Financial Times Deutschland
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Montag 13. Februar 2006, 20:26 Uhr
Als Markus Frick die Stimme hebt, zücken seine Jünger erwartungsvoll die
Stifte. " Bei ONA steht ein Indonesien-Deal an, die Aktie wird weiter steigen" ,
ruft der Investmentberater in den rappelvollen Saal des Bielefelder
Tagungszentrums Bethel. Unter den Besuchern macht sich ein erfreutes " Mmmh" breit.
Der Wert des kleinen kanadischen Öl- und Gas-Explorationsunternehmens hat sich
in den vergangenen drei Monaten bereits fast verzehnfacht. Plötzlich ruft
einer aus dem Publikum, er habe mit ONA " schon 150 Prozent gemacht" . Frick
stürmt vom Rednerpult herunter, eilt auf den Aktionär zu und bietet ihm die
Hand zum Einschlagen: Gimme five - Gewinner unter sich.
Stolze 86 Euro Eintritt kostet das fünfstündige " Markus Frick
Finanzseminar" , doch die Besucher stehen Schlange, um den Meister zu hören. Es ist, als
wäre es wieder 1999. Als hätte es Börsencrash und Katzenjammer nicht gegeben.
Die Kurse von Aktiengesellschaften, deren Namen nur Branchenkennern bekannt
ist, explodieren binnen Tagen - nachdem eine Handvoll selbst ernannter
Experten die Firmen in Börsenbriefen und auf Investoren-Websites hochgejubelt haben.
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" Bei einigen Werten ist das jetzt teilweise schon wie beim Neuen Markt. Die
Zocker, die Freaks sind alle wieder da" , triumphiert Börsenbrief-Schreiber
Egbert Prior, der einst der Mobilcom (Zürich: MOB.S - Nachrichten) -Aktie zum
Höhenflug verhalf und sich jetzt wieder einer großen Fangemeinde erfreut.
Frick und Prior sind Hauptakteure in der Neuauflage des großen Börsenspiels,
das vor allem mit Kleinstwerten im so genannten Freiverkehr gespielt wird.
Die Umsätze in diesem Marktsegment waren im Januar dreimal so hoch wie vor
Jahresfrist. Andere Bekannte mischen ebenfalls wieder mit, etwa der frühere "
Aktionär" -Vizechefredakteur Sascha Opel, oder Kurt Ochner, ehemaliger
Fondsmanager, der einst als " Pate des Neuen Marktes" tituliert wurde.
Weltweit größter Zockermarkt
Sie alle schrieben zu den Hochzeiten der deutschen Technologieblase die
Kurse nach oben. Nach dem Crash verschwanden sie in der Versenkung, jetzt sind
sie zurück: Ob im " Sat.1-Frühstücksfernsehen" , oder bei " Der Aktionär TV"
auf N24 - überall tauchen die Ratgeber auf. " Die Kleinanleger suchen sich
wieder Gurus" , sagt Börsenprofessor Wolfgang Gerke von der Uni Erlangen. " Sie
wollen jemanden, der ihnen zeigt, wo es lang geht, nach der Devise ,Mach mich
schnell reich!‘" Und so haben die Gurus wieder Macht über den Markt.
Mit jeder Erfolgsstory, die die Profit-Propheten verbreiten, wächst die Gier
ihrer Jünger. " Es gibt keinen größeren Zockermarkt auf der Welt als
Deutschland" , sagt Jürgen Kurz, Sprecher der Deutschen Schutzvereinigung für
Wertpapierbesitz (DSW). Markus Frick berichtet seinen Anhängern in Bielefeld, er
verdiene jetzt an einem Tag mehr als während seiner zehn Jahre als badischer
Bäckermeister. " Das können Sie auch schaffen - wenn Sie mir zuhören" , ruft
der 33-Jährige den 650 Zuhörern zu. " Auch die Aktie von Globex Mining ist noch
nicht genug gestiegen" , verkündet er dann. Dabei ist das Papier des
winzigen kanadischen Rohstoff-Explorers binnen 90 Tagen um 300 Prozent
hochgeschossen. Tom, ein Mittdreißiger im Publikum, hört zu und nickt: " Über Globex
Mining habe ich in der Zeitschrift ,Der Aktionär‘ gelesen. Da wusste ich: Diese
Aktie muss ich haben."
Also kaufen die Anleger - und jagen den Kurs tatsächlich in die Höhe: Als
Frick in seiner " E-Mail-Hotline" (das Jahresabo kostet 890 Euro) am 2. Februar
das Papier des winzigen kanadischen Explorations-Unternehmens NFX Gold
empfahl, schnellte dessen Kurs binnen 45 Minuten von 0,63 Euro auf 1,08 Euro. Mehr
als 12 Millionen NFX-Aktien wurden an diesem Tag am Frankfurter Freiverkehr
umgesetzt. Im gesamten Jahr 2005 waren es gerade einmal 198.000 Stück.
Solange die Rendite stimmt, machen sich die wenigsten Aktionäre Gedanken
über Ungereimtheiten bei diesen Kurssprüngen. So explodierten die Umsätze der
NFX-Aktie bereits kurz vor Fricks Tipp: Zwischen dem 18. Januar und dem 1.
Februar wechselte in Frankfurt an jedem Tag eine sechsstellige Zahl von
NFX-Papieren den Besitzer, zu Preisen zwischen 0,29 und 0,62 Euro. Die ungewöhnliche
Belebung zwang die Firmenspitze in Toronto sogar dazu, gleich zwei
Erklärungen abzugeben: Man habe keine Hinweise auf veränderte Geschäftsaussichten und
könne sich die drastischen Kursbewegungen nicht erklären.
Substanz spielt keine Rolle
Wie viel Substanz hinter einem Unternehmen steckt, spielt heute wie damals
kaum eine Rolle. Nur so ist zu erklären, wieso etwa die hessische
Nanotechnologie-Firma Neosino, die im ersten Halbjahr 2005 keine 350.000 Euro Umsatz
machte, an der Börse bereits mehr als 200 Mio. Euro wert ist. Frick, Ochner und
Prior sind von dem Papier der Firma begeistert, in deren Aufsichtsrat der
frühere " Focus" -Redakteur Marian von Korff sitzt. Prior selbst bekennt zwar: "
Das ist die abenteuerlichste Geschichte, die ich je gehört habe. " Die Aktie
hat er nach eigenen Angaben trotzdem gekauft.
Schließlich habe Neosino-Vorstandschef Edmund Krix schon einmal " einen
Riesenerfolg gehabt mit Teleplan" . Tatsächlich gelang es Krix, das Unternehmen
zu Europas zeitweise größtem Reparaturkonzern für Computermonitore und Drucker
aufzubauen. Doch als der Gründer 2000 bei Teleplan ausstieg, brach der Kurs
der Aktie ein: 1,2 Mrd. Euro Anlegerkapital wurden vernichtet.
So klingen die Botschaften der Investment-Berater wie Hohn: " Halten Sie den
Löffel auf, wenn es Brei regnet!" , ruft Prior auf seiner Website auf. Und
listet darunter seine " besten Empfehlungen der letzten Wochen" auf: "
Electronics line 3000: plus 277 Prozent, Colonia Real Estate: plus 250 Prozent, VEM
Aktienbank: plus 235 Prozent."
Die Preissprünge gereichen den Protagonisten nicht zum Nachteil: Der Kurs
von Kurt Ochners neuer Beteiligungsgesellschaft KST hat sich dank eines ähnlich
strukturierten Portfolios in einem Jahr fast vervierfacht. " Das System
funktioniert wie eine selbst erfüllende Prophezeiung" , sagt DSW-Sprecher Kurz. "
Bei Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung reicht die durch eine
Empfehlung ausgelöste Nachfrage aus, den Kurs hochzutreiben. Man muss nur
genügend Gläubige finden." Zwar könne mit Nebenwerten noch viel Geld verdienen,
sofern man nur rechtzeitig aussteige. Dies aber werde vielen Anlegern nicht
gelingen. " Es ist wie ein Schneeballsystem" , sagt Gerke: " Man muss den Nächsten
davon überzeugen, dass er noch einen findet, der ihm noch mehr Geld gibt."
Anleger haben nichts gelernt
Der Effekt wird verstärkt, weil sich die Gurus untereinander empfehlen: "
Die Zeitschrift ,Der Aktionär‘ ist Pflichtlektüre" , wirbt Frick in Bielefeld,
" und auch den Börsenbrief ,Pennystockraketen‘ empfehle ich. Der hat starke
Kontakte und ist sehr kompetent." Kleinaktionär Tom hat die "
Pennystockraketen" bereits abonniert - für 390 Euro pro Jahr. " Das Geld habe ich gleich
wieder drin" , hofft er. Herausgeber des Informationsdiensts ist Sascha Opel, ein
weiterer Meinungsmacher von früher, den das Stuttgarter Landgericht Anfang
2005 wegen Marktmanipulation zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten
verurteilte. Opel hatte gestanden, für sich und andere Investoren Aktien gekauft
und später mit Gewinn veräußert zu haben - nachdem er zwischenzeitlich deren
Kurse durch Empfehlungen hochgetrieben hatte. Nach seinem Abschied beim "
Aktionär" zog sich Opel vorübergehend aus der Anlegerszene zurück und verlegte
ein Sexmagazin.
Dass die Anleger aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre gelernt haben,
bezweifelt Börsenprofessor Gerke: " Mein Eindruck ist, dass der Nebenwerteboom
benutzt wird, um das schnelle Geld zu verdienen." Aktionärsschützer Kurz
denkt ähnlich: " Früher haben sich fünf, sechs Leute gegenseitig Aktien verkauft
und so den Kurs hoch gezogen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es heute
wieder so ist." Im weitgehend unregulierten Freiverkehr ist die Preisbildung
schwer durchschaubar. Wenige Akteure treiben die Kurse, und die Informationen
sind besonders ungleichmäßig verteilt. " Das ist unfairer als Roulette" , sagt
Gerke, " hier gibt es Leute, die mehr wissen als man selbst."
Auch Egbert Prior macht sich keine Illusionen: " Das ist schon ein
ziemliches Spielcasino. Der Einbruch wird kommen." Bis dahin werde aber noch einige
Zeit ins Land gehen. Die will der Tippgeber nutzen, um seine Prior Capital AG
im Mai an die Börse bringen. " Wir wollen ein paar Millionen einsammeln" ,
bekennt er offen. Bereits im März wagt sich Marian von Korff aufs Parkett. Der
Ex-Journalist, der im Neuer-Markt-Boom zugleich vier Monate lang für " Focus"
Anlageempfehlungen schrieb und einen Fonds beriet, gründete vor einigen
Jahren eine Vermögensverwaltungsgesellschaft. Nun will er mit dem Börsengang eines
Tochterunternehmens 13 Mio. Euro erlösen. Der Meister hält diese Summe für
einen Kleckerbetrag: " Das ist eine Klitsche" , sagt von Korff über seine
eigene Firma.
Der ostwestfälischen Kleinanleger hingegen sind von der Aussicht auf
Millionengewinne elektrisiert: " Momentan ist es einfach, 25 Prozent zu machen" ,
ruft ihnen Markus Frick in Bielefeld zu - um dann eine ernste Warnung
auszusprechen: " Es können nicht immer 100 Prozent Gewinn sein, und wenn die ,Bild‘
-Zeitung mit Anlagetipps kommt, dann ist es Zeit, vorsichtiger zu sein." Ob er
damit die Ausgabe vom 9. November 2005 meinte? Dort stand ein halbseitiges
Interview mit Frick. Überschrift: " Wie wird aus einem Bäcker ein
Börsen-Millionär?"