Angst vor weiteren staatlichen Eingriffen in die Gasindustrie
Boliviens Gaspolitik löst Energiekrise aus
Von Alexander Busch und Anne Grüttner
Die politische Krise in Bolivien bringt die gesamte Energieversorgung in Südamerika durcheinander. „Bis 2009 drohen Energiekrisen in Chile, Argentinien und Brasilien,“ sagt die Energieexpertin Sophie Aldebert von Cambridge Energy Research. Bolivien ist der wichtigste Gasexporteur auf dem gesamten Kontinent und versorgte in erster Linie den brasilianischen Markt sowie den Norden Argentiniens. Doch sind Energielieferungen aus dem Andenland nun gefährdet.
HB SAO PAULO/BUENOS AIRES. Für Boliviens Opposition ist die Gasproduktion durch ausländische Firmen – Bolivien selbst fehlen die finanziellen und technischen Mittel dazu – und der Gasexport ein „Ausverkauf bolivianischer Ressourcen“. Nach einer Abstimmung im Kongress hatte die Regierung zwar die Abgaben auf die Gasproduktion von 18 auf 50 Prozent erhöht. Außerdem sollen die Ende der neunziger Jahre erteilten 78 Förderverträge in den nächsten sechs Monaten überprüft werden.
Doch einem Teil der Opposition war das nicht radikal genug. Sie verlangen die komplette Enteignung ausländischer Firmen und die Nationalisierung der Kohlenwasserstoffreserven. Sollte es zu Neuwahlen kommen, ist es durchaus möglich, dass die radikalen Kräfte sich durchsetzen und eine Nationalisierung versuchen.
Die in Bolivien tätigen Unternehmen haben keine Planungssicherheit mehr: Die wichtigsten Produzenten von Erdgas in Bolivien sind die brasilianische Petrobrás, die spanische Repsol, die französische Total und British Gas. Gemeinsam haben sie in den vergangenen fünf Jahren allein 3,5 Mrd. Dollar in Bolivien investiert, um Energieprojekte für das ganze südliche Südamerika auf zubauen. Doch dieser Prozess ist jetzt gestoppt. Brasiliens Energieministerin Dilma Rousseff kündigte an, dass „alle Investitionsprojekte, die von bolivianischen Gas abhängen, neu überprüft“ werden. Das gilt für einen Petrochemiekomplex an der bolivianisch-brasilianischen Grenze, in welche die staatliche Petrobrás 1,5 Mrd. Dollar investieren wollte, sowie für die Erweiterung des seit 1999 funktionierenden 3000 Kilometer langen Pipelinenetzes vom bolivianischen Tiefland bis ins südbrasilianische Porto Alegre. Damit sollte ein Kraftwerk in Nordargentinien befeuert werden, um das dortige Stromdefizit zu beheben. Insgesamt drei Mrd. Dollar wollte Petrobrás bis 2010 in die Erweiterung des Gasnetzes stecken.
Mit dem bolivianischen Gas wollte Brasilien unabhängiger werden von der Wasserkraft: Eine Dürre hatte 2001 zu einer Stromkrise in Brasilien geführt. Ziel der Regierung ist es, von einem Gasanteil an der Energieversorgung von derzeit fünf Prozent in fünf Jahren auf 12 Prozent zu kommen. Der Anteil der Gas betriebenen PKW sollte erhöht werden, die Industrie ermuntert, von Öl auf Gas umzustellen. Antônio Assunção, Präsident von Shell Gas in Brasilien sagt: „Der Markt entwickelt sich erst in Brasilien.“ Petrobrás rechnet damit, dass der brasilianische Gaskonsum bis 2010 auf 77 Mill. Kubikmeter Gas/Tag zu steigern (von derzeit 42 Mill.). Jetzt will die Regierung die eigenen Gasvorkommen vor der Küste São Paulos schneller erschließen und bereits 2007 mit der Förderung beginnen.
Auch für Argentinien, eigentlich Selbstversorger mit Erdgas, reißt Boliviens Gaspolitik eine Lücke in der Energieversorgung. Höchstpreise für Gas sorgten dafür, dass in den vergangenen Jahren kaum in die Erschließung eigener Gasquellen investiert wurde. „Nimmt man die Produktion von 2004 als Basis, reicht das argentinische Gas gerade noch zwölf Jahre um den lokalen Bedarf zu versorgen“, warnt Daniel Montamat, argentinischer Ex-Energiestaatssekretär. Die Folge: Argentinien, dass bis vor kurzem Haupt-Gaslieferant für Nachbarland Chile war und auch nach Brasilien und Uruguay exportierte, benötigt seine Produktion jetzt selbst. Peru könnte als Ersatzlieferant in die Lücke springen: So will Chile, ganz auf Gasimporte aus den Nachbarländern angewiesen, Erdgas aus dem peruanischen Camisea beziehen. Hiervon würden auch Argentinien und Brasilien profitieren. „Doch dieses Gas wäre im besten Fall erst ab 2010 verfügbar“, sagt Sophie Aldebert.
HANDELSBLATT, Mittwoch, 08. Juni 2005, 09:13 Uhr
Boliviens Gaspolitik löst Energiekrise aus
Von Alexander Busch und Anne Grüttner
Die politische Krise in Bolivien bringt die gesamte Energieversorgung in Südamerika durcheinander. „Bis 2009 drohen Energiekrisen in Chile, Argentinien und Brasilien,“ sagt die Energieexpertin Sophie Aldebert von Cambridge Energy Research. Bolivien ist der wichtigste Gasexporteur auf dem gesamten Kontinent und versorgte in erster Linie den brasilianischen Markt sowie den Norden Argentiniens. Doch sind Energielieferungen aus dem Andenland nun gefährdet.
HB SAO PAULO/BUENOS AIRES. Für Boliviens Opposition ist die Gasproduktion durch ausländische Firmen – Bolivien selbst fehlen die finanziellen und technischen Mittel dazu – und der Gasexport ein „Ausverkauf bolivianischer Ressourcen“. Nach einer Abstimmung im Kongress hatte die Regierung zwar die Abgaben auf die Gasproduktion von 18 auf 50 Prozent erhöht. Außerdem sollen die Ende der neunziger Jahre erteilten 78 Förderverträge in den nächsten sechs Monaten überprüft werden.
Doch einem Teil der Opposition war das nicht radikal genug. Sie verlangen die komplette Enteignung ausländischer Firmen und die Nationalisierung der Kohlenwasserstoffreserven. Sollte es zu Neuwahlen kommen, ist es durchaus möglich, dass die radikalen Kräfte sich durchsetzen und eine Nationalisierung versuchen.
Die in Bolivien tätigen Unternehmen haben keine Planungssicherheit mehr: Die wichtigsten Produzenten von Erdgas in Bolivien sind die brasilianische Petrobrás, die spanische Repsol, die französische Total und British Gas. Gemeinsam haben sie in den vergangenen fünf Jahren allein 3,5 Mrd. Dollar in Bolivien investiert, um Energieprojekte für das ganze südliche Südamerika auf zubauen. Doch dieser Prozess ist jetzt gestoppt. Brasiliens Energieministerin Dilma Rousseff kündigte an, dass „alle Investitionsprojekte, die von bolivianischen Gas abhängen, neu überprüft“ werden. Das gilt für einen Petrochemiekomplex an der bolivianisch-brasilianischen Grenze, in welche die staatliche Petrobrás 1,5 Mrd. Dollar investieren wollte, sowie für die Erweiterung des seit 1999 funktionierenden 3000 Kilometer langen Pipelinenetzes vom bolivianischen Tiefland bis ins südbrasilianische Porto Alegre. Damit sollte ein Kraftwerk in Nordargentinien befeuert werden, um das dortige Stromdefizit zu beheben. Insgesamt drei Mrd. Dollar wollte Petrobrás bis 2010 in die Erweiterung des Gasnetzes stecken.
Mit dem bolivianischen Gas wollte Brasilien unabhängiger werden von der Wasserkraft: Eine Dürre hatte 2001 zu einer Stromkrise in Brasilien geführt. Ziel der Regierung ist es, von einem Gasanteil an der Energieversorgung von derzeit fünf Prozent in fünf Jahren auf 12 Prozent zu kommen. Der Anteil der Gas betriebenen PKW sollte erhöht werden, die Industrie ermuntert, von Öl auf Gas umzustellen. Antônio Assunção, Präsident von Shell Gas in Brasilien sagt: „Der Markt entwickelt sich erst in Brasilien.“ Petrobrás rechnet damit, dass der brasilianische Gaskonsum bis 2010 auf 77 Mill. Kubikmeter Gas/Tag zu steigern (von derzeit 42 Mill.). Jetzt will die Regierung die eigenen Gasvorkommen vor der Küste São Paulos schneller erschließen und bereits 2007 mit der Förderung beginnen.
Auch für Argentinien, eigentlich Selbstversorger mit Erdgas, reißt Boliviens Gaspolitik eine Lücke in der Energieversorgung. Höchstpreise für Gas sorgten dafür, dass in den vergangenen Jahren kaum in die Erschließung eigener Gasquellen investiert wurde. „Nimmt man die Produktion von 2004 als Basis, reicht das argentinische Gas gerade noch zwölf Jahre um den lokalen Bedarf zu versorgen“, warnt Daniel Montamat, argentinischer Ex-Energiestaatssekretär. Die Folge: Argentinien, dass bis vor kurzem Haupt-Gaslieferant für Nachbarland Chile war und auch nach Brasilien und Uruguay exportierte, benötigt seine Produktion jetzt selbst. Peru könnte als Ersatzlieferant in die Lücke springen: So will Chile, ganz auf Gasimporte aus den Nachbarländern angewiesen, Erdgas aus dem peruanischen Camisea beziehen. Hiervon würden auch Argentinien und Brasilien profitieren. „Doch dieses Gas wäre im besten Fall erst ab 2010 verfügbar“, sagt Sophie Aldebert.
HANDELSBLATT, Mittwoch, 08. Juni 2005, 09:13 Uhr