Schluss mit dem Sparwahn. Gebt ordentlich Geld aus!
Neulich am Flughafen Frankfurt/Main. Eine lange Warteschlange am Check-in. Von 10 Schaltern sind 2 besetzt. Es naht ein Paar mit Golftaschen und schicken Alukoffern. Konsumforscher würden die beiden als „kaufkräftig-dynamische Senioren“ einordnen. Er hat die Bestätigung der Internetbuchung in der Hand: Keine 90 € der Flug. Gespart – aber keine Freude darüber. „Unerhört, die lassen uns hier Stunden warten“, schimpft die Dame, die viel Gold an sich befestigt hat. Grummelnd sekundiert der Gatte: „Servicewüste Deutschland“.
Die Wüste haben sich die beiden Internetbucher selbst eingehandelt. Denn die Lufthansa hat soeben ihre Sparmaßnahmen verschärft, und die heißen: weniger Personal beim Check-in. Nur so kann Deutschlands Luftfahrtriese bei sinkenden Passagierzahlen im Preiskampf überleben.
Geiz ist geil – so tönt der Schlachtruf der Konsumenten 2003. Klingt toll, klingt billig, klingt auch nach Rache an den geldgierigen Herstellern. Die rufen genauso laut zurück: Geiz ist geil. Und sparen an den Löhnen, Sozialabgaben oder gleich am Personal. Preise wie bei Aldi, aber Service wie im KaDeWe – das geht nicht zusammen. Wer nur Discountpreise zahlen will, wird auch nur Discount kriegen.
Während die Sparguthaben der Deutschen wachsen, hat der geile geiz eine teuflische Spirale in Gang gesetzt. Spart der Konsument, spart auch die Wirtschaft – erst am Personal, später vielleicht auch an Qualität oder Sicherheit. Nun muss auch der Finanzminister sparen, weil keine Steuern reinkommen. Die Katastrophenschätzung vom Mai – 126 Mrd. € Steuerausfälle in den nächsten 3 Jahren - die war erst der Anfang. Die nächste im November soll noch viel verheerender werden. Doch vom Sonderparteitag abgesegnet macht auch Schröders Bundesregierung mit beim Volkssport Sparen: Anstatt die Sozialsysteme wirklich Zukunftsfest zu machen, verordnet die Agenda 2010 nur stumpfes Sparen an Sozialleistungen, sicher noch bei den Renten und öffentlichen Investitionen. Dafür werden Steuern und Gebühren erhöht – was die Kaufkraft weiter schwächt. Ist Geiz vielleicht gar nicht so geil? Ist es wirklich so smart, sein Auto im Versandhaus zu kaufen? Damit sparen wir ein paar 1000 €, das stimmt.
Aber wir sparen zugleich den Händler um die Ecke, seine Werkstatt, den schnellen Blick unter die Motorhaube, seine Mechaniker und Auszubildenden. Geiler Geiz, wenn unsere Kinder sich in ein paar Jahren aussuchen können, ob sie eine Ausbildung im Call-center machen, wo man die Autos bestellt, oder ob sie die Software entwickeln, die das ganze Call-center gleich überflüssig macht, weil es eigentlich viel zu teuer ist. Dann können sie immer noch Kurierfahrer werden, die das Auto ausliefern, in Bausätzen natürlich, weil selber zusammen schrauben ja viel billiger ist. Nur zur Inspektion müssen wir nach Nowosibirsk, weil das die nächste Werkstatt ist, total billig natürlich.
Mit der psychopathologischen Sparneurose, die diese Land erfasst hat, wurde stillschweigend ein Konsens aufgekündigt, der die Wirtschaftsrepublik Deutschland jahrzehntelang am Laufen hielt: Consumo ergo sum. Das tätige Bekenntnis, dass alle etwas für den gemeinsamen Wohlstand tun müssen: Das Pormonee zücken zum Beispiel. Nur wo ordentlich Geld ausgegeben wird, da werden auch ordentliche Löhne gezahlt, ordentliche Renten garantiert, ordentliche Schulen betrieben.
Sparen geht nicht ohne Qualitätsverlust. Das weiß jeder, der mal für 9,99 € einen Werkzeugkoffer im Baumarkt ergattert hat. Tolles Schnäppchen, wenn die Zange beim ersten Nagel schlapp macht.
Was gebraucht wird? Die Übereinkunft, dass Geiz nicht geil ist sondern gaga. Dass in einer Dagobert-Duck-Republik viele ärmer werden und nur wenige reicher. Schluss mit dem Sparwahn, Kampf der Ramsch-Republik, Revolution mit dem Einkaufswagen. Denn letzendlich verdiehnt am Ende jeder nur soviel, wie wir anderen zu zahlen bereit sind.
Hajo Schumacher arbeitete zehn Jahre beim „Spiegel“. 2001 wurde er Chefredakteur von „Max“.
Quelle MOZ 21.06.2003
P.S. Habe ich mühsam abgetippt, bitte 1 x grün für fleißig.... *gg*