Unter Deutschen I
Kaum hatte Schröder sein Green Card-Programm für ausländische IT-Spezialisten verkündet, meldeten sich die Gewerkschaften zu Wort. Zuerst eine, die es noch gar nicht gibt, nämlich ver.di. Also ÖTV, DAG, DPG, HBV und IG Medien. Sie protestierten und forderten, zuallererst die einheimischen ProgrammiererInnen zu berücksichtigen. Wenigstens dieses Mal hatte ver.di die Nase vorn. Noch vor dem unseligen Slogan von CDU-Rüttgers "Kinder statt Inder" meldeten die ver.di-Gewerkschaften etwas an, das sich (Wort für Wort) in die Sprache eines gnadenlosen Rechtspopulismus übersetzen lässt: Deutsche Arbeitsplätze für Deutsche. Das steht so nicht in den Presseerklärungen der Gewerkschaften; es steht aber auch nichts darin, was nicht so gelesen werden kann.
Umstandslos wird vorausgesetzt, die High-Tech-Spezialisten aus Osteuropa, Israel, Indien oder aus anderen Ländern jenseits der Heiligen Europäischen Union wären billige "Schmutzkonkurrenz". So wie man es von der Baubranche kennt – latente bis manifeste (und demnächst handfeste?) Feindseligkeiten von deutschen ArbeiterInnen gegenüber AusländerInnen. Mit großem Pomp hatten die Gewerkschaften in den letzten Jahren eine programmatische Erklärung nach der anderen für eine "Umverteilung von oben nach unten" abgegeben. Der heftige Widerstand gegen die Green Card seitens der ver.di-Gewerkschaften wie auch der IG Metall meint das Gegenteil: Umverteilung unter den Lohnabhängigen, und zwar ohne die lästige ausländische Konkurrenz.
Ob es nun stimmt oder nur ein Gerücht ist, es hört sich durchaus plausibel an, was der gewerkschaftliche "Flurfunk" in diesen Tagen aussendet: dass nämlich die Restriktionen für die "Inder", also die Befristung der Arbeitserlaubnis der Green Card-Berechtigten und die Einschränkung des Familien-Nachzugs, überhaupt erst durch Intervention von DGB-Gewerkschaften zustande gekommen sind. Das wäre – selbst nach rein gewerkschaftlicher Logik – eine Idiotie. Je freier sich diese Menschen nämlich auf dem hiesigen Arbeitsmarkt bewegen können, desto höhere Preise können sie auch für ihre Arbeitskraft einhandeln.
Aber diese ‘funktionale Idiotie’ ist nicht der Skandal. Skandalös ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich Gewerkschaften – egal, ob ver.di oder IG Metall – von dem (seinerseits universellen) Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" abwenden; und wie sie ihre eigene Argumentation und eine gewerkschaftliche Standard-Position unterlaufen, "Umverteilung von oben nach unten" mit "Umverteilung der Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung" zu verbinden. Denn wenn "das Boot voll ist", wie es die Protestnoten von ver.di-Gewerkschaften und IG Metall suggerieren, gibt es auch nichts mehr umzuverteilen – es sei denn unter Deutschen.
Was nun? Es wird diesen Gewerkschaften schwerfallen, in der Debatte über ein zukünftiges Einwanderungsgesetz einen anderen Standpunkt als den einer nach ökonomischen Kriterien definierten utilitaristischen Selektion von ImmigrantInnen zuzulassen. Wer durch legalen oder illegalen Grenzübertritt den einheimischen Arbeitsmarkt "überlastet", muss draußen vor gehalten werden. Müssen dann nicht noch strengere Überprüfungskriterien gefordert werden – wer denn nur "Wirtschaftsflüchtling" und wer ein "wirklich Verfolgter" ist? Was steht uns in den Gewerkschaften bevor, wenn weiter ernst gemacht wird mit der "Globalisierung von unten" – und zwar durch Menschen, die hier nach Einkommen durch Arbeit suchen und die deshalb auch unsere KollegInnen sind? Fragen, die Befürchtungen nach sich ziehen...
Das ist kein abstrakter Appell an Solidarität. Und wenn doch, dann bestenfalls so "abstrakt" wie der, dass IT-Angestellte mit Festanstellung auch diejenigen als ihre KollegInnen akzeptieren lernen müssen, die heute schon mit Zeitverträgen oder als Angestellte von Unternehmensberatungen in Firmen tätig sind. Die sind zwar ihrer Nationalität nach keine Inder, aber sie werden oft wie solche wahrgenommen.
Das Problem, das Deutsche mit Ausländern zu haben glauben, haben sie mit sich selbst.