Geile Kolumne!

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Lufthansa AG 6,75 € +0,54% Perf. seit Threadbeginn:   -32,97%
 
tom68:

Geile Kolumne!

2
22.06.03 21:35

Schluss mit dem Sparwahn. Gebt ordentlich Geld aus!

Neulich am Flughafen Frankfurt/Main. Eine lange Warteschlange am Check-in. Von 10 Schaltern sind 2 besetzt. Es naht ein Paar mit Golftaschen und schicken Alukoffern. Konsumforscher würden die beiden als „kaufkräftig-dynamische Senioren“ einordnen. Er hat die Bestätigung der Internetbuchung in der Hand: Keine 90 € der Flug. Gespart – aber keine Freude darüber. „Unerhört, die lassen uns hier Stunden warten“, schimpft die Dame, die viel Gold an sich befestigt hat. Grummelnd sekundiert der Gatte: „Servicewüste Deutschland“.

Die Wüste haben sich die beiden Internetbucher selbst eingehandelt. Denn die Lufthansa hat soeben ihre Sparmaßnahmen verschärft, und die heißen: weniger Personal beim Check-in. Nur so kann Deutschlands Luftfahrtriese bei sinkenden Passagierzahlen im Preiskampf überleben.

Geiz ist geil – so tönt der Schlachtruf der Konsumenten 2003. Klingt toll, klingt billig, klingt auch nach Rache an den geldgierigen Herstellern. Die rufen genauso laut zurück: Geiz ist geil. Und sparen an den Löhnen, Sozialabgaben oder gleich am Personal. Preise wie bei Aldi, aber Service wie im KaDeWe – das geht nicht zusammen. Wer nur Discountpreise zahlen will, wird auch nur Discount kriegen.


Während die Sparguthaben der Deutschen wachsen, hat der geile geiz eine teuflische Spirale in Gang gesetzt. Spart der Konsument, spart auch die Wirtschaft – erst am Personal, später vielleicht auch an Qualität oder Sicherheit. Nun muss auch der Finanzminister sparen, weil keine Steuern reinkommen. Die Katastrophenschätzung vom Mai – 126 Mrd. € Steuerausfälle in den nächsten 3 Jahren - die war erst der Anfang. Die nächste im November soll noch viel verheerender werden. Doch vom Sonderparteitag abgesegnet macht auch Schröders Bundesregierung mit beim Volkssport Sparen: Anstatt die Sozialsysteme wirklich Zukunftsfest zu machen, verordnet die Agenda 2010 nur stumpfes Sparen an Sozialleistungen, sicher noch bei den Renten und öffentlichen Investitionen. Dafür werden Steuern und Gebühren erhöht – was die Kaufkraft weiter schwächt. Ist Geiz vielleicht gar nicht so geil? Ist es wirklich so smart, sein Auto im Versandhaus zu kaufen? Damit sparen wir ein paar 1000 €, das stimmt.

Aber wir sparen zugleich den Händler um die Ecke, seine Werkstatt, den schnellen Blick unter die Motorhaube, seine Mechaniker und Auszubildenden. Geiler Geiz, wenn unsere Kinder sich in ein paar Jahren aussuchen können, ob sie eine Ausbildung im Call-center machen, wo man die Autos bestellt, oder ob sie die Software entwickeln, die das ganze Call-center gleich überflüssig macht, weil es eigentlich viel zu teuer ist. Dann können sie immer noch Kurierfahrer werden, die das Auto ausliefern, in Bausätzen natürlich, weil selber zusammen schrauben ja viel billiger ist. Nur zur Inspektion müssen wir nach Nowosibirsk, weil das die nächste Werkstatt ist, total billig natürlich.

Mit der psychopathologischen Sparneurose, die diese Land erfasst hat, wurde stillschweigend ein Konsens aufgekündigt, der die Wirtschaftsrepublik Deutschland jahrzehntelang am Laufen hielt: Consumo ergo sum. Das tätige Bekenntnis, dass alle etwas für den gemeinsamen Wohlstand tun müssen: Das Pormonee zücken zum Beispiel. Nur wo ordentlich Geld ausgegeben wird, da werden auch ordentliche Löhne gezahlt, ordentliche Renten garantiert, ordentliche Schulen betrieben.

Sparen geht nicht ohne Qualitätsverlust. Das weiß jeder, der mal für 9,99 € einen Werkzeugkoffer im Baumarkt ergattert hat. Tolles Schnäppchen, wenn die Zange beim ersten Nagel schlapp macht.

Was gebraucht wird? Die Übereinkunft, dass Geiz nicht geil ist sondern gaga. Dass in einer Dagobert-Duck-Republik viele ärmer werden und nur wenige reicher. Schluss mit dem Sparwahn, Kampf der Ramsch-Republik, Revolution mit dem Einkaufswagen. Denn letzendlich verdiehnt am Ende jeder nur soviel, wie wir anderen zu zahlen bereit sind.

Hajo Schumacher arbeitete zehn Jahre beim „Spiegel“. 2001 wurde er Chefredakteur von „Max“.

Quelle MOZ 21.06.2003

P.S. Habe ich mühsam abgetippt, bitte 1 x grün für fleißig.... *gg*

 


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first-henri:

up...leider keinen zur Verfügung o. T.

 
22.06.03 22:44
b@z1:

da hast du den ;-) o. T.

 
22.06.03 23:33
tom68:

Fortsetzung 1...

 
01.11.03 13:29

Doofologie – jetzt oder nie

 

Zehn Prozent der deutschen Schüler schaffen am Reck einen Klimmzug, 90 Prozent beherrschen sogar den Lungenzug. Dies ermutigt die deutsche Gesundheitsministerin, „Seit an Seit“ mit den Kettenrauchern des Bundestages bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen das Tabak-Werbeverbot der EU zu stimmen. Weltweit ziehen Hinterbliebene von Nikotinopfern wutschnaubend gegen die Zigarettenindustrie vor Gericht, und jedes Mal laufen die Urteile darauf hinaus, dass Tabakkonzerne für die – möglicherweise – schädlichen Folgen des Rauchens nicht haftbar gemacht werden können.

 

Wie bei der Gesundheitsreform greift auch beim Nikotinkonsum das Prinzip Eigenverantwortung vor Entschädigung. Darum werden seit kurzem 30 Prozent der Vorder- und 40 Prozent der Rückseite aller Zigarettenschachteln mit Warnungen aus dem Reiche des schwarzen Humors bedruckt: Rauchen ist tödlich! Raucher sterben früher!! Rauchen führt zu Lungenkrebs, Herzinfarkt, Impotenz und Kastrationsängsten!!! Nur ganz besonders pfiffige erkennen in all dem blauen Dunst, dass Rauchen nicht halb so lebensgefährlich ist wie die Gesundheitsreform.

 

Nun aber sind die pfiffigen, wie die Pisa-Studie nachweist, in Deutschland nicht direkt das, was wir eine Massenerscheinung nennen dürften, und 4 Millionen sekundäre Analphabeten sind auch nicht gerade ein Ruhmesblatt für das Bildungssystem im Lande der Dichter und Denker. Wenn Heiner Müller seinerzeit richtig gerechnet hat, sind zehn Deutsche doppelt so dumm wie fünf Deutsche. Jahrelang dachte ich, dass Müller mit diesem Gag bloß den so genannten Stand-up-Comedians ins Handwerk pfuschen wollte, allmählich schwant mir, dass er Recht hat.

 

Kürzlich lautete in der RTL-Ostalgie-Show die 5000-Euro-Zuschauerfrage: mit welcher Währung zahlte man in der DDR – a) mit Mark oder b) mit Euro? Eine voll harte Nuss, gell? Und BILD suchte den Super-Ossi mit dem Foto einer weltbekannten Schauspielerin und der Frage: Heißt sie a) Gisela März, b) Gisela April oder c) Gisela May? Uns beginnt zu dämmern, dass die erwähnten Analphabeten allesamt in wohltemperierten Redaktionen residieren und unter Alkoholeinfluss Preisfragen ersinnen: Wie lang ist der Hundertmeterlauf? Wer schrieb die 9. Symphonie von Beethoven? In welcher bayerischen Hauptstadt an der Isar findet das Münchner Oktoberfest statt? Angesichts dieser Legastheniker-Paralympics steht Hans Meiser mit seinem geflügelten Satz plötzlich glänzend da: „In der DDR hatte, glaube ich, keiner ein Telefon, nur irgendwelche SED-Menschen...“

 

Für den einen ist es Quatsch, für den anderen ist es Unsinn, und die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte, doch wir lernen daraus: Dummheit tut nicht weh, Bildung wird weit überschätzt, und man muss nicht unbedingt alles wissen, manches kann man sich auch denken. Mit Intelligenzdumping, Verblödung und Reprimitivisierung der Gesellschaft regiert es sich einfach besser. Je weniger man weiß, desto plausibler werden die Herzog-Rührup-Hartz-Koch-Schröder-Merz-Vorschläge zum Umbau der Sozialsysteme: Mehr Nullrunden für Rentner! Höhere Abfindungen für Konzernmanager! Mehr Geld für den Euro-Fighter! Weniger Geld für Hochschulen und Theater!

 

Frage: Warum werden immer mehr Bibliotheken dicht gemacht? Antwort: Weil lesen bildet!

 

 

Ernst Röhl: Am Sonnabend - Betrachtungen zur Zeit

 

hjw2:

*gg* o. T.

 
01.11.03 14:02
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