DER ULTIMATIVE HAMMER:
Wie ein Analysten-Skandal im Kindergarten endete
Von Matthias Streitz
Führende Figuren der weltgrößten Bank Citigroup spielen derzeit absurdes Theater. Mehrfach tauchten E-Mails des Ex-Analysten Jack Grubman auf, die Konzern-Boss Weill massiv belasten - dann erklärte Grubman selbst die Mails mit kreativen Begründungen für erfunden. Nebenschauplatz der Komödie: einer der exklusivsten Kindergärten Manhattans.
Oberster Citibanker Weill: Es ist nicht, wie es scheint
New York - Monate lang durfte Sanford Weill hoffen, das Schlimmste sei überstanden. Jack Grubman, einer der umstrittensten Vertreter der Analysten-Zunft war verjagt, eine Millionen-Abfindung durfte er mitnehmen. Sallie Krawckeck, blonder Jung-Star und laut "Fortune"-Magazin "die letzte ehrliche Analystin" Amerikas, wurde eiligst eingekauft und ganz nach oben befördert.
Zugleich bastelte Weill, seit 2000 alleiniger Chef des Allfinanzkonzerns Citigroup, ein wenig an seiner Organisation herum. Die natürlich neutralen Analysten wurden formal von Dollars scheffelnden Investment-Bankern getrennt. Sandy hatte den Laden so richtig aufgeräumt. Citigroup stand als reformfähiger Konzern da, der aus den Börsen-Exzessen der späten neunziger Jahre und den Analysten-Skandalen der letzten Monate seine Lehren gezogen hatte. Weill regierte als mächtigster Finanzmagnat der Welt.
Der Prahlhans vom Research
Dummerweise stehen in den Büros des New Yorker Distriktstaatsanwalts Eliot Spitzer noch kistenweise Dokumente und Datenträger. In den vergangenen Monaten bei verschiedensten Banken eingesammelt, werden sie erst jetzt ausgewertet. Irgendwo unter den Dokumenten fanden sich E-Mails des längst geschassten Grubman, in prahlerischem Stil verfasst.
Diese Mails nähren nicht nur den Verdacht, dass Grubman bei seiner Einstufung von Telekom-Aktien alles andere als unbestechlich vorging. Sie scheinen auch zu belegen, dass Weill selbst Grubman gezwungen hat, zumindest eine kritische Aktien-Bewertung zu verändern. Inzwischen hat Weill denn auch erstmals eingeräumt, er habe - aber nur indirekt - Einfluss auf das nominal unabhängige Research genommen.
Heute Buy, morgen Sell
So weit, so altbekannt. Schon lange spekulieren Wall-Street-Beobachter, dass Grubman Ende 1999 seine Einstufung der AT&T-Aktie von "Hold" auf "Strong Buy" anhob, weil Weill es so wollte. Die Citigroup-Investmentbank Salomon Smith Barney, bei der auch Grubman arbeitete, buhlte so offenkundig um die Gunst des Telekom-Konzerns, der lukrative Aufträge zu vergeben hatte. Im April 2000 durfte Salomon den Börsengang der Mobilfunktochter AT&T Wireless betreuen und strich dabei rund 45 Millionen Dollar Provisionen ein. Kurz darauf stufte Grubman die AT&T-Aktie wieder herab.
Die Fakten scheinen für sich zu sprechen - Grubman, Salomon und Weill ließen sich allem Anschein nach von AT&T die Unabhängigkeit abkaufen. In der ersten der E-Mail-Passagen, die jetzt bekannt werden, bezeichnet Grubman selbst diese Version jedoch als unwahr. Tatsächlich, schrieb er, sei ein Machtkampf innerhalb des Citigroup-Vorstandes für die Heraufstufung verantwortlich gewesen, nicht das Liebeswerben für den AT&T-Auftrag.
Den Rivalen fortgebombt
Er, Grubman, habe Weill helfen sollen, den Vorstands-Rivalen John Reed "wegzubomben", heißt es in einer Mail-Passage. Reed und Weill führten den Citigroup-Konzern, gerade aus der Fusion von Citibank und Travellers geboren, damals als gleichberechtigte Chefs. Weill versuchte offenbar, eine Aufsichtsrats-Revolte gegen Reed einzufädeln und brauchte dafür dringend die Stimme von Michael Armstrong. Der war gleichzeitig Chef von AT&T - und schon lange verärgert, weil ausgerechnet der sonst stets überoptimistische Grubman seiner Aktie alles Aufwärtspotenzial absprach.
Nach Veröffentlichung des Mails beeilten sich Weill und Grubman, den Image-Schaden zu begrenzen. Weill beteuerte, er würde nie im Leben auf die Idee kommen, einen Aufsichtsrat ungebührlich zu beeinflussen. Und Grubman habe er zwar empfohlen, sich AT&T im Lichte der jüngsten Unternehmensreform noch einmal anzusehen - aber der Analyst sei doch ein unabhängiger Mann gewesen, der seine Einstufungen eigenständig recherchierte. Auch Grubman gab eine Erklärung ab, in der er sich selbst als Lügner darstellte. Das fragliche Mail habe er erfunden - er habe sich damit selbst wichtig machen wollen.
Auffällig nur: Weills Rivale John Reed ist in der Tat aus dem Amt gejagt worden - ganz so wie es Grubman geschrieben hatte.
Ein wahrheitsliebender Analyst
Als hätte Mail-Skandal Nummer eins nicht ausgereicht, Grubman vollends zur Witzfigur zu machen, tauchte schon tags darauf ein weiteres Mail-Zitat auf. Derselbe Fall, eine neue Variante: In einer weiteren E-Mail-Passage schrieb Grubman einem Freund, Weill persönlich habe ihm als Dank für die AT&T-Heraufstufung geholfen, seine Zwillingstöchter in einem der exklusivsten Kindergärten Manhattans unterzubringen. Und der, prahlte Grubman, sei bei der Auswahl noch strenger als die Harvard-Universität.
Auch diese Nachricht ging sofort durch die Medien, der Citigroup-Aktienkurs bröckelte schon, da gab Grubman eine abermalige Erklärung heraus. Auch diese Mail-Passage sei erfunden, ausgedacht, habe mit der Wirklichkeit "null" zu tun.
Mafiosi in der Comedy-Show
Allerdings: Grubmans Zwillingstöchter haben den besagten Elite-Kindergarten tatsächlich besucht - und Weill hat inzwischen eingeräumt, ein gutes Wort für sie eingelegt zu haben. Das freilich habe nichts mit AT&T zu tun gehabt, sondern allein damit, dass er sich für einen seiner wichtigsten Mitarbeiter engagieren wollte. Citigroup hat dem Kindergarten-Träger, 92nd Steet Y genannt, im besagten Jahr auch noch eine Spende von einer Million Dollar versprochen. Ein Zufall, wie alle Seiten beteuern.
Als die Vorwürfe gegen Weill und Grubman im Sommer schon einmal hochkochten, zeigte die "Financial Times Deutschland" die beiden auf einem montierten Filmplakat. "GoodFellas" steht darunter, der Titel des Mafia-Dramas von Regisseur Martin Scorsese, und Weill und Grubman blicken finster drein wie verschworene Cosa-Nosta-Kumpane. Aus dem Drama ist eine Schmierenkomödie geworden. Und ein Pate, der sich lächerlich macht, kann seine Allmacht nur allzu schnell verspielen.