US-Terrorfahndung
Angriff auf die Bürgerrechte
Von Steven Geyer, Washington
Greift die Bush-Regierung bei der Terroristen-Fahndung zu Polizeistaats- oder gar Foltermethoden? Menschenrechtler sehen die CIA-Befragungen im Ausland skeptisch, und zu Hause wächst Kritik an der Einschränkung verfassungsmäßiger Rechte. Aktivisten rufen bereits eine neue Bürgerrechts-Bewegung aus.
Plakat-
kampagne der US-Geheimdienste: Sicherheit über alles
Washington - Zuerst klang es, als habe die US-Geheimdienstmaschine eine Katastrophe verhindert. Dann schien es wenigstens noch eine spannende Detektivstory aus der Welt der Spione zu sein. Mittlerweile hat der vermeintliche CIA-Coup das Zeug zum Skandal, der auf die Regierung Bush zurückfällt: Die vor zehn Tagen erfolgte Festnahme des mutmaßlichen al-Qaida-Terroristen Jose Padilla, der angeblich einen Bombenanschlag mit radioaktivem Material auf Washington plante, wirft erstmals auch in Amerikas politischer Öffentlichkeit die Frage auf, ob die US-Behörden beim Bush-Krieg gegen den Terror grundlegende Menschenrechte missachten und so die Werte verwerfen, für sie doch eintreten sollen.
Anwälte, Bürgerrechtsgruppen und sogar einige Senatoren melden zunehmend Bedenken am "Herumtrampeln auf den Grundrechten" an, wie es Anwältin Nancy Chang vom "Zentrum für Verfassungsrechte" in New York nennt.
Dass die Debatte sich ausgerechnet an Jose Padilla entzündet, ist kein Zufall. Padilla, der sich seit seiner Konvertierung zum Islam Abdullah al-Mujahir nennt, ist US-Staatsbürger. Damit steht ihm laut US-Verfassung nicht nur ein "rechtmäßiges Gerichtsverfahren" und ein Anwalt zu, sondern auch ein "schneller und öffentlicher Prozess". Das alles will die Bush-Regierung aber umgehen. Sie steckte den Anfang Mai Festgenommenen in ein Militärgefängnis im Bundesstaat South Carolina und stufte ihn als "feindlichen Kämpfer" ein.
Keine Grundrechte für "feindliche Kämpfer"
Was das heißt, sprach das Justizministerium am Mittwoch in einer Mitteilung bei einem Revisionsverfahren des inhaftierten Taliban Yaser Esam Hamdi so deutlich aus wie nie zuvor: "Enemy combatants" haben für unbegrenzte Zeit kein Recht auf einen Anwalt oder ein Verfahren, und kein amerikanisches Gericht kann diese militärische Klassifizierung aufheben.
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Mutmaßlicher Al-Qaida-Terrorist Padilla: Als "feindlicher Kämpfer" ohne Rechte
Der deutlich formulierte Brief, unterzeichnet von General Paul D. Clement, besiegelt das Schicksal Hamdis, laut "Washington Post" ein 21-jähriger Amerikaner, der bei den Taliban in Afghanistan festgenommen, zunächst in der kubanischen Guatanamo Bay interniert und nun nach Norfolk geschafft wurde. Hamdis Anwalt hatte - wie auch die Anwältin Padillas - bei einem Bundesrichter Beschwerde eingelegt, dass sein Klient einen Rechtsbeistand benötige. Der Richter stimmte zu und wurde nun vom Justizministerium barsch belehrt, es gebe "in den Gesetzen und unter den Umständen des Krieges für feindliche Kämpfer kein Recht, ihren Anwalt zu treffen, um über ihre Haftbedingungen zu sprechen". Die Mitteilung bezog sich auf einen Spruch des US-Verfassungsgerichtes von 1950.
Jose Padilla hat nun voraussichtlich das gleiche Urteil zu erwarten. Damit wird er "von einem schwarzen Loch aufgesaugt", schrieb Kommentator Bob Herbert in der "New York Times", "in dem er keine Rechte mehr hat. Das ist eine neue und gefährliche Gegend, die außerhalb der Öffentlichkeit liegt und, bisher, auch jenseits der Verfassung." Wenn sie unkontrolliert bleibe, könne diese "Missachtung des Gesetzes eine größere Bedrohung für die amerikanische Lebensart darstellen als al-Qaida". Die "Washington Post" vom heutigen Donnerstag zitiert Juristen mit dem Hinweis, die Argumentation des Justizministers erinnere an Gesetze, mit denen während des Zweiten Weltkrieges tausende Amerikaner asiatischer Herkunft als angebliche Sicherheitsbedrohungen interniert wurden.
Genau daran musste auch Politikstudentin Lubada Abdallah in letzter Zeit oft denken. Abdallah ist aktiv in der "Muslimischen Studentenvereinigung der USA und Kanadas" und wurde deshalb von ihren Freundinnen gewarnt: Es habe viele grundlose Verhaftungen von arabischen Studenten gegeben - eben wie damals bei den asiatischen Amerikanern.
"Aber ich habe auch an all die Klassen gedacht, in denen wir die Verfassung und die Freiheitsrechte studiert haben", erzählt Abdallah, "und deshalb gesagt: Nein, das kann in den USA heutzutage nicht mehr passieren." Am 20. März wurde sie eines Anderen belehrt: Das FBI durchsuchte ihr Büro und die Wohnungen muslimischer Freunde. "Ich war erschüttert", sagt sie. "So, wie ich schon am 11. September erschüttert war."
Masseninternierung von Männern aus arabischen Staaten
Abdallahs Organisation ist nur eine von Dutzenden, die unter dem Dach der "International ANSWER"-Koalition zum Protest gegen die Einschränkung der Bürgerrechte durch die Bush-Regierung trommelt. Muslimische und christliche Gruppen, Schwarzen- und Immigranten-Aktivisten, Pazifisten, Schüler und Arabervereinigungen wollen am 29. Juni zu Tausenden vor der FBI-Zentrale in Washington gegen die Aushöhlung der Grundrechte demonstrieren. "Das ganze erinnert mich an die Sechziger, als das FBI gezielt gegen die schwarze Bürgerrechtsbewegung vorging und Leute wegen ihrer Hautfarbe schikaniert hat", sagt Mahdi Bray, Vorsitzender der Freedom Foundation. "Dagegen müssen wir uns wehren - mit einer neuen Bürgerbewegung!"
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FBI-Chef Mueller, Justizminister Ashcroft: "Die Leute müssen sich entscheiden"
Der Grund für die Wut: Seit dem 11. September erleben arabisch-stämmige und muslimische Amerikaner nicht nur verstärkten Rassismus und Schikane, sondern auch die Willkür der Behörden. Je nach Quelle waren oder sind noch immer zwischen 1100 und 2000 Verdächtige im Zusammenhang mit den September-Anschlägen in Haft, fast ausschließlich Männer, die in Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung geboren wurden.
"Hunderte Menschen sind im Gefängnis", sagt Hussein Ibish, Sprecher des Arabisch-Amerikanischen Anti-Diskriminierungs-Komitees (ADC). "Wegen kleinster Unregelmäßigkeiten, oft Probleme mit der Aufenthaltsgenehmigung, werden arabische Amerikaner wochenlang festgehalten. Keiner weiß genau, wo, warum und wie viele es exakt sind."
John Ashcroft, Generalbundesanwalt und Justizminister, hat jedoch gar kein Problem mit dem Image des Großen Inquisitors: "Die Leute müssen sich entscheiden, ob sie uns helfen wollen, terroristische Anschläge zu verhindern, oder ob sie still bleiben wollen im Angesicht des Bösen."
Ashcrofts "idiotische Annahme"
FBI und Justizministerium nutzen bei ihren umstrittenen Aktionen vor allem zwei Regelungen: Zum einen das nach dem 11. September hastig durch den Kongress geschobene "Patriotengesetz" (Patriot Act), das es den Behörden erlaubt, Ausländer sechs Monate länger als die üblichen 90 Tage festzuhalten, wenn ihre Freilassung "die nationale Sicherheit der USA oder einer Gemeinde oder einer einzelnen Person gefährden würde". Zum anderen wird der Status des "materiellen Zeugen" großzügiger interpretiert, der es erlaubt, Menschen festzuhalten, die "für ein kriminelles Vorhaben wichtige Informationen haben".
Nun plant Ashcroft sogar, eine Art Araber-Kartei einzurichten - alle Männer aus dem Mittleren Osten sollen bei der Einreise Foto und Fingerabdrücke hinterlassen und jeden Umzug oder Reise zentral melden. "Dieser Plan geht von der idiotischen Annahme aus, dass Gefahr nur von einer bestimmten Gruppe Menschen ausgeht", kritisiert ADC-Sprecher Ibish. "Dabei gab und gibt es immer wieder Anschläge von weißen amerikanischen Extremisten."
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FBI-Hauptquartier in Washington: "Erst verhaften, dann ermitteln"
Nach und nach gelangen nun zahlreiche Fälle an die Öffentlichkeit, die zeigen, wie wahllos das FBI die muslimischen Gemeinden durchfischt. So wurden am 12. September die beiden Inder Mohammed Azmath und Syed Gul Mohammed Shah während einer Zugfahrt verhaftet, weil sie 5600 Dollar Bargeld bei sich trugen, Kartonschneider wie die Flugzeug-Entführer und Haarfärbemittel. Auch waren sie am Vortag vom Flughafen Newark, Bundesstaat New Jersey, abgeflogen - wie die Entführer des Pennsylvania-Fliegers. Laut Polizeibericht waren beide "extrem nervös".
Neun Monaten später musste das FBI einräumen, dass die beiden Inder völlig unschuldig eingesperrt wurden: Sie hatten gerade ihren Job verloren, an einem Zeitungsstand auf dem Bahnhof von Newark, wo sie die Kartonmesser täglich benutzten. Das Geld hatten sie dabei, um in Texas einen Obststand zu eröffnen, das Haarfärbemittel sollte die grauen Schläfen abdecken.
Etliche andere Beispiele sind weniger abwegig, enthalten aber immer drei Elemente: Arabisches Aussehen, lange Untersuchungshaft, bis heute keine Straftat nachgewiesen. "Es wurden im Grunde zuerst die Leute verhaftet und dann ermittelt", kritisierte David Cole, Professor für Verfassungsrecht an der Georgetown Universität in Washington.
Acht Monate Haft ohne Anwalt und Richter
Wenn tatsächlich Verstrickungen in extremistische Gruppen vorliegen, kennen die Ermittler offenbar gar keine Skrupel mehr.
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Al-Qaida-Kontaktmann Zammar: Verhöre im syrischen Gefängnis
So wurde in der vergangenen Woche bekannt, dass der ehemalige Taxifahrer Nabil Almarabh aus Boston volle acht Monate in einem New Yorker Gefängnis unter verschärften Haftbedingungen festgehalten wurde - ohne mit einem Anwalt sprechen zu dürfen, ohne einem Richter vorgestellt zu werden. "Eindeutig verfassungswidrig", urteilt ADC-Sprecher Ibish, "egal, was er getan hat und egal, ob er Bürger ist oder nicht - er hätte spätestens nach 48 Stunden einen Anwalt bekommen müssen und einem Richter vorgeführt werden müssen."
Der 35-jährige, in Kuweit geborene Syrer wurde laut "Washington Post" sieben Tage nach den Anschlägen vom 11. September wegen mutmaßlicher Verbindungen zu al-Qaida festgenommen, bis heute gibt es aber nicht einmal eine Anklage. "Wenn man lesen würde, das so was einem US-Bürger in China oder Kuba passieren würde", beklagt Anwalt Mark Kriger, der Almarabh einmal getroffen hat, ihn aber nicht vertreten darf, "würde das State Department durchdrehen."
Folter von Gefangenen im Ausland?
Darüber hinaus hegen Menschenrechtsgruppen aber noch einen weiteren schweren Verdacht: Die US-Geheimdienste, so mutmaßte Amnesty International, würden bei der Terrorfahndung im Ausland sogar Foltermethoden einsetzen oder zumindest tolerieren. In Ägypten, Syrien, Marokko und Pakistan wenden Polizei und Militär nach Erkenntnissen von Amnesty die Folter an, und in all diesen Ländern sitzen mutmaßliche al-Qaida-Mitglieder ein, die nach Berichten amerikanischer Zeitungen umfangreiche Aussagen machten und so in den vergangenen Wochen zahlreiche Fahndungserfolge ermöglichten.
Osama Bin Ladens früherer Personalchef Abu Zubaydah zum Beispiel, der in Pakistan angeschossen, dann von US-Agenten festgenommen und "an einen sichereren Ort" gebracht wurde, ist so erstaunlich gesprächsbereit, dass das Weiße Haus immer wieder betonen muss, die Ermittler würden ganz gewiss nicht foltern. Man könne auch nicht alle Tipps Zubaydahs ernst nehmen, andere würden erst nach Gegenprüfung Sinn ergeben. Der Hinweis auf den "schmutzigen Bomber" Padilla kamen etwa von ihm.
Auch der Deutsch-Syrer Mohammed Haydar Zammar wird derzeit in Syrien von US-Beamten verhört, wodurch sich nach Angaben der "Washington Post" auch gleich das amerikanisch-syrische Verhältnis besserte - trotz syrischer Hilfe für die Hisbollah, die Hamas und anderer militante anti-israelischen Gruppen. "Die Syrer waren sehr hilfreich", sagt ein Sprecher des US-Außenministeriums vieldeutig.
Achtzig Prozent der Amerikaner für begrenzte Freiheiten
In der breiten amerikanischen Bevölkerung sorgt das Thema derweil kaum für Sorgen: Eine Umfrage des Nachrichtensenders "Fox News" von Anfang Juni ergab, das 64 Prozent der Befragten für den Kampf gegen den Terror eigene Freiheiten aufgeben würden. In einer Umfrage der Zeitung "USA Today" gaben sogar 80 Prozent der Befragten an, sie würden Freiheitsbeschränkungen zustimmen, um dadurch mehr Sicherheit zu gewinnen.
So mag der Ausnahmezustand unter Aussetzung Grundrechte zwar noch nicht offiziell ausgerufen sein, für Amerikas Bürger ist er längst Alltag.
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© SPIEGEL ONLINE 2002