Härtere Regeln für Neuen Markt
Von Tim Bartz, Bertrand Benoit, Sead Husic und Thorsten Kramer
Die Deutsche Börse reagiert auf das Kursdesaster am Neuen Markt und verschärft ihr Regelwerk. Sieben Nemax-50-Unternehmen drohen mit Rückzug.
Unternehmen, die sich in Insolvenz befinden oder deren Aktien eine bestimmte Zeit unter 1 Euro notieren, sollen vom Kurszettel gestrichen werden können, sagte ein Börsen-Sprecher am Dienstag.
Ein weiteres Kriterium für ein solches Delisting könne der prozentuale Verlust einer Aktie zum Emissionspreis oder zum ersten Börsenkurs sein. Das Regelwerk der Börse solle "in wenigen Wochen" entsprechend geändert werden, erfuhr die Financial Times Deutschland aus Finanzkreisen. Wirksam würde es aber erst nach einer Übergangszeit.
Die Deutsche Börse hat allen Grund zu handeln. Skandale und Kursverluste von häufig mehr als 90 Prozent haben nicht nur das Vertrauen der Anleger in den Neuen Markt erschüttert. Nach einer FTD-Umfrage unter 44 Unternehmen im Nemax 50 prüfen bereits sieben Firmen den freiwilligen Rückzug vom Neuen Markt. Dies sind D.Logistics, Singulus, Mobilcom, Highlight, Pandatel, CE Consumer und Primacom.
Delisting von "Pennystocks" gefordert
In den vergangenen Wochen waren Forderungen nach schärferen Regeln lauter geworden. Dabei verlangten Aktionärsvereinigungen auch das Delisting so genannter "Pennystocks", die weniger als 1 Euro kosten. Am Dienstag notierten 29 der 342 Unternehmen am Neuen Markt unter dieser Marke. Seit dem Rekordhoch im März 2000 haben die Aktien am Neuen Markt dramatisch verloren. Am Dienstag legten die Kurse zwar leicht zu. Doch allein seit Jahresbeginn summieren sich die Verluste im Standardwerte-Index Nemax 50 auf 52,3 Prozent. Seit dem Höchststand ist der Index um 87,5 Prozent eingebrochen.
Erst zum März hatte die Börse ihre Regeln verschärft und eine Meldepflicht für Wertpapiergeschäfte von Vorständen und Aufsichtsräten eingeführt. Firmen, die Quartalsberichte zu spät einreichen, müssen seit Jahresbeginn mit Strafen bis zu 100.000 Euro rechnen. Der insolvente Telekomdienstleister Gigabell hat im Februar als bisher einziges Unternehmen die Zulassung für den Neuen Markt verloren, da ein Quartalsbericht zu spät eingereicht wurde.
Vorwarnungen an der Nasdaq
Die US-Technologiebörse Nasdaq, die als Vorbild des Neuen Marktes gilt, verfügt bereits über ein Delisting-System. Unternehmen, deren Aktien an 30 aufeinander folgenden Tagen weniger als 1 Euro kosten, werden verwarnt. Um einen Ausschluss zu vermeiden, muss der Kurs in den folgenden 90 Tagen für insgesamt zehn Tage wieder über 1 Euro liegen.
Nun drohen Unternehmen mit dem Rückzug vom Neuen Markt, wenn Reformen ausbleiben. "Wir denken über einen Ausstieg nach. Sollte die Börse nicht entsprechende Schritte einleiten, müssten wir Konsequenzen ziehen. Der SMax wäre eine Option", sagte Anja Bäumert, bei D.Logistics für Investor Relations (IR) zuständig. Highlight-IR-Manager Ingo Mantzke sagte: "Sollte es bis Mitte kommenden Jahres nicht besser werden, werden wir uns neu in der Schweiz listen lassen oder in den SMax gehen."
Unternehmen denken über Rückzug nach
Bei Primacom hieß es, der Vorstand denke darüber nach, ob das Unternehmen am Neuen Markt noch richtig platziert sei. Ähnlich äußerten sich Sprecher von Pandatel und CE Consumer. Singulus-Finanzvorstand Christian Holtmann hatte der "Berliner Zeitung" gesagt: "Wir werden mit der Börse sprechen und klar zum Ausdruck geben, dass die Rahmenbedingungen am Neuen Markt für uns inakzeptabel geworden sind."
Ein Sprecher der Telefongesellschaft Mobilcom sagte: "Wir denken praktisch ständig daran, nach den jüngsten Entwicklungen aber ganz besonders."
Die Börse muss aber noch juristische Fragen klären. Anwälte weisen darauf hin, dass Börse und Unternehmen beim Listing einen privatrechtlichen Standardvertrag abschließen, der ein Delisting nicht berücksichtige. Sollten sich Firmen weigern, den notwendigen Passus nachträglich zu akzeptieren, und streicht die Börse sie dennoch vom Kurszettel, müsste die Börse mit Schadensersatzforderungen rechnen, hieß es.