HAUSHALTSKRISE
Wie Schröder Eichel demontiertVon Markus Deggerich
Seine Rente ist glücklicherweise sicher, denn bald schon könnte Finanzminister Hans Eichel im Streit um die Haushaltskonsolidierung aufs politische Altenteil geschoben werden. Besonderer Knackpunkt: die Belastung der Rentner. In der SPD-Fraktion wird nach Informationen von SPIEGEL ONLINE bereits über eine Kabinettsumbildung spekuliert. Berlin - Im Bemühen um die Aufstellung eines Haushalts für 2004 drohe "ein völlige Demontage des Finanzministers", wie ein SPD-Mitglied des Haushaltsausschusses am Freitag gegenüber SPIEGEL ONLINE erklärte. Die Stimmung im Kabinett sei miserabel: "Die arbeiten nicht mehr zusammen." Bundeskanzler Gerhard Schröder habe jegliches Interesse an einem nachhaltigen Haushalt verloren, der sowohl Verfassungsvorgaben als auch die EU-Kriterien erfülle. Damit ruiniere er endgültig Eichels Ruf als Kassenchef. "So wie die Haushaltsverhandlungen gerade aussehen, läuft das auf einen Rücktritt von Hans Eichel hinaus", sagte ein Fraktionsmitglied am Freitag gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Als Nachfolger seien bereits Schröders Allzweckwaffen im Gespräch: Entweder Kanzleramtsminister Walter Steinmeier oder der ehemalige Fraktionschef und aktuelle Verteidigungsminister Peter Struck, der als Abgeordneter acht Jahre lang im Haushaltsausschuss arbeitete. SPD-Generalsekretär Olaf Scholz könnte dann ins Verteidigungsministerium weggelobt werden.
Schröder will auf einer Klausurtagung des Kabinetts am letzten Juni-Wochenende über den Bundeshaushalt 2004 entscheiden. Dann schlägt die Stunde der Wahrheit für den Finanzminister. Bis dahin laufen die "Chefgespräche" von Ressortleiter Eichel mit den anderen Ministern. Eichel muss zwischen 15 und 18 Milliarden auftreiben, die die Ministerien einsparen sollen. Auf der Kabinettsklausur könnten dann die entsprechenden Entscheidungen gefasst werden, sagte ein Sprecher des Finanzministers.
Der Kanzler hat bereits mehrere Großposten für unantastbar erklärt und Eichel damit in Schwierigkeiten gebracht: Dazu gehören Bildung, Verkehr, Verteidigung und vermutlich auch Entwicklungshilfe. Subventionsabbau bei der Steinkohle gilt ebenso als unwahrscheinlich, weil davon hauptsächlich die SPD-Klientel im Stammland Nordrhein-Westfalen betroffen ist.
Die Rentner sind dran
Als "kleinere" Posten auf der Streichagenda von Eichel stehen deshalb die Entfernungspauschale für Pendler, die Eigenheimzulage und einige Steuervergünstigungen. Den Löwenanteil jedoch will er sich aus dem Sozialministerium von Ulla Schmidt holen. Im Visier hat Eichel die Rentner, für deren Auskommen der Bund jährlich 77 Milliarden Euro beisteuern muss.
Zwischen Kanzleramt und Eichel-Ressort wird heftig über einen höheren Krankenkassenbeitrag der Rentner diskutiert. Eine Anhebung von 50 auf 75 Prozent - die Rentenversicherung würde dann nur noch 25 Prozent tragen - würde den Bund beim Rentenzuschuss um sieben Milliarden entlasten. In der SPD-Fraktion ist sogar die Rede davon, die Rentner zu hundert Prozent den Krankenkassenbeitrag zahlen zu lassen. "Das bringt viel böses Blut", befürchtet ein Fraktionsmitglied, aber: "Der Bund ist nun mal nicht der Arbeitgeber der Rentner."
Schröder schwebt auf Wolke 2010
Um den Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung zu kürzen, sind auch eine Verschiebung der Rentenerhöhung, ein geringeres Rentenniveau oder sogar Rentenkürzungen im Gespräch. Doch das hat zwei Haken: Es gibt verfassungsrechtliche Bedenken und starken Widerstand aus der Union. Die hätte zwar beispielsweise nichts gegen eine höhere Besteuerung der Bezüge. Dies betreffe Rentner, die neben ihrer Sozialrente noch über "beträchtliche Betriebsrenten oder andere Einkünfte verfügen", sagt Unionsfraktionsvize Friedrich Merz. Aber gleichzeitig erteilt er kurzfristigen Kürzungsvorschlägen zu Lasten der Rentner eine Absage: "Auch in der Rentenpolitik gilt: Wir brauchen Verlässlichkeit und keine Ad-hoc-Sparmaßnahmen."
Angesichts der katastrophalen Haushaltslage und den mehr als schwierigen Verhandlungen im Kabinett und mit der Union zeige Schröder erschreckend wenig Interesse an dem Thema. Er schwebe noch auf Wolke 2010, heißt es in der SPD-Fraktion. "Aber seine Reformagenda verpufft, wenn wir beim Haushalt nicht das Alltagsgeschäft in den Griff kriegen", sagt ein Fraktionsmitglied.
Eichel ist Schröders Blitzableiter
Schröder erwecke den Eindruck, als seien ihm die EU-Kriterien für die Neuverschuldung längst egal. Damit setze Deutschland als Führungsland in der EU ein fatales Signal und nebenbei nehme er Hans Eichel noch die letzte Profilierungschance als seriöser Kassenwart. Wenn Schröder nun keinen Mut und Konfliktbereitschaft zeige, um Eichel zu stützen, heißt es in der Fraktion, "dann muss der Finanzminister gehen".
Schröder selbst würde Eichel zurzeit kaum von sich aus entlassen. Er braucht ihn noch als Blitzableiter für den Finanzfrust und will nicht schon wieder in die Schlagzeilen als der Kanzler, der die meisten Minister verheizte. Da aber voraussichtlich im kommenden Jahr ohnehin eine Kabinettsumbildung mit einem ehrenvollen Abgang von Innenminister Otto Schily wahrscheinlich ist, muss Eichel damit rechnen, spätestens dann auf der Streichliste zu stehen.
Als Signal sickerte aus dem Finanzministerium durch, dass Eichel überlegt, die nächsten Stufen der Steuerreform vorzuziehen, um "einen ökonomischen und psychologischen Beitrag dazu zu leisten", einer Deflation vorzubeugen. Dieses Gesetzespaket gilt als Eichels größter Erfolg, er verbindet seinen politischen Ruf damit. Die Reform würde aber vermutlich zu weiteren Mindereinnahmen führen und so den Druck auf Schröder erhöhen, Eichel dabei zu helfen, woanders Geld zu sparen. So verbindet Eichel seine Politik nach dem Muster Schröders mit seiner Person. Lässt der Kanzler ihn im Stich, könnte Eichel als einer abtreten, der Subventionen abbauen und eine Steuerentlastung durchsetzen wollte - aber vom selbsternannten Sozial-Reformer Schröder fallen gelassen wurde.
Spiegel online, 6.6.2003