Wolfgang Gerke: Was da geplant wird, bedeutet im Endeffekt, die derzeit geltende Spekulationsfrist von einem Jahr, nach der Kursgewinne steuerfrei sind, abzuschaffen und generell alle Aktien zu besteuern. Beim letzten Vorstoß nach der Bundestagswahl wurde eine Steuer von 15 Prozent im Zusammenhang mit dem Halbeinkünfteverfahren diskutiert, effektiv also ein Steuersatz von 7,5 Prozent. Jetzt sollen es 25 Prozent werden. Das ist alles außerordentlich chaotisch. Ich frage mich, wie man bei einer derart unkoordinierten Steuerdebatte noch damit rechnen kann, dass überhaupt irgendwelches bislang im Ausland geparktes Schwarzgeld nach Deutschland zurückkommt.
WamS: Bestehen denn überhaupt Chancen, ein solches Gesetzesvorhaben in dieser Form durchbringen zu können?
Gerke: Kaum. Das ist es ja eben. Schon die letzte Fassung dieser Idee wurde von der Oppositionsmehrheit im Bundesrat gestoppt. Ich sehe nicht, warum das dieses Mal anders sein sollte. Vieles spricht deshalb dafür, dass das alles nur ein Zuckerstückchen für die SPD-Linke sein soll, um denen die anderen Schröder-Reformen schmackhaft zu machen. An sich macht das ja Sinn. Da aber auch die Schröder-Gegner wissen, dass eine solche Änderung im Bundesrat scheitern dürfte, ist es trotzdem unsinnig.
WamS: Gesetzt den Fall, die Regelung käme doch durch. Was für Auswirkungen hätte das für Privatanleger und die Finanzmärkte im Allgemeinen?
Gerke: Aktien wären dann den gleichen Regeln unterworfen wie die jetzt schon besteuerten Zinsen und Dividenden. Das würde zu Kursabschlägen an der Börse führen und hätte wohl ernsthafte volkswirtschaftliche Konsequenzen. Deshalb kann das auch nicht wirklich ernst gemeint sein. Das Problem mit der ganzen Steuerdebatte ist, dass man die klare, ordnende Hand nicht sieht. Wo wollen wir denn eigentlich hin, auf längere Sicht? Was ist das globale Konzept? Es fehlt an Planungssicherheit. Die wieder aus der Versenkung aufgetauchte Vermögensteuer gehört auch in diese Kategorie. Warum soll denn irgendjemand sein Schwarzgeld aus dem Ausland zurückholen, wenn er nicht weiß, womit er hier in den nächsten Jahren zu rechnen hat? Zwar wollen tatsächlich viele Menschen ihr Geld zurückholen, aber nicht bei dieser Unsicherheit. Deshalb sind auch die geplanten 100 Milliarden Euro an "repatriiertem" Schwarzgeld völlig illusorisch. Ich rechne mit nicht mehr als einer Milliarde in diesem Jahr.
WamS: Ein Argument für höhere Steuern auf Aktien und auch die Vermögensteuer ist, dass damit den Reform-Einschnitten bei den sozial Schwächeren eine höhere Belastung der "Reichen" entgegengesetzt würde. Das an sich ist kaum verwerflich. Wie könnte man eine solche Balance denn anders und besser erreichen?
Gerke: Die Frage ist: In welche Schlupflöcher kann man fliehen? Es ist schön und gut, Steuergerechtigkeit zu propagieren, wenn man sie denn auch durchsetzen kann. Eine höhere Erbschaftsteuer beispielsweise wäre ja an sich o.k., wenn dafür der allgemeine Steuersatz sinkt - nur wird man sich überlegen müssen, wo sich das Geld dann versteckt. Und verstecken kann es sich immer. Wir müssen uns wohl an die bittere Wahrheit gewöhnen, dass der Staat effizienter werden muss. Die Kostensenkungen, die die Unternehmen jetzt in der Wirtschaftsflaute haben durchmachen müssen, kommen auch auf den Staat zu. Natürlich ist Geld für die Arbeitslosen nötig, aber vieles wird unkontrolliert aus dem Fenster geworfen. Natürlich geht es den Gemeinden schlecht, aber gerade da gibt es auch viel Ineffizienz. Wir müssen die Ausgaben des Staates drücken.
WamS: Das sind ja nicht gerade revolutionäre, neue Ideen.
Gerke: Es gibt ja auch keine neuen Wahrheiten. Jeder weiß, was nötig ist, nur muss es auch umgesetzt werden, und das entschieden. Die Rentenversicherung in eine Basisversorgung und mehr Eigenverantwortung umzuwandeln zum Beispiel. Das Gleiche gilt für die Krankenversicherung. Wir müssen da entschieden herangehen, sonst lösen wir die Probleme nicht. Das nützt keinem. Wir machen immer nur Reförmchen, und in der nächsten Legislaturperiode müssen wir dann schon wieder da ran.
Das Gespräch führte Ulrich Machold
Artikel erschienen am 27. Apr 2003
grüsse, s.broker