Fairneß?

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Fairneß?

 
06.04.02 20:51
Am 12. Februar 2002 veröffentlichten knapp 60 bekannte Intellektuelle der USA, darunter Amitai Etzioni, Francis Fukuyama, Robert Putnam und Michael Walzer, unter dem Titel »Wofür wir kämpfen« einen Text, in dem sie den Krieg der Bush-Administration nach dem 11. September unter Berufung auf »amerikanische Werte« und »universelle Grundsätze« unterstützten (Im Internet: www.propositionsonline.com). Unter dem Titel »Ein Brief von Bürgern der Vereinigten Staaten an Freunde in Europa« reagierten jetzt Ed Herman (Mitarbeiter von Noam Chomsky), Richard DuBoff (Bryn Mawr University), Jean Bricmont (Université Catholique du Louvain) und Diana Johnstone (Paris) auf dieses Manifest. junge Welt dokumentiert im folgenden diesen Text.

Der zentrale Trugschluß der Kriegsbefürworter ist die Gleichsetzung von »amerikanischen Werten«, wie sie im Lande selbst verstanden werden, und der Anwendung von ökonomischer und speziell militärischer Macht der USA im Ausland. Im Anschluß an die Selbstmordattacken vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon erklärte US-Präsident George W. Bush einen unbefristeten »Krieg gegen Terrorismus«. Dieser Krieg hat keine erkennbaren Grenzen in bezug auf Ort, Zeit und das Maß an Zerstörung, das zugefügt werden könnte. Es gibt keine Aussage darüber, welches Land verdächtigt werden kann, »Terroristen« zu beherbergen, oder zu einem Teil der »Achse des Bösen« erklärt werden kann. Die Ausrottung des »Bösen« könnte viel länger dauern, als die Welt der zerstörerischen Gewalt, die ausgeübt wird, widerstehen kann. Das Pentagon führt bereits Bomben ein, die damit beschrieben werden, sie lösten den Effekt eines Erdbebens aus. Offiziell wird die Anwendung von Nuklearwaffen in Betracht gezogen - neben anderem Horror im stets vervollkommneten Arsenal des Pentagon.


Unermeßliche Zerstörung

Die ins Auge gefaßte materielle Zerstörung ist unermeßlich. Das gleiche gilt für die menschlichen Schäden, nicht nur im Sinn von Menschenleben, sondern auch in dem von moralischer Verzweiflung und Haß, der sicher Millionen Menschen erfüllt, die nur hilflos zusehen können, wie ihre Welt von einem Land zerstört wird, den Vereinigten Staaten, das vorgibt, seine moralische Autorität sei ebenso absolut und unanfechtbar wie seine militärische Macht.

Wir als Bürger der USA haben eine besondere Verantwortung, gegen dieses Hineinstürmen in Krieg zu opponieren. Als Europäer haben Sie ebenfalls eine besondere Verantwortung. Die meisten Ihrer Länder sind militärische Verbündete der Vereinigten Staaten im Rahmen der NATO. Die Vereinigten Staaten behaupten, in Selbstverteidigung zu handeln, aber auch »die Interessen ihrer Verbündeten und Freunde« zu verteidigen. Ihre Länder werden unvermeidlich in militärische US-Abenteuer einbezogen werden. Auch Ihre Zukunft ist in Gefahr.

Viele informierte Menschen sowohl innerhalb wie außerhalb Ihrer Regierungen sind sich der gefährlichen Torheit des Kriegskurses bewußt, der von der Bush-Administration verfolgt wird. Aber nur wenige wagen es, darüber ehrlich zu sprechen. Sie sind eingeschüchtert wegen der verschiedenen Formen von Vergeltung, die gegen »Freunde« und »Verbündete« ausgeübt werden kann, falls die es versäumen, Unterstützung zu leisten, ohne Fragen zu stellen. Sie fürchten, als »Anti-Amerikaner« abgestempelt zu werden - dasselbe Etikett, das absurderweise jenen Amerikanern angeheftet wird, die sich gegen die Kriegspolitik aussprechen und deren Proteste in dem chauvinistischen Chor, der die US-Medien beherrscht, leicht übertönt werden. Eine vernünftige und freimütige europäische Kritik an der Kriegspolitik der Bush-Administration kann dazu beitragen, daß die Stimmen der Antikriegs-Amerikaner gehört werden.

Mag sein, daß es einer der ältesten Berufe von Dichtern und Menschen der Feder ist, Macht zu bejubeln. Als oberste Weltmacht sind die Vereinigten Staaten natürlich attraktiv für Jubler, welche die politischen Führer der Nation dazu drängen, beim Gebrauch ihrer militärischen Macht stets weiterzugehen, um einer widerspenstigen Welt Tugend aufzuerlegen. Die Melodie ist jahrhundertealt und stets dieselbe: Die Tugend des Mächtigen soll auf den Ohnmächtigen durch die Anwendung von Gewalt übertragen werden.

Selbstbejubelung ist ein notorischer Charakterzug in der Kultur der Vereinigten Staaten - vielleicht ein nützliches Mittel der Assimilation in einer Einwanderergesellschaft. Leider hat der 11. September diese Tendenz in neue Extreme getrieben. Die Wirkung ist, daß eine unter US-Bürgern weitverbreitete Illusion verfestigt wird, daß nämlich die Welt in Bewunderung oder in Neid auf die Vereinigten Staaten fixiert ist - so wie sie sich selbst sehen: wohlhabend, demokratisch, großzügig, jeden willkommen heißend, offen für jeden Menschenschlag und alle Religionen, der Inbegriff aller universellen menschlichen Werte und die letzte beste Hoffnung der Menschheit.

In diesem ideologischen Kontext gibt es auf die Frage, die sich nach dem 11. September stellte: »Warum hassen sie uns?«, nur eine Antwort: »Weil wir so gut sind!« Oder - wie es gemeinhin ausgedrückt wird -: Sie hassen uns wegen unserer »Werte«. Die meisten US-Bürger sind sich dessen nicht bewußt, daß die Wirkung der US-Macht im Ausland nichts mit den »Werten« zu tun hat, die im Inland bejubelt werden, sondern daß sie in Wirklichkeit oft dazu dient, Menschen in anderen Ländern der Möglichkeit des Versuchs zu berauben, an jenen teilzuhaben - falls sie es gern tun würden.

In Lateinamerika, Afrika und Asien wurde US-Macht sehr viel häufiger als fürs Gegenteil dafür genutzt, die Überbleibsel von Kolonialregimes und unpopuläre Diktatoren abzusichern, um zerstörerische kommerzielle und finanzielle Bedingungen aufzuerlegen, um repressive bewaffnete Kräfte zu unterstützen und schließlich, um Bomber und Marschflugkörper, einen Regen von Tod und Zerstörung zu schicken.


»Recht auf Selbstverteidigung«

1. Wessen Recht?

Seit dem 11. September fühlen sich die Vereinigten Staaten angegriffen. Im Ergebnis dessen beanspruchte ihre Regierung das »Recht auf Selbstverteidigung«, das sie in die Lage versetzte, Krieg nach ihren eigenen, nach Belieben ausgewählten Bedingungen gegen jedes Land zu führen, das von ihr als Feind bezeichnet wird - ohne Überprüfung von Schuld oder ein gesetzliches Verfahren.

Offensichtlich existierte solch ein »Recht auf Selbstverteidigung« niemals für solche Länder wie Vietnam, Laos, Kambodscha, Libyen, Sudan oder Jugoslawien, als sie von den Vereinigten Staaten bombardiert wurden. Für Länder, die zukünftig von den Vereinigten Staaten bombardiert werden, wird es ebenfalls nicht anerkannt. Es handelt sich schlicht um das Recht des Stärkeren, das Recht des Dschungels. Die Ausübung eines solchen »Rechts«, das allen anderen verwehrt wird, kann nicht »universellen Werten« dienen, sondern untergräbt den Begriff einer Weltordnung selbst, die auf universelle Werten basiert, einschließlich eines gesetzlichen Anspruchs, der allen auf der Basis der Gleichheit zukommt.

Ein »Recht«, das nur eine einzige Entität genießt - die mächtigste -, ist kein Recht, sondern ein Privileg, das allein zum Nachteil der Rechte von anderen ausgeübt wird.

2. Wie »verteidigen« die Vereinigten Staaten sich selbst?

Angeblich in Selbstverteidigung begannen die Vereinigten Staaten einen Krieg gegen Afghanistan. Es handelte sich nicht um eine Aktion, die speziell konzipiert wurde, um auf die einmaligen Ereignisse des 11. September zu antworten. Im Gegenteil, es handelte sich exakt um das, was die Vereinigten Staaten bereits taten und - wie in Pentagon-Papieren ausgeführt - bereits geplant hatten: Bomben auf andere Länder, Entsendung militärischer Kräfte in andere Länder und Sturz von deren Regierungen. Die Vereinigten Staaten planen in aller Offenheit einen umfassenden Krieg - die Anwendung von Nuklearwaffen nicht ausschließend - gegen Irak, ein Land, das sie bereits ein Jahrzehnt lang bombardieren, mit dem erklärten Ziel, seine Regierung durch politische Führer zu ersetzen, die in Washington ausgewählt wurden.

3. Was genau wird »verteidigt«?

Was verteidigt wird, steht in Zusammenhang mit dem, was angegriffen wurde.

Traditionell bedeutet »Verteidigung« die Verteidigung eines nationalen Territoriums. Am 11. September fand wirklich ein Angriff auf dem und gegen das US-Territorium statt. Es handelte sich nicht um den konventionellen Angriff einer Großmacht, der für die Eroberung von Land konzipiert wird. Vielmehr gab es einen anonymen Schlag gegen speziell anvisierte Institutionen. Niemand übernahm die Verantwortung. Möglicherweise wurde angenommen, daß der Symbolcharakter der Ziele sich selbst erklärt. Das World Trade Center symbolisierte deutlich die globale wirtschaftliche Macht der USA, während das Pentagon ihre militärische Macht repräsentiert. Insofern erscheint es höchst unwahrscheinlich, daß die Angriffe vom 11. September symbolisch gegen »Amerikanische Werte« gerichtet waren, wie sie in den Vereinigten Staaten gefeiert werden, auch wenn diese »Werte« von den Angreifern geringgeschätzt wurden.

Das wirkliche Ziel scheint vielmehr die ökonomische und militärische Macht der USA gewesen zu sein - so wie sie im Ausland gesehen wird. Diese Hypothese wird durch die Tatsache gestützt, daß die politische Hauptströmung hinter den Angriffen angeblich von Saudi-Arabern gebildet wird, die der Präsenz von US-Militärbasen auf saudischem Boden feindlich gegenüberstehen; 15 von 19 der identifizierten Flugzeugentführer waren Saudis. Sinn dieser Tat war zu zeigen, daß die Nation, die ihre Macht für die Anwendung im Ausland entwirft, zu Hause verwundbar ist.


Globaler Entwurf

Die Bush-Administration scheint dies perfekt verstanden zu haben. Die Bush-Kriege sind präzise entworfen, um die US-Macht im Ausland zu verteidigen und zu stärken. Es geht um den globalen Entwurf von US-Macht, der verteidigt wird, nicht um Freiheiten und die Lebensweise vor Ort.

In Wirklichkeit führen Auslandskriege wahrscheinlich eher dazu, die eigenen Werte zu untergraben, die von den Zivilisten im eigenen Land hochgehalten werden, als dazu, sie zu verteidigen und zu verbreiten. Aber Regierungen, die Angriffskriege führen, trommeln stets für Unterstützung im eigenen Land, indem sie die einfachen Menschen davon überzeugen, daß der Krieg nötig ist, um edle Ideen zu verteidigen oder zu verbreiten. Der prinzipielle Unterschied zwischen den imperialen Kriegen der Vergangenheit und dem globalen Zugriff der Vereinigten Staaten heute ist, daß weit größere Zerstörungsmittel verwendet werden können. Das Mißverhältnis zwischen der materiellen Zerstörungskraft und der konstruktiven Kraft menschlicher Weisheit war nie zuvor derart gefährlich aus der Balance. Heutige Intellektuelle haben die Wahl, in den Chor jener einzustimmen, welche die rohe Gewalt bejubeln, indem sie sie rhetorisch mit »geistigen Werten« verbinden, oder die schwierigere und wesentlichere Aufgabe zu übernehmen, die arrogante Torheit der Macht aufzuzeigen und mit der Gesamtheit der Menschheit zusammenzuarbeiten, um Mittel für einen vernünftigen Dialog, faire ökonomische Beziehungen und gleiches Recht zu schaffen.

Das Recht auf Selbstverteidigung muß ein kollektives Menschenrecht werden.

Die Menschheit als Ganzes hat das Recht, ihr eigenes Überleben zu verteidigen gegen die »Selbstverteidigung« einer unkontrollierten Supermacht. Ein halbes Jahrhundert lang demonstrierten die Vereinigten Staaten wiederholt ihre Gleichgültigkeit gegenüber kollateralem Tod und kollateraler Zerstörung, die sie durch ihre selbstdeklarierten Anstrengungen hervorriefen, die Welt zu verbessern. Nur durch die solidarische Einheit mit den Opfern der US-Militärmacht können wir in den reichen Ländern das verteidigen, was wir auch immer als universelle Werte hochschätzen möchten.  
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