Im passenden Täschchen...
HANNOVER - Für das Land Brandenburg könnte sich die Computermesse Cebit in Hannover in diesem Jahr richtig lohnen. Finanziell. Denn Wirtschaftsstaatssekretär Henning Heidemanns, der den mit der Zukunft der Luftfahrtschau ILA befassten Minister Ralf Christoffers (Linke) kurzfristig vertreten musste, entdeckte auf seinem Rundgang am Stand von Francotyp Postalia aus Birkenwerder (Oberhavel) enormes Einsparpotenzial für die Landesregierung. Die Idee des Frankiermaschinenherstellers: Jeder Nutzer der Verwaltung bekommt auf seinem PC einen speziellen Drucker eingerichtet, auf dem er Briefe ausdrucken kann – die dann nicht im Büro auf Papier gebracht, eingetütet und frankiert werden, sondern direkt ins Francotyp-Druckzentrum in Berlin-Adlershof und von dort zum Empfänger gelangen. „Ein Euro pro Brief“ ließe sich so sparen, weil kein eigenes Material verbraucht und kein eigenes Personal gebunden wird, sagt Firmenvorstand Hans Szymanski. Heidemanns war von der Idee so angetan, dass er gleich vom Demonstrations-PC aus einen Brief an Innenminister Rainer Speer (SPD) verfasste, und den „lieben Rainer“ auf das Francotyp-Produkt aufmerksam machte.
Ansonsten spielt bedrucktes Papier auf der Leitmesse der Branche, die nach einem Krisenjahr 2009 erneut einen Ausstellerschwund um 150 auf nur noch 4157 – davon 31 aus Brandenburg – hinnehmen musste, eine eher untergeordnete Rolle. Wenn sich ein Thema quer durch die gesamte Schau zieht, dann nicht die gern von der Branche in den Vordergrund gerückte „Grüne IT“ und auch nicht „Cloud computing“, das Arbeiten im Internet, ohne dass Daten und Programme auf dem eigenen Computer liegen, sondern das Handy. Genauer gesagt: die Smartphones. „Schlaue“ Mobiltelefone, in denen ein kleiner Computer steckt, die berührungsempfindliche Bildschirme haben, hochauflösende Kameras und auf denen sich zusätzliche Programme installieren lassen.
„Ich öffne Türen“, sagt Birgit Wilkes am Stand der Technischen Hochschule Wildau (Dahme-Spreewald). Aber nicht mit einem Schlüssel, sondern eben mit dem Handy. Seit drei Jahren beschäftigt sie sich mit dem „assisted living“, dem unterstützten Wohnen – also der Frage, wie Technik älteren, hilfebedürftigen Menschen das Leben leichter machen kann. Der Handy-Schlüssel ist in der Praxis entstanden. Bei einem Notruf aus einer Wohnung, in der ein älterer oder kranker Mensch wohnt, stellt sich für die Pflegedienste immer ein Problem: Es muss erst aus der Zentrale der Schlüssel zu der Wohnung geholt werden, selbst wenn ein Mitarbeiter ganz in der Nähe ist.
Die Idee, die zusammen mit der Firma Elegate entwickelt wurde, ist die berührungslose Schlüsselübergabe – per Kurznachricht SMS. Dazu wird die Tür mit einer Kamera ausgestattet, ein Programm auf dem Handy öffnet den gesendeten SMS-Schlüssel und setzt ihn in eine Farbsequenz um, die auf Knopfdruck auf dem Bildschirm angezeigt wird. Die Kamera fängt das Farbenspiel ein – und setzt den Öffnungsmechanismus in Gang, wenn das Muster stimmt. „Man kann damit Schlüssel generieren, die nur einmal gelten oder für einen bestimmten Zeitraum“, so Wilkes.
Mancher Privatkunde würde wohl ebenfalls gern seine Wohnung mit dem Handy aufschließen. Schließlich vergisst man heute eher mal seinen Schlüsselbund als das Mobiltelefon. Um so schlimmer, wenn man das Gerät dann einmal verliert. Im Privatleben ärgerlich, im Geschäftsleben womöglich sehr teuer, sagt Lars Geißler von der Potsdamer Webxells. Auf dem Gemeinschaftsstand der Länder Brandenburg und Berlin, vor dem die Langen Kerls aus Potsdam in ihren historischen Uniformen nicht gerade den Hauch von Hightech verbreiten, zeigt er, wie sich der Inhalt eines Handys aus der Ferne komplett löschen lässt, wenn der Besitzer es wünscht. Und für Firmen gibt es die Möglichkeit, einen „Geo-Zaun“ auf dem Gerät zu installieren, so dass etwa das Diensthandy auf dem Firmengelände keine Fotos machen kann, außerhalb aber ganz normal funktioniert. Daimler habe sich das sehr interessiert angesehen, so Geißler, jetzt gehe es darum, „aus dem Prototypen ein Produkt zu machen“.
Die Innovationen der Kleinen sind auf der Cebit oft spannender als das, was die vermeintlich Großen zeigen. So gibt es beim erstmals vertretenen Internet-Riesen Google gerade mal drei Autos zu sehen, mit denen Deutschland für den umstrittenen Landkartendienst „Streetview“ fotografiert wird. Beim Mega-Stand der Deutschen Telekom in Halle 4 fällt vor allem der Geräuschpegel, eine Mischung aus orientalischem Basar und Ballerman-Disco, auf. Dicht gedrängt stehen die Leute, reden auf die Telekom-Mitarbeiter an ihren Stehtischen ein. Man könnte angesichts des Andrangs meinen, außerhalb der Messe gebe es keine Chance, mit einem leibhaftigen Telekom-Angestellten zu sprechen. Alles ist hier drei Nummern lauter, greller, bunter. Das neue Geschäfskunden-Angebot „Deutschland-Lan“, das einen schnellen Internetanschluss mit Diensten wie einer virtuellen Telefonanlage und Software zum Mieten verknüpft, wird in einem 3D-Film präsentiert. Und während das Publikum mit den Pappbrillen auf der Nase staunend den rosafarbenen Bauklötzen zuschaut, die durch den Raum fliegen, werden die Vorzüge angepriesen wie ein Gemüsehobel oder Wunder-Schuhcremes in der Fußgängerzone.
Da geht es beim Funkwerk Dabendorf (Teltow-Fläming) drei Hallen weiter ruhiger zu. Das Unternehmen stellt eine Neuentwicklung vor. Künftig soll man mit dem Handy im Auto über eine Freisprecheinrichtung nicht nur telefonieren, sondern auch das Internet nutzen können. E-Mails werden vorgelesen, per Sprachsteuerung kann sich der Fahrer durch seine Nachrichten hangeln und auch antworten. In eine schriftliche Mail übersetzt wird das aber nicht, wie Geschäftsführer Theo Drijfhout einräumt, „da ist die Technik angesichts der Geräuschkulisse im Auto noch nicht so weit“. Stattdessen wird die Antwort als Audiodatei angehängt, die sich der Empfänger anhören kann. Nicht perfekt, aber „wir wollten eine Lösung, die heute funktioniert“, so Drijfhout.
Nicht nur die Brandenburger Firmen setzen auf Handys. Das Startup Qunatexx will in Kooperation mit dem Softwareriesen SAP dem elektronischen Geld (E-Geld) und dem Bezahlen mit dem Handy zum Durchbruch verhelfen. Dank Moonha, so der Name des Gemeinschaftsprojekts, könnte außerdem die gedruckte Anzeige in der Zeitung zum Online-Shop werden, glaubt Quantexx-Chef Rainer Troester. Die Idee: Der Kunde lädt sein Moonha-Konto per Überweisung oder Kreditkarte auf. Ein Unternehmen kann nun in einer Anzeige, etwa für ein Hemd, einen Barcode abdrucken, den der Moonha-Nutzer mit seinem Handy fotografiert. Automatisch wird eine Verbindung zum Onlineshop der Firma hergestellt, der Kunde muss noch Farbe und Größe auswählen und den Kauf bestätigen, der über Moonha abgewickelt wird. „Bisher wurde die Anzeige zwar wahrgenommen, aber bis jemand am Abend ins Internet gegangen ist, war der Kaufwunsch verflogen“, sagt Troester – der zugibt, dass an der E-Geld-Idee schon andere gescheitert sind. Nun sei aber die Technik leistungsstark und verbreitet genug, die Zeit also reif – für Handys, die mehr ermöglichen als nur telefonieren. (Von Andreas Streim)