Nach einem in der deutschen Wirtschaftsgeschichte beispiellosen Verlust von 24,5 Milliarden Euro verordnet der neue Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke seinem Unternehmen eine schonungslose Radikalkur. „Die Lage ist ernst“, sagte Ricke am Donnerstag in Bonn.
Wird der neue Telekom-Chef alles Unheil von der Deutschen Telekom fernhalten können?
HB/dpa BONN. Der 41-Jährige war zuvor vom Aufsichtsrat der Deutschen Telekom einstimmig zum neuen Vorstandsvorsitzenden gewählt worden. Angesichts des hohen Schuldenberges von rund 64 Milliarden Euro will Europas größter Telekom-Konzern für dieses Jahr keine Dividende zahlen.
Ricke übernimmt sein Amt an der Spitze von Interims-Chef Helmut Sihler (72), der nach dem Rücktritt von Ron Sommer die Geschicke des Bonner Unternehmens geführt hatte. Die T-Aktie hatte unter Sommer eine scharfe Talfahrt von über 100 bis auf unter zehn Euro erlebt. Die Aktie legte bis zum Donnerstagnachmittag um 4,54 Prozent auf 11,74 Euro zu.
Der bisherige T-Mobile-Chef Ricke kündigte den „schonungslosen und konsequenten“ Umbau der Telekom an. „Unsere Zukunft heißt Entschuldung und organisches Wachstum. Das ist ein schmaler Grat, den wir da gehen wollen“, sagte Ricke. Dazu zählten auch Verkäufe von nicht strategischen Geschäftsbereichen: „Der Markt entscheidet und nicht die Zentrale.“ Die Verkäufe sollten 6 bis 8 Milliarden Euro in die Kasse bringen, sagte Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick. An der noch von Sommer festgelegten Vier-Säulen-Strategie (Mobilfunk, Festnetz, System, Internet) werde festgehalten, machte Ricke klar.
In dem Rekordverlust für die ersten neun Monate dieses Jahres enthalten sind rund 20,3 Milliarden Euro an Sonderabschreibungen vor allem für die US-Mobilfunktochter VoiceStream und UMTS-Lizenzen. Die Wertberichtigungen haben aber keine Auswirkungen auf die Zahlungsfähigkeit der Telekom, sondern belasten lediglich die Bilanz. Trotz des Schuldenbergs von 64 Milliarden Euro sei ein VoiceStream-Verkauf nicht erforderlich, sagte der aus dem Amt als Interimschef scheidende Helmut Sihler.
Die Telekom kündigte an, dass es in diesem Jahr voraussichtlich keine Sonderabschreibungen mehr gibt. Bis Ende 2003 will der Konzern die Schulden auf 49 bis 52 Milliarden Euro drücken. Für 2002 sollen die Aktionäre keine Dividende bekommen. Dies soll 1,6 Milliarden Euro für den Schuldenabbau bringen. Dem Großaktionär Bund (43 Prozent) würden mehrere hundert Millionen Euro entgehen.
Das Rekordminus ist der höchste Verlust, den jemals ein im Deutschen Aktienindex Dax notiertes Unternehmen auswies. Im operativen Geschäft stieg das Neun-Monats-Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) um 5,6 Prozent auf 12 Milliarden Euro. Beim Umsatz legte Europas größter Telekom-Konzern um 12 Prozent auf 39,2 Milliarden Euro zu.
Bei der Handysparte T-Mobile kletterte das Ebitda um 76 Prozent auf 3,85 Milliarden Euro. Einen Ausblick auf das Gesamtjahr gab das Unternehmen nicht. In Branchenkreisen hatte es geheißen, der Konzern werde bis Jahresende ein Minus von bis zu 28 Milliarden Euro anhäufen.
Um Kosten zu senken, will die Telekom bis Ende 2005 weltweit 54 700 Stellen streichen, davon 42 500 in Deutschland. Der Konzern hat derzeit rund 250 000 Beschäftigte, davon 170 000 in Deutschland. Mit der Ernennung Rickes fiel die Wahl nach monatelanger Suche auf einen internen Kandidaten. Sein Name war bereits beim Rückzug Sommers im Juli genannt worden. Sommer hatte Ricke im Mai 2001 in den Vorstand geholt. Dort war er für die Wachstumssparten Handy und Internet verantwortlich.
HANDELSBLATT, Donnerstag, 14. November 2002, 16:32 Uhr