Die USA und der fundamentalistische Terror
Ein Leitartikel zur amerikanischen Vergeltungspolitik
Die Welt hat gerade die Schwelle des 21. Jahrhunderts betreten und ein Zeitalter von Weltkriegen und militärischen Auseinandersetzungen hinter sich gelassen, da kündigen sich neue, weltweite Konflikte an. Auslöser ist die Terrorwelle, die am 11. September die Vereinigten Staaten erschüttert hat und als deren Drahtzieher Osama Bin Laden vermutet wird.
Während die Welt Solidarität mit den Opfern übt, wird in den USA die Militärmaschinerie in Gang gesetzt. Das US- Verteidigungsministerium plant bereits Vergeltungsschläge und richtet sich auf einen langfristigen Krieg ein, der Jahre dauern kann. Dem internationalen Terrorismus wird nicht nur der Kampf angesagt, die USA will ihn ausrotten. Präsident Bush hat Bin Laden zum Staatsfeind Nummer Eins erklärt. Ausgerechnet dieser Mann wurde im Afghanistankrieg von der CIA mit Waffen im Kampf gegen die Sowjets unterstützt. Die USA wussten, dass nur die fanatischen Führer die Bevölkerung gegen die Sowjets mobilisieren konnten. Nach dem Abzug der Roten Armee wurde Afghanistan sich selbst überlassen. Hätte der Westen frühzeitig gemäßigte liberale Kräfte unterstützt, wäre der afghanischen Bevölkerung der Gottesstaat der Taliban vielleicht erspart geblieben.
Der amerikanische Senat hat bereits 40 Milliarden Dollar zusätzlich für militärische Operationen bewilligt. Damit ist nicht nur Afghanistan, das Gastgeberland von Bin Laden, Ziel militärischer Schläge. Auch der Irak, Teile des Nahen Ostens, der Jemen sowie der Sudan und andere muslimische Länder könnten in den Strudel direkter militärischer Interventionen geraten. Es ist nicht die Frage, ob die Amerikaner ihre Drohungen wahr machen, sondern wann und in welchem Umfang. Der beschlossene Bündnisfall der Nato ist für Präsident Bush die politische Bestätigung seiner militärischen Aktionen. Die USA werden es sich nicht nehmen lassen, diesen Krieg weitgehend alleine zu führen.
Präsident Bush und die amerikanischen Geheimdienste stehen unter einem enormen öffentlichen Druck. Die amerikanische Bevölkerung will Ergebnisse bei der Ermittlung der Schuldigen sehen und fordert Vergeltung. Tief sitzt die Schmach über den zerstörten Glauben an die Unverletzlichkeit der USA. Der präzise Angriff moslemischer Märtyrer hat den Terrorismus in die USA getragen und das amerikanische Selbstbewusstsein erschüttert. Bislang erlebten die Amerikaner, bis auf den ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993, den Terror außerhalb ihres Landes. Der gezielte Anschlag mitten in die politischen und wirtschaftlichen Schaltstellen Amerikas zeigt, dass der terroristische Fundamentalismus versucht, seine militärische Unterlegenheit auszugleichen.
Das weltumspannende Netz des CIA, mit seinen über 17 000 Mitarbeitern und einem Jahresetat von 30 Milliarden Dollar, hat alle Warnungen über einen bevorstehenden Terrorangriff überhört. Zuverlässige Hinweise aus Ägypten und Frankreich wurden offenbar ignoriert. Der Anschlag kommt einer Bankrotterklärung der US- amerikanischen Geheimdienste gleich. Der CIA muss sich den Vorwurf einer mangelnden professionellen Sensibilität gefallen lassen. Da stellt sich die Frage, wie glaubwürdig sind die Beweise, die die Geheimdienste derzeit mit Hochdruck ermitteln, und wird die Welt Gelegenheit bekommen, diese vor einem Militärschlag zu prüfen?
Der jüngste Anschlag fundamentalistischer Terroristen ist im Kern das Ergebnis von rücksichtsloser Durchsetzung wirtschaftlicher und politischer Interessen der USA. Amerika verfügt weltweit über 65 große Militärbasen, von denen sie jeden Winkel dieser Erde erreichen können. Die amerikanische Politik hat nie Kompromisse gemacht, wenn es um die Wahrung ihrer Interessen in der Welt ging. Sie hat beispielsweise die diktatorischen Systeme in Nicaragua, El Salvador und Chile unterstützt, um einen Machtwechsel durch die Opposition in diesen Ländern zu verhindern. Der Einmarsch in Grenada 1983 durch Ronald Reagan erfolgte, weil die USA einen Putsch auf der Insel befürchteten und ihre Interessen gefährdet sahen. Durch die militärische sowie einseitige politische Unterstützung Israels und die Durchsetzung ihrer Interessen wurden die USA zum Hauptfeind weiter Teile der arabischen Welt.
Amerika ist dieser Gewalt mit Gegengewalt begegnet. Aus dem libanesischen Bürgerkrieg zogen sich die USA zurück, als im Oktober 1983 durch ein Selbstmordkommando 241 Soldaten getötet wurden. In Somalia fand 1992 eine UN- Militäraktion unter Führung der USA statt, um die dortige Regierung gegen den Rebellenchef Aidid zu unterstützen. Nach dem Tod mehrerer US-Elite- Soldaten brachen die USA die missglückte Aktion 1995 ab, und Somalia war auf sich allein gestellt. Bereits nach der Aktion im Libanon haben die USA begonnen, durch chirurgische Militäraktionen aus der Luft die direkte Konfrontation zu vermeiden. 1986 bombardierten US-Flugzeuge die libyschen Städte Tripolis und Bengasi als Vergeltung für einen Anschlag auf die Berliner Diskothek La Belle, bei dem ein US-Soldat ums Leben kam. Bei der Herausgabe der mutmaßlichen Verantwortlichen für den Absturz einer Passagiermaschine 1988 über Lockerbie sah sich Libyens Staatschef Gaddhafi massiven Drohungen ausgesetzt. Die Angriffe auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 beantworteten die Amerikaner mit massiven Schlägen in Afghanistan und dem Sudan. Im Golfkrieg und in Serbien hatte es die US-Luftwaffe zur Meisterschaft in Sachen chirurgischer Kriegsführung gebracht. Bei all diesen Aktionen wurden die Hintermänner und Verantwortlichen nie liquidiert und Opfer unter der Zivilbevölkerung in Kauf genommen. Die Verluste durch den Einsatz von Bodentruppen wären der amerikanischen Öffentlichkeit nur schwer zu erklären gewesen.
Seit dem 11. September liegt die Sache anders, und die Schuldigen stehen fest. Die Spirale der Gewalt dreht sich bereits im Nahen Osten. Kurz nach dem Attentat haben die Israelis ihre Angriffe auf die palästinensischen Gebiete massiv ausgeweitet und weniger Gründe sich auf Friedensbemühungen zu konzentrieren.
Die USA und der Westen haben die Ursachen der fundamentalistischen Islamisierung bislang nicht zum Anlass genommen, sie zu analysieren und zu bekämpfen. Die Fundamentalisten kommen vor allem aus Regionen dieser Welt, in denen die Menschen sich einer perspektivlosen Wirklichkeit gegenüber sehen. Der Islam gerinnt in solchen Gebieten zur einzigen Hoffnung der Menschen. Sie klammern sich an die Religion, die zum Ersatz wird für eine bessere Lebensperspektive. Diese terroristischen Selbstmörder kämpfen nicht mehr für ein nationales Interesse, sondern für eine bis zur Unkenntlichkeit verzerrte religiöse Idee. Sie bedienen sich der westlichen Errungenschaften und sind vor allem eins, bereit zu sterben. Man kann ihnen nicht mit dem Tod drohen, weil sie diesen suchen. Für sie kommt es nur noch darauf an, möglichst viele Feinde des Islam mitzunehmen.
Die Solidarität der Welt mit Amerika verstellt den Blick auf die politischen Realitäten, an der die Welt krankt und aus denen sich der Terror gegen Menschen nährt. Sie ist davon abhängig, wo sich der Terror ereignet. Das hunderttausendfache Massaker in Ruanda 1994, der sichtbare, millionenfache Tod von Menschen im Kongo oder das bestialische Vorgehen von uniformierten Kindersoldaten in Sierra Leone löst Entsetzen, aber keine Solidarität aus, die die Betroffenen von Terror und Unrecht befreit. Der bevorstehende Kampf gegen den fundamentalistischen Terror wird den fanatischen Führern neues menschliches Material zuführen. Denkbar ist, dass die Schärfe der Auseinandersetzung weite Teile der islamischen Welt vom Westen abkoppelt und der Islam politisch näher zusammen rückt. Die Geschichte zeigt, dass sich religiöser Fanatismus aller Richtungen viel schwerer aus den Köpfen der Menschen vertreiben lässt als der Glaube an eine falsche Politik.
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