul Qadier Fitrat, 38, der amtierende Präsident der Zentralbank, weiß es nicht. Der Alan Greenspan der afghanischen Übergangszeit hat die letzten fünf Jahre in der Nähe von Washington verbracht. Nun soll der studierte Ökonom dem Bankensystem seiner Heimat erneut Leben einhauchen.
Keine Hoheit über den Afghani
Aber allein schon die Hoheit über den Druck des Afghani liegt nicht bei den Afghanen selbst. Seit der Aprilrevolution, dem prokommunistischen Militärputsch von 1978, werden die Scheine im fernen St. Petersburg gedruckt. Die Russen hätten, beteuert Fitrat, den Druck des Afghani vor drei Monaten gestoppt. Auch sei zwischen Kabul und Moskau definitiv ausgemacht, die Druckplatten zurückzugeben. Ausländische Finanzexperten haben jedoch festgestellt, dass die Landeswährung nach wie vor säckeweise von Usbekistan aus über die Grenze befördert wird.
Mit der Möglichkeit, den Afghani zu drucken, haben die Russen ein politisches Instrument in der Hand: Sie könnten bei Bedarf den Geldumlauf aufblähen, damit Preissteigerungen und eine weitere Entwertung des Afghani einleiten - und auf diese Weise Volkszorn gegen die Interimsregierung von Premier Hamid Karzai schüren.
Abwegig ist das nicht. So vertreibt General Abdul Raschid Dostam, Afghanistans berüchtigster Warlord und Herrscher in den Nordprovinzen rund um Masar-i-Scharif, mit russischer Hilfe seit Jahren schon eine Kopie der nationalen Währung, die ebenfalls in St. Petersburg gedruckt wird - und sorgt damit für reichlich Verwirrung im Land. In Kabul ist sie allerdings nur halb so viel wert wie der reguläre Afghani.
Afghani gegen US-Dollar: Geldwechsler bei der Arbeit
Grund zur Einmischung hätte Moskau durchaus. Der Kreml ist in Kabul inzwischen ins Hintertreffen geraten und im Friedensprozess kaum noch präsent. Mehr noch: Nach dem Mord an Luftfahrtminister Rahman sind ausschließlich Männer der Jamiat-i-Islami verhaftet worden, jener Partei, die vom tadschikischen Ex-Präsidenten Rabbani geführt wird - dem bislang engsten Verbündeten der Russen. Denen dürfte das sauer aufgestoßen sein.
Moskau könnte selbstgedruckte Afghani auch zur eigenen wirtschaftlichen Sanierung auf den afghanischen Markt werfen - und dort in amerikanische Dollar umtauschen. Sollten die Russen sich derart vertragswidrig verhalten, so droht Zentralbank-Chef Fitrat, werde Kabul umgehend den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anrufen.
Erstmals wieder Gehälter
Noch gehen taufrische Afghani zu Hauf über die Tresen der mühsam wiederbelebten Schalterhalle seiner Afghanistan-Bank. An Schalter 1 werden neu gedruckte 10.000er-Bündel, noch in Folie eingeschweißt, an Abgesandte der Kabuler Ministerien ausgereicht - die Zentralbank zahlt für die letzten zwei Monate erstmals Gehälter an Regierungsbedienstete aus.
Neun Schalter weiter tröpfeln die kargen Einnahmen herein: Pächter der zahlreichen Staatsgeschäfte begleichen in schmierigen 1000er Scheinen Mieten, Steuern und Abgaben. Das ist der gesamte Geldverkehr, der derzeit über Fitrats Institut läuft.
Die eigentliche Kontrolle der afghanischen Finanzströme findet einen Kilometer entfernt statt, bei Haji Amin Jan, 40. Der rundliche Mann aus der Provinz Khost führt die Aufsicht über den brodelnden Geldwechslermarkt am früheren Chahr-Chattan-Basar und betreibt zugleich eine eigene Wechselstube: "Jan & Brothers Currency Exchange". Er hockt unter einer Decke, schlürft Tee und lässt die Tasbe, die muslimische Variante des Rosenkranzes, durch seine wurstigen Finger gleiten.
Geldlager in der National Bank in Kabul
"Unser Geld hängt zur Zeit völlig in der Luft, es ist durch nichts gedeckt", brummt der Haji. Allein die Männer, die sich zu Hunderten draußen auf dem Hof Zahlen zuschreien, machen den Afghani-Kurs. Er steigt, wenn es neue Nachrichten über die bevorstehende Rückkehr des Königs gibt, aber noch schneller fällt er, wenn Radio Kabul oder Reisende von Scharmützeln zwischen den Milizen der Bürgerkriegsparteien berichten. Zu Taliban-Zeiten brachte ein Dollar 75.000 Afghani. Inzwischen ist der Wert der Landeswährung immerhin gestiegen, für einen Greenback geben die Wechsler nur noch 36.000 heraus.
Dollar und Rupien werden bislang per Auto über die pakistanische Grenze herbeigeschafft. Allerdings haben die internationale Schutztruppe Isaf, die Uno und die zahlreichen nichtstaatlichen Organisationen, die sich in Afghanistan engagieren, für einen Bargeld-Boom gesorgt. Ihr Geld wird per Flugzeug eingeflogen und zum Teil auf dem Basar von Amin Jan eingetauscht.
Zwischen Elbmündung und Hindukusch
Was in der Zentralbank derzeit noch undenkbar ist - auf dem freien Geldmarkt klappt es erstaunlich gut: der Geldtransfer über Ländergrenzen hinweg. Die Wechselstube Nr. 115 im ersten Stock zum Beispiel hält Verbindung ins deutsche Hamburg. Wer beim dortigen Kontaktmann eine Dollarsumme zur Überweisung nach Kabul präsentiert, kann sichergehen, dass der Adressat sie noch am selben Tag bei Geldwechsler Amir Jan erhält.
Die Überweisung wird per Fax geregelt, der Empfänger gibt lediglich die Nummer der Hamburger Quittung und zwei vereinbarte persönliche Kennzeichen an. Auf der Strecke zwischen Elbmündung und Hindukusch setzt Jan auf diese Weise monatlich rund 70.000 Dollar um.
Von solcher Flexibilität kann Zentralbankchef Fitrat derzeit nur träumen. Wie sein Finanzinstitut mit einem Großteil der 5,2 Milliarden Euro zurechtkommen soll, die die Welt Afghanistan inzwischen als Wiederaufbaugelder zugesichert hat, bleibt rätselhaft.
Chefbanker Fitrat hat zwar schon einen Computer auf seinem Schreibtisch stehen, doch der ist nicht einmal mit den Geräten anderer Abteilungen verknüpft, geschweige denn mit dem Internet. Fitrat benutzt die feine Anlage neben der Nationalflagge als bessere Schreibmaschine.
Seine Hauptbeschäftigung besteht bislang darin, Leute von IWF und Weltbank zu empfangen, Uno-Emissäre sowie Botschaften westlicher Geldinstitute. Die neuesten Briefe stammen aus Deutschland, es sind Hilfsangebote von Commerz- und Bundesbank. Die Deutschen wollen Supervisor stellen, Bankangestellte trainieren, Computertechnik schicken und die Afghanen in die Geheimnisse des Online-Banking einführen. Ein gewagter Sprung vom 19. Jahrhundert in die Internet-Zeit.
Bereits vor Tagen war der Auslandschef der Notendruckerei Giesecke & Devrient zum Sondieren in Kabul. Die Münchner könnten zum wichtigen Partner der Afghanen werden, sollte sich die im Juni zu wählende Übergangsregierung entschließen, einen neuen, wirklich sicheren Afghani einzuführen.
Die Zeit drängt
Für die ins Auge genommene Währungsreform brauche Kabul laut Fitrat allerdings "noch mindestens ein Jahr Zeit". In der Schwebe ist auch der Vorschlag des IWF, erst einmal den Dollar als vorläufige Währung in Afghanistan einzuführen - darüber zu entscheiden hat das gegenwärtige Karzai-Kabinett.
Für afghanische Geschäftsleute aber, die nicht auf ausländische Hilfe warten, sondern selbst beim Wiederaufbau anpacken wollen, drängt die Zeit. Sie brauchen frisches Geld, um die Gründerzeit am Hindukusch als Chance für sich zu nutzen.
Die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau, die im Auftrag des Berliner Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit derzeit 22 Millionen Euro auf afghanische Hilfsprojekte verteilt, denkt deswegen über eine Kabuler "Mikrobank" nach - ein Institut, das Kredite bis zu 5000 Dollar an einheimische Kleinunternehmen verteilt.
"Für die Afghanen wäre das ein Hoffnungsschimmer", glaubt Projektmanager Martin Jenner, "jedenfalls so lange, bis ihr Währungssystems wieder aus dem Koma erwacht".
spiegel.de
Gruß
Happy End
Ein Angestellter der Afghanischen Zentralbank neben einem Bündel Geldnoten
Kabul - Viel Platz zum Treten bleibt hier nicht. Knarrend geht die schwere Stahltür auf, ein, zwei Schritte - dann versperrt ein riesiger Berg den Weg: Papierbündel, gestapelt wie Briketts bis hoch zum Deckenrand.
Es sind zusammengeschnürte rötliche Scheine: alles Afghani, die Landeswährung am Hindukusch. Alhaj Abdul Zaher zählt 50 Reihen mit je 1250 Päckchen, jedes voller abgegriffener 100-Afghani-Scheine: "3,35 Milliarden" stellt er mit Griff zum Rechner fest - 90.540 Dollar laut Tageskurs.
Im Nebenraum erhebt sich ein ähnlicher, nur grünlich schimmernder Berg: 500er und 1000er Scheine. Das, sagt Zaher, seien immerhin schon 5,6 Milliarden Afghani, was derzeit genau 151.351 Dollar entspricht.
Die beiden Räume liegen im Erdgeschoss. Sie sind nur grob verputzt, feucht und muffig, zwecks Lüftung sind zwei Fenster zur Hofseite aufgesperrt. Es kann nicht schwer sein, von dort aus in das Geldlager der Kabuler Zentralbank zu gelangen.
Währungssystem kollabiert
Das Finanzhaus nennt sich wie schon zur Königszeit "Afghanistan Bank", und der silberbärtige würdevolle Abdul Zaher, 64, ist ihr Chefkassierer - und das bereits 45 Jahre lang. Auch er war schon unter Monarch Zahir Schah im Amt, nur während des Taliban-Regimes hat er sich eine Aus-Zeit gegönnt.
Der Zustand der zentralen Schatzkammer in Kabul entspricht exakt dem des afghanischen Währungssystems: Es ist völlig kollabiert. Es gibt kein Kontensystem mehr, keinen Geldtransfer zwischen den Banken, keine Geldkarten, keine Kredite. Der Währungskreislauf beruht ausschließlich auf Bargeld, die größte und gängigste Note - der blaue 10.000er Afghani - ist umgerechnet derzeit gerade mal 31 Cent wert.
Nicht nur, dass das monetäre Afghanistan noch in der Zeit vor dem Bürgerkrieg steckt - Zahers Tresore sind Jahrgang 1940, sie stammen aus den Düsseldorfer Geldschrankwerken Peltz und den Ostertag-Werken in Aalen, und die Schreibmaschinen heißen Optima, "made in GDR".
Geldzählen bei der Zentralbank: Noch rollt der Rubel nicht so recht am Hindukusch
Den totalen Zusammenbruch aber haben erst die Taliban herbeigeführt. Regimeführer Mullah Omar finanzierte den Bürgerkrieg aus seinen vollgestopften Geldkisten unterm Bett, die Gotteskrieger verboten jegliche Zinszahlungen, und bei ihrer Flucht im November nahmen die frommen Fundis Millionen amerikanischer Dollar, pakistanischer Rupien und kurioserweise sogar bündelweise Afghani mit.
Wie viel einheimisches Geld überhaupt noch in Afghanistan oder den Nachbarländern zirkuliert - Abdul Qadier Fitrat, 38, der amtierende Präsident der Zentralbank, weiß es nicht. Der Alan Greenspan der afghanischen Übergangszeit hat die letzten fünf Jahre in der Nähe von Washington verbracht. Nun soll der studierte Ökonom dem Bankensystem seiner Heimat erneut Leben einhauchen.
Keine Hoheit über den Afghani
Aber allein schon die Hoheit über den Druck des Afghani liegt nicht bei den Afghanen selbst. Seit der Aprilrevolution, dem prokommunistischen Militärputsch von 1978, werden die Scheine im fernen St. Petersburg gedruckt. Die Russen hätten, beteuert Fitrat, den Druck des Afghani vor drei Monaten gestoppt. Auch sei zwischen Kabul und Moskau definitiv ausgemacht, die Druckplatten zurückzugeben. Ausländische Finanzexperten haben jedoch festgestellt, dass die Landeswährung nach wie vor säckeweise von Usbekistan aus über die Grenze befördert wird.
Mit der Möglichkeit, den Afghani zu drucken, haben die Russen ein politisches Instrument in der Hand: Sie könnten bei Bedarf den Geldumlauf aufblähen, damit Preissteigerungen und eine weitere Entwertung des Afghani einleiten - und auf diese Weise Volkszorn gegen die Interimsregierung von Premier Hamid Karzai schüren.
Abwegig ist das nicht. So vertreibt General Abdul Raschid Dostam, Afghanistans berüchtigster Warlord und Herrscher in den Nordprovinzen rund um Masar-i-Scharif, mit russischer Hilfe seit Jahren schon eine Kopie der nationalen Währung, die ebenfalls in St. Petersburg gedruckt wird - und sorgt damit für reichlich Verwirrung im Land. In Kabul ist sie allerdings nur halb so viel wert wie der reguläre Afghani.
Afghani gegen US-Dollar: Geldwechsler bei der Arbeit
Grund zur Einmischung hätte Moskau durchaus. Der Kreml ist in Kabul inzwischen ins Hintertreffen geraten und im Friedensprozess kaum noch präsent. Mehr noch: Nach dem Mord an Luftfahrtminister Rahman sind ausschließlich Männer der Jamiat-i-Islami verhaftet worden, jener Partei, die vom tadschikischen Ex-Präsidenten Rabbani geführt wird - dem bislang engsten Verbündeten der Russen. Denen dürfte das sauer aufgestoßen sein.
Moskau könnte selbstgedruckte Afghani auch zur eigenen wirtschaftlichen Sanierung auf den afghanischen Markt werfen - und dort in amerikanische Dollar umtauschen. Sollten die Russen sich derart vertragswidrig verhalten, so droht Zentralbank-Chef Fitrat, werde Kabul umgehend den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anrufen.
Erstmals wieder Gehälter
Noch gehen taufrische Afghani zu Hauf über die Tresen der mühsam wiederbelebten Schalterhalle seiner Afghanistan-Bank. An Schalter 1 werden neu gedruckte 10.000er-Bündel, noch in Folie eingeschweißt, an Abgesandte der Kabuler Ministerien ausgereicht - die Zentralbank zahlt für die letzten zwei Monate erstmals Gehälter an Regierungsbedienstete aus.
Neun Schalter weiter tröpfeln die kargen Einnahmen herein: Pächter der zahlreichen Staatsgeschäfte begleichen in schmierigen 1000er Scheinen Mieten, Steuern und Abgaben. Das ist der gesamte Geldverkehr, der derzeit über Fitrats Institut läuft.
Die eigentliche Kontrolle der afghanischen Finanzströme findet einen Kilometer entfernt statt, bei Haji Amin Jan, 40. Der rundliche Mann aus der Provinz Khost führt die Aufsicht über den brodelnden Geldwechslermarkt am früheren Chahr-Chattan-Basar und betreibt zugleich eine eigene Wechselstube: "Jan & Brothers Currency Exchange". Er hockt unter einer Decke, schlürft Tee und lässt die Tasbe, die muslimische Variante des Rosenkranzes, durch seine wurstigen Finger gleiten.
Geldlager in der National Bank in Kabul
"Unser Geld hängt zur Zeit völlig in der Luft, es ist durch nichts gedeckt", brummt der Haji. Allein die Männer, die sich zu Hunderten draußen auf dem Hof Zahlen zuschreien, machen den Afghani-Kurs. Er steigt, wenn es neue Nachrichten über die bevorstehende Rückkehr des Königs gibt, aber noch schneller fällt er, wenn Radio Kabul oder Reisende von Scharmützeln zwischen den Milizen der Bürgerkriegsparteien berichten. Zu Taliban-Zeiten brachte ein Dollar 75.000 Afghani. Inzwischen ist der Wert der Landeswährung immerhin gestiegen, für einen Greenback geben die Wechsler nur noch 36.000 heraus.
Dollar und Rupien werden bislang per Auto über die pakistanische Grenze herbeigeschafft. Allerdings haben die internationale Schutztruppe Isaf, die Uno und die zahlreichen nichtstaatlichen Organisationen, die sich in Afghanistan engagieren, für einen Bargeld-Boom gesorgt. Ihr Geld wird per Flugzeug eingeflogen und zum Teil auf dem Basar von Amin Jan eingetauscht.
Zwischen Elbmündung und Hindukusch
Was in der Zentralbank derzeit noch undenkbar ist - auf dem freien Geldmarkt klappt es erstaunlich gut: der Geldtransfer über Ländergrenzen hinweg. Die Wechselstube Nr. 115 im ersten Stock zum Beispiel hält Verbindung ins deutsche Hamburg. Wer beim dortigen Kontaktmann eine Dollarsumme zur Überweisung nach Kabul präsentiert, kann sichergehen, dass der Adressat sie noch am selben Tag bei Geldwechsler Amir Jan erhält.
Die Überweisung wird per Fax geregelt, der Empfänger gibt lediglich die Nummer der Hamburger Quittung und zwei vereinbarte persönliche Kennzeichen an. Auf der Strecke zwischen Elbmündung und Hindukusch setzt Jan auf diese Weise monatlich rund 70.000 Dollar um.
Von solcher Flexibilität kann Zentralbankchef Fitrat derzeit nur träumen. Wie sein Finanzinstitut mit einem Großteil der 5,2 Milliarden Euro zurechtkommen soll, die die Welt Afghanistan inzwischen als Wiederaufbaugelder zugesichert hat, bleibt rätselhaft.
Chefbanker Fitrat hat zwar schon einen Computer auf seinem Schreibtisch stehen, doch der ist nicht einmal mit den Geräten anderer Abteilungen verknüpft, geschweige denn mit dem Internet. Fitrat benutzt die feine Anlage neben der Nationalflagge als bessere Schreibmaschine.
Seine Hauptbeschäftigung besteht bislang darin, Leute von IWF und Weltbank zu empfangen, Uno-Emissäre sowie Botschaften westlicher Geldinstitute. Die neuesten Briefe stammen aus Deutschland, es sind Hilfsangebote von Commerz- und Bundesbank. Die Deutschen wollen Supervisor stellen, Bankangestellte trainieren, Computertechnik schicken und die Afghanen in die Geheimnisse des Online-Banking einführen. Ein gewagter Sprung vom 19. Jahrhundert in die Internet-Zeit.
Bereits vor Tagen war der Auslandschef der Notendruckerei Giesecke & Devrient zum Sondieren in Kabul. Die Münchner könnten zum wichtigen Partner der Afghanen werden, sollte sich die im Juni zu wählende Übergangsregierung entschließen, einen neuen, wirklich sicheren Afghani einzuführen.
Die Zeit drängt
Für die ins Auge genommene Währungsreform brauche Kabul laut Fitrat allerdings "noch mindestens ein Jahr Zeit". In der Schwebe ist auch der Vorschlag des IWF, erst einmal den Dollar als vorläufige Währung in Afghanistan einzuführen - darüber zu entscheiden hat das gegenwärtige Karzai-Kabinett.
Für afghanische Geschäftsleute aber, die nicht auf ausländische Hilfe warten, sondern selbst beim Wiederaufbau anpacken wollen, drängt die Zeit. Sie brauchen frisches Geld, um die Gründerzeit am Hindukusch als Chance für sich zu nutzen.
Die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau, die im Auftrag des Berliner Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit derzeit 22 Millionen Euro auf afghanische Hilfsprojekte verteilt, denkt deswegen über eine Kabuler "Mikrobank" nach - ein Institut, das Kredite bis zu 5000 Dollar an einheimische Kleinunternehmen verteilt.
"Für die Afghanen wäre das ein Hoffnungsschimmer", glaubt Projektmanager Martin Jenner, "jedenfalls so lange, bis ihr Währungssystems wieder aus dem Koma erwacht".
spiegel.de
Gruß
Happy End