Das können Anleger aus dem 11. September lernen
Von Marc Hogan, BusinessWeek.com
12. September 2006 Es werden wohl nur wenige Amerikaner vergessen haben, wo sie sich am 11. September 2001 aufhielten - vor allem wenn sie in Manhattan waren. Die Terroranschläge, die an diesem Morgen buchstäblich aus heiterem Himmel kamen, erschütterten eine ganze Nation seelisch und finanziell bis ins Mark. Den Anlegern gelang es, dies zu überwinden, doch auch sie können das Geschehen nicht vergessen.
In den fünf Jahren seit den Angriffen auf das World Trade Center zeigten die großen Aktienindizes eine mäßige Aufwärtsbewegung. Im Nachmittagshandel des 8. September 2006 lag der Dow Jones Industrial Average um 18,6 Prozent über dem Stand des 11. September, während der größere Aktienindex Standard & Poor's 500 um 19 Prozent gestiegen ist. Der Technologie-lastige Nasdaq Composite gewann 27,8 Prozent hinzu.
Diversifikation als Schutz gegen überraschende Ereignisse
Diese Zugewinne sind zwar nicht spektakulär, verdeutlichen aber, daß sich der Aktienmarkt von der Gefahr eines weiteren Anschlags weitgehend unbeeindruckt zeigt. Für Börsenprofis wie für Privatanleger bestätigen die Ereignisse des 11. September die Bedeutung eines diversifizierten Portfolios als Schutz gegen alle Katastrophen - terroristischer oder sonstiger Art. Der Markt zieht weiter, doch einzelne Werte und Branchen kamen zuweilen auf diesem Weg nicht ganz mit.
Nach den Anschlägen reagierten die Anleger zunächst panisch. Die Aktien gerieten ins Taumeln, als der Markt am 17. September wieder geöffnet wurde, und erreichten ihren Tiefpunkt am 9. Oktober 2002, als der Dow Jones auf 7286.27 fiel. Seit März 2003 ist jedoch ein stetiger Anstieg zu beobachten. Am 10. Mai 2006 erreichte der Dow Jones ein Sechs-Jahres-Schlußhoch von 11642.65, nur 100 Punkte von seinem Allzeithoch entfernt.
Das gleiche Muster zeigte sich nach jedem großen Terroranschlag seit dem 11. September von Neuem. Nach den Bombenanschlägen in der Türkei im November 2003 und den Zugattentaten von Madrid im März 2004 gaben die Aktien zunächst nach, zogen dann jedoch wieder an. Nach den Bombenanschlägen im Juli 2005 in London brauchten die großen Indizes nur wenige Tage, um sich zu erholen.
„Der 11. September etablierte den Terrorismus als einen Faktor, den Sie zu berücksichtigen haben,” sagt Alec Young, Aktienmarktstratege bei S&P Equity Research Services. „Seit dem 11. September fällt die Reaktion des Marktes bei jedem neuen Terrorakt geringer aus. Die Börsen haben erkannt, daß Terroranschläge einmalige Ereignisse sind, also gehen sie im Prinzip achselzuckend darüber hinweg.”
Einzelereignisse beeindrucken die Finanzmärkte nur bedingt
Tatsächlich haben die Märkte seit dem 11. September auf Terroranschläge ebenso reagiert wie auf andere Umbrüche in der Geschichte. Katastrophen - sei es das Erdbeben von San Francisco 1906, das Attentat auf Präsident John F. Kennedy 1963 oder der Bombenanschlag in Oklahoma City 1995 - verursachen in aller Regel lediglich ein kurzes Flattern an den Märkten, so die Analysten.
„Es mßte einfach sehr, sehr viel geschehen, um die Kapitalstruktur der Vereinigten Staaten, geschweige denn die der Welt, mit einem einzigen Ereignis zu zerstören,” erklärt Dan Genter, President und CEO der in Los Angeles ansässigen Investmentgesellschaft RNC Genter.
Dennoch könnte der Terrorismus immer noch die Aktienkurse belasten. Die Anleger wollen heute für einen Dollar Gewinn weniger zahlen als vor fünf Jahren - aus welchem Grund auch immer. Das rollende durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis über vier Quartale betrug für den Dow Jones Wilshire 5000 Index 27,25 nach dem ersten Halbjahr 2001. Am 30. August 2006 war diese Kennziffer auf 19,55 gefallen. „Es läßt sich nur schwer quantifizieren, wie viel davon durch zusätzliche Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Terrorismus zustande kommt,” meint Steve Foresti, Managing Director und Leiter der Investment Research Group bei Wilshire Consulting.
Mittlerweile haben einzelne Sektoren und Anlageklassen unterschiedlich auf den Terror reagiert. Gold, Anleihen, Value-Style-Werte und defensive Sektoren zeigten in aller Regel in den letzten fünf Jahren unmittelbar nach Anschlägen eine gute Wertentwicklung, meint Sam Stovall, Chef-Investment-Stratege bei S&P's, in einem Bericht vom 10. August. Allerdings wechselten die Anleger anschließend jedes Mal in eher zyklische Sektoren, wie etwa dauerhafte Konsumgüter, Informationstechnologie und Telekom-Aktien.
Alles in Allem zählten Energiewerte wie Exxon Mobil und Chevron zu den größten Gewinnern der letzten fünf Jahre. Der Dow Jones Wilshire U.S. Oil & Gas Index hat sich vom 10. September 2001 bis zum 1. September 2006 fast verdoppelt. Der Rückgang der Ölpreise in der letzten Zeit könnte allerdings signalisieren, dass der Branche härtere Zeiten bevorstehen. „Die Zeit des schnellen Geldes ist vorbei,” meint Young von S&P's.
Im Verteidigungsbereich tätige Unternehmen verzeichneten durch Anti-Terror-Aktivitäten und den Krieg im Irak ebenfalls Gewinne. „Sie weisen längerfristige Trends auf, die durch ein einzelnes Ereignis nicht einfach abgelenkt wurden,” bemerkt Ryan Crane, Chief Investment Officer von Stephens Investment Management. Zum Nachmittagshandel am 8. September erzielte Raytheon einen Dividenden-bereinigten Zuwachs von 110% seit dem 10. September 2001, Boeing liegt um 82,9 Prozent höher.
Anleger sollten auf das Unerwartete vorbereitet sein
Zugleich haben sich einige Gruppen, die nach dem 11. September ins Straucheln kamen, deutlich erholt. Der Dow Jones Wilshire U.S. Travel & Leisure Index gab während des Jahres 2002 überwiegend nach, gewann jedoch 50 Prozent vom 10. September 2001 bis zum 1. September 2006 hinzu. Der Dow Jones Wilshire U.S. Industrial Goods & Services Index steht um 36 Prozent höher als am 10. September 2001, auch hier trotz einer Schwächephase im Jahr 2002.
Automobilaktien wie General Motors und Ford gingen hingegen in den vergangenen fünf Jahren stetig zurück. Der Dow Jones Wilshire U.S. Automobiles & Parts Index verlor 19 Prozent vom 10. September 2001 bis zum 1. September 2006, trotz eines bescheidenen Anstiegs Ende 2004. Unterdessen erzielten Technologieaktien in diesem Zeitraum nach drastischen Verlusten in den Jahren 2000 und 2001 nur geringe Gewinne.
Mit oder ohne Terrorismus, die Anleger sollten auf das Unerwartete vorbereitet sein, meinen Analysten. „Wenn aus diesem tragischen Ereignis eine Lehre zu ziehen ist, dann die, daß uns das Anschlagsrisiko erhalten bleibt und nicht mehr verschwinden wird,” meint Rob Brown, Chief Investment Officer von Genworth Financial Asset Management.
Letztlich stelle das Risiko eines großen Terroranschlags einen weiteren Grund für die Anleger dar, ihre Portfolios zu diversifizieren und Anlageentscheidungen nicht aus dem Gefühl heraus zu treffen, kommentiert Barry Ritholtz, Chef-Marktstratege bei Ritholtz Research & Analytics. „Ihre Gefühle verleiten Sie zu einer raschen Reaktion, um Sie aus einer momentanen Bedrängnis zu befreien, aber dies ist nicht unbedingt die beste Anlageempfehlung,” meint Ritholtz.
Die Anschläge des 11. September haben alles verändert, wie uns die Politiker immer wieder zu bedenken geben, und in gewisser Hinsicht haben sie Recht. Die klügste Anlagemethode hatte sich jedoch bereits vor diesem entsetzlichen Ereignis als richtig erwiesen und gilt heute nach wie vor: ein diversifiziertes Portfolio mit langfristigen Anlagezielen. Das sollten Sie nicht vergessen.