Die Wirtschaftsprüfer, der Gas-Gigant und die verschwundenen Milliarden
Die Klagewelle gegen angeblich unseriöse Wirtschaftsprüfer kommt auch in Russland ins Rollen. Ein Großinvestor wirft PricewaterhouseCoopers vor, den Komplizen gespielt zu haben, während Gazprom-Manager viele Milliarden Dollar in dubiose Kanäle umgeleitet haben.
Moskau - Alexander Dobrovinsky gilt als der teuerste Anwalt zwischen Petersburg und Wladiwostok, und Zurückhaltung ist nicht sein Stil. Dass er noch nie in seinem Leben einen Prozess verloren habe, ist eine der Legenden, die er gern über sich selbst verbreitet. Kein Wunder also, dass so einer seine neuen Klagen gegen den weltgrößten Wirtschaftsprüfer PricewaterhouseCoopers mit martialischem Getrommel begleitet. "Es gibt nach oben keine Grenze", beschreibt Dobrovinsky die Höhe des Schadensersatzes, die er von PwC erstreiten will. Mehrere hundert Millionen Dollar könnten es schon sein, droht er.
Für die Wirtschaftsprüfer geht es nicht allein ums Geld, sondern auch um das Renommee - und um die Lizenz, auf dem russischen Markt Bilanzen testieren zu dürfen. Denn Dobrovinsky hat für seinen Mandanten, die amerikanische Investment-Gesellschaft Hermitage Capital Management, nicht nur Klagen vor dem Moskauer Schlichtungsgericht eingereicht. Zugleich hat die Hermitage-Tochter Rilend sich auch beim russischen Finanzministerium formell über PwC beschwert: Die Prüfungsbefugnis der Gesellschaft solle suspendiert werden, so die Forderung.
Prüfer in die Tundra
Bisher galt Russland für Wirtschaftsprüfer, die ihr Geschäft nicht immer im reinen Sinne des Gesetzes ausüben, als Oase der Seeligen. Nach Banken-Pleiten und anderen Skandalen teils dramatischer Dimension gab es immer wieder massive Vorwürfe gegen Andersen, KPMG & Co., Folgen aber hatte die Kritik fast nie. Auch der Vorwurf, PwC habe korrupte Milliarden-Manöver des früheren Gazprom-Managements gedeckt, ist schon über ein Jahr alt.
Nach dem Enron-Debakel jedoch gewinnen diese Vorwürfe neue Sprengkraft. Einige Parallelen drängen sich auf: Wieder ist ein Energiekonzern mit Beziehungen zur Regierung betroffen, wieder droht ein Top-fünf-Wirtschaftsprüfer in den Strudel zu geraten. Schon zum Jahresbeginn schrieben Zeitungen von "Russlands Enron" und die russische Finanzaufsicht empfahl, Gazprom solle die PwC-Prüfer baldestmöglich in die Tundra zu schicken. Der hochlukrative Auftrag ist nach russischen Presseangaben mit 12 Millionen Dollar jährlich dotiert. Auch Präsident Wladimir Putin soll inzwischen zum Lager der PwC-Kritiker gehören.
Milliarden an die Tarnfirma?
Die Vorwürfe betreffen die umstrittene und rätselvolle Firma Itera, die formal in Florida angesiedelt ist, zugleich aber als mittlerweile zweitgrößter Gashändler der russischen Republik agiert. Eigentlich also sieht Itera aus wie ein Konkurrent des Gazprom-Konzerns, an dem der Staat immer noch knapp unter 40 Prozent der Aktien hält - dafür aber machten Itera und das inzwischen geschasste, frühere Gazprom-Management um Rem Vyahirev merkwürdig freundschaftliche Geschäfte miteinander.
Die Investment-Gesellschaft Hermitage, ihr Chef William Browder und andere Kritiker glauben, dass Gazprom bei diesen offenbar zweifelhaften Geschäften mehrere Milliarden Dollar in den Wind geschossen hat - Geld, das teilweise womöglich wieder zurück in Privatschatullen der Manager geflossen sein könnte. Angeblich soll Itera als reine Tarnfirma gedient haben.
Angeblich 5,5 Milliarden verlorene Gewinne
Hermitage wirft dem Ex-Gazprom-Management zum Beispiel vor, Itera einen 32-prozentigen Anteil an Purgaz verkauft zu haben, einer Gazprom-Tochter. Der Preis für den Deal, so die Gazprom-Kritiker: Gerade einmal 1200 Dollar. Der reale Marktwert des Anteils aber soll sich in der Gegend von 400 Millionen Dollar bewegt haben. Gazprom rechtfertigt den Verkauf damit, dass man kein Geld gehabt habe, um weiter in die defizitäre Tochter zu investieren. Dazu aber würde schlecht passen, dass Gazprom Itera - zumindest laut Hermitage-Angaben - indirekt finanziert haben soll.
Außerdem soll Gazprom in der Provinz Yamal-Nenetsk über Umwegen Gas an Itera weitergeleitet haben - deutlich unterhalb des Marktpreises. Itera wiederum lieferte das Gas zu weitaus höheren Tarifen an ausländische Kunden. Bisher habe Gazprom nicht plausibel erklärt, so die Gazprom-Minderheitsaktionäre, warum der Konzern das Gas nicht selbst ins Ausland verkauft habe. Angeblich sollen Gazprom allein in diesem Fall 5,5 Milliarden Dollar an Gewinnen entgangen sein. PwC aber soll das Geschäft als völlig ordnungsgemäß bezeichnet haben. Auch in anderen Fällen soll PwC nicht Alarm geschlagen haben, während Gazprom russische Gesetze umschiffte.
Vertreibung aus dem Paradies
Die Wirtschaftsprüfer geizen derweil mit öffentlichen Kommentaren. Dass die Anschuldigungen "völlig unbegründet" seien, teilt die PwC lakonisch mit. Auch, dass man die Gazprom-Bilanzen im Einklang mit allen rechtlichen und professionellen Regeln testiert habe. Weniger kritische Beobachter werfen PwC ohnehin keinen bewussten Betrug vor - allenfalls Habgier. Die Gazprom-Finanzkanäle seien so labyrinthisch, dass kein noch so gründlicher Prüfer sie nachverfolgen könne, so das Argument. Dann aber hätte PwC das Prüfungsmandat konsequenterweise niederlegen sollen.
In gewisser Weise sind Dobrovinskys Drohungen, die Klagen und die Beschwerde bei der Regierung sowieso "nur Theaterdonner". Das sagt sogar Charles Ryan, Chef der Moskauer Brokerfirma United Financial Group, die den Gazprom-Kritikern nahe steht. Hermitage-Chef Bowder führt seit längerem eine Kampagne, um einen Sitz im Gazprom-Aufsichtsrat zu ergattern. Dafür aber dürfte er längst eine ausreichende Stimmenzahl sicher haben.
Auch die Akte PwC könnte schon bald - ungeachtet der jüngsten Klagen - zu Ungunsten der Prüfer geschlossen werden. Das neue Gazprom-Management um Alexej Miller hat das Prüfungsmandat zum ersten Mal öffentlich ausgeschrieben. Schon im Mai könnte der Aufsichtsrat Kontrollgremium PwC den einträglichen Auftrag entziehen. Und selbst wenn Elite-Anwalt Dobrovinsky ausnahmsweise einen Prozess verlieren sollte, hoffen Russlands Aktionäre auf eines: Dass die Zeiten der Sorglosigkeit, in denen Wirtschaftsprüfer schalten und walten konnten, wie sie wollten, auch in Russland vorüber sind.
Gruß
Happy End