Finanzminister vs. Finanzministerium?

Beitrag: 1
Zugriffe: 165 / Heute: 1
Finanzminister  vs.  Finanzministerium? Anarch

Finanzminister vs. Finanzministerium?

 
#1

oder "Unanständiges Maastricht!"


"Blauer Brief" immer wahrscheinlicher


Interne Berechnungen sehen Defizit angeblich bei 3,5 Prozent. Eichel weist Berichte zurück

Berlin - Ein "blauer Brief" aus Brüssel wird immer wahrscheinlicher: Experten im Bundesfinanzministerium (BMF) rechnen nach Informationen des "Spiegels" damit, dass Deutschland in diesem Jahr klar gegen das Defizitkriterium des Maastricht Vertrages von drei Prozent verstoßen wird. Zuvor hatte bereits die WELT gemeldet, dass sich das Defizit der öffentlichen Kassen im ersten Halbjahr 2002 auf 36,29 Milliarden Euro beläuft. Das BMF wies beide Berichte zurück. "Es gibt noch keine belastbaren Daten", sagte eine Sprecherin. Zudem könne man die Daten des ersten Halbjahres nicht auf das Gesamtjahr hochrechnen, da die Regierung weiterhin von einer Belebung der Konjunktur im dritten und vierten Quartal ausgeht. Unterdessen kündigte das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) allerdings an, auf Grund der schwachen Konjunktur seine Wachstumsprognose von 1,2 Prozent für das laufende Jahr zu überprüfen.

Laut "Spiegel" ist Eichel von Beamten seines Ministeriums unterrichtet worden, dass das Defizit von Bund, Ländern und Gemeinden 2002 auf bis zu 3,5 Prozent anwachsen könne. Die Kalkulation sei noch vor dem Hochwasser aufgestellt worden, das den Bund zusätzlich belaste. Der Grund für die höhere Verschuldung liege im sinkenden Steueraufkommen auf Grund der schwachen Konjunktur und in steigenden Ausgaben für die Arbeitslosenunterstützung.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz sagte der "Welt am Sonntag", das Ausmaß der Neuverschuldung werde erst nach der Bundestagswahl im September ans Licht kommen. Bis dahin werde Eichel die Öffentlichkeit weiter täuschen. Weil die rot-grüne Regierung die Kriterien zur Neuverschuldung aus dem Maastricht-Vertrag massiv verletzen werde, werde Deutschland von der Europäischen Union (EU) einen "blauen Brief" bekommen. Merz prophezeite Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD), dass aus dem selbst ernannten Sparkommissar der europäische Schuldenstar werde. Auch der CDU-Haushaltsexperte Dietrich Austermann äußerte die Befürchtung, dass angesichts wegbrechender Steuereinnahmen und höherer Ausgaben für die Arbeitslosenhilfe eine Neuverschuldung von über 60 Milliarden Euro nicht mehr zu vermeiden sei. Dies bedeute einen "blauen Brief" und Strafzahlungen. Demgegenüber mahnte SPD-Fraktionschef Ludwig Stiegler zur Ruhe. Die zweite Jahreshälfte sei bei den Steuereinnahmen meist ergiebiger.

Das BMF hält weiterhin daran fest, die gegenüber der EU gegebene Verpflichtung eines bis 2004 nahezu ausgeglichenen Gesamthaushaltes ohne zusätzliches Sparpaket zu erreichen. "Wir werden zwar eisern an unserer Ausgabenkontrolle festhalten", stellte Eichel klar. "Wenn das prognostizierte Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent im nächsten Jahr erreicht wird, brauchen wir aber auf keinen Fall ein Sparpaket", betonte der Bundesfinanzminister. Er könne dabei jedoch nur für den Bund sprechen. Für die gegenüber der EU gegebene Verpflichtung müssten "alle Länder und alle Gemeinden mithelfen", ergänzte der Minister.

Hintergrund der Debatte: Im Maastricht-Vertrag von 1992 legten die EU-Staaten die so genannten Konvergenzkriterien fest. Um dabei die Bedingung gesunder Staatsfinanzen zu erfüllen, darf die jährliche Neuverschuldung des Staates höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen, und die Staatsschulden dürfen sich auf höchstens 60 Prozent des BIP belaufen. Laut Wachstums- und Stabilitätspakt von 1996 muss jeder EU-Staat zwei Mal im Jahr seine Budgetwerte und die wichtigsten Prognosen für die eigene Volkswirtschaft der EU-Kommission vorlegen. Brüssel wacht seinerseits mit einem Frühwarnsystem über Fehlentwicklungen. Nähert sich beispielsweise das Defizit eines Landes bedrohlich der Drei-Prozent-Marke, kann dem betroffenen Land ein "blauer Brief" geschrieben werden.

Deutschland konnte ein solches Mahnschreiben im Frühjahr nur mit Mühen abwenden: Die Bundesregierung musste sich verpflichten, bis 2004 einen nahezu ausgeglichenen Haushalt zu erzielen. Überschreitet ein Land wie im Falle Portugals die Drei-Prozent-Marke, wird ein Strafmechanismus ausgelöst. Es drohen Geldstrafen bis zu 0,5 Prozent des BIP.


Börsenforum - Gesamtforum - Antwort einfügen - zum ersten Beitrag springen
--button_text--