E.On-Chef Ulrich Hartmann und RWE-Lenker Dietmar Kuhnt liefern sich eine Schlacht um die Vormacht auf den Energiemärkten in Deutschland – und Europa.
Eines der seltenen privaten Treffen zwischen RWE-Chef Dietmar Kuhnt und E.On-Lenker Ulrich Hartmann fand an einem Montagabend vor drei Wochen statt. Diesmal kämpften die Rivalen nicht um die weltweiten Energiemärkte. Das Gespräch der beiden Herren drehte sich auch nicht um Hartmanns Versuch, sich den Essener Gasversorger Ruhrgas einzuverleiben und Wettbewerber RWE so im heimischen Markt weit hinter sich zu lassen.
Der RWE-Chef erschien zur Geburtstagsfeier von E.On-Vorstand Hans Michael Gaul, dem engsten Mitarbeiter Hartmanns. Da bot das neue E.On-Domizil am Düsseldorfer Rheinufer den richtigen Rahmen: Das mit Travertin-Marmor verkleidete, von Stararchitekt Oswald Mathias Ungers gebaute Haus im Stil der Dreißigerjahre – von Spöttern auch „Reichsluftfahrtministerium“ genannt – beherbergt im Aufsichtsratstrakt eine geräumige Bar, an der sich Kuhnt und Hartmann angeregt unterhielten. Scheinbar entspannt plauderten sie über ihre Lieblingsthemen: Der am Fuß des E.On-Gebäudes liegende Robert-Schumann-Musiksaal, in dem von Hartmann gesponserte Mozart-Serenaden gespielt werden, gehört genau so dazu wie Kuhnts Vorliebe für die Insel Mallorca, wohin er sich an Wochenenden gern in sein Ferienhaus ausfliegen läßt.
Doch die Harmonie täuscht. Das graumelierte Duo – Kuhnt ist 64, Hartmann 63 Jahre alt – liefert sich einen erbitterten Kampf um die Spitzenposition als größter privater Energiekonzern Europas. Gerade 40 Kilometer Luftlinie ist der RWE-Hauptsitz, der 120 Meter hohe Turm in Essen, von dem neuen E.On-Tempel entfernt. Doch die mächtigsten Männer der deutschen Stromwirtschaft meiden die Nähe. Zwar ist ihre Strategie ähnlich: Konzentration aufs Energiegeschäft. Sprich Strom und Gas bei E.On Strom, Gas und Wasser bei RWE. Ihre nicht-strategischen Beteiligungen wollen sie verkaufen: Bei E.On stehen die Immobilientochter Viterra und der Chemieableger Degussa zur Disposition. Bei RWE sind es das Bauunternehmen Hochtief und Heidelberger Druckmaschinen.
Doch das Auftreten könnte kaum unterschiedlicher sein: Hier der selbstbewusste E.On-Chef Hartmann, der mit dem Zusammenschluss von Veba und Viag den höchstbewerteten Energiekonzern Europas schuf und damit besonders die Kapitalmarkte entzückte – die E.On-Aktie stieg um 20 Prozent. Dort der zurückhaltende RWE-Lenker Kuhnt, der es trotz 35 Prozent kommunaler Aktionären schaffte, seine internationale Expansionsstrategie durchzusetzen. Doch die Städte und Gemeinden drücken auf den Kurs. RWE lag in den vergangenen Geschäftsjahren immer hinter E.On. Zum Beispiel bei der Börsenkapitalisierung, die bei 22 Milliarden Euro liegt (E.On: 40 Milliarden Euro). Der RWE-Umsatz rangierte bei mehr als 60 Milliarden Euro (E.On: 90 Milliarden), der Gewinn lag bei gut der Hälfte des E.On-Ergebnisses von vier Milliarden Euro. Beim Stromabsatz aber war RWE der klare Sieger vor E.On (siehe Grafik Seite 54). Diesen Makel, auf dem heimischen Energiemarkt kleiner als RWE zu sein, will E.On-Chef Ulrich Hartmann jetzt ausmerzen: Der Streit zwischen ihm und Kuhnt entzündet sich vor allem an der Ruhrgas AG: E.On will das größte deutsche Gasunternehmen schlucken und damit auf diesem Gebiet uneinholbar für RWE sein. Das will Kuhnt verhindern – mit allen Mitteln.
Die Rivalität beherrscht die letzten Chefjahre der beiden Energiemanager. Kuhnt wird Ende dieses Jahres pensioniert, Hartmann im Mai 2003. Ihre Nachfolger kennen sie beide noch nicht. Die Vorentscheidung fällt ohnehin bei der Allianz in München (siehe Kasten Seite 58). Lang vergessen ist die Zeit der monopoltypischen Friedhofsruhe auf den Energiemärkten. Erst seit 1998, dem Jahr der deutschen Strommarktliberalisierung, liefern sich die beiden Juristen eine Schlammschlacht. Seit Januar 2002 sind offiziell auch im deutschen Gasmarkt die Schranken gefallen. Wehmütig schauen die beiden Wettbewerber nach Frankreich. Dort bleibt der profitable Haushaltskundenmarkt weiter reguliert – und der staatliche Energiegigant EDF trotzt jedem Wettbewerbestreben.
Angesichts der wachsenden Konkurrenz im heimischen Markt durch EDF, die russische Gazprom oder die schwedische Vattenfall fühlen sich RWE und E.On in der Substanz bedroht. Ihr Gegenrezept: Wachstum um jeden Preis bei Strom, Gas, Wasser. Doch das geht nur durch kostspielige Übernahmen. Denn bei dem Versuch, eigene Stromprodukte auf dem deutschen Markt mit viel Werbepower einzuführen, sind Hartmann und Kuhnt auch nach vier Jahren Liberalisierung kaum vorangekommen. Die ehrgeizige Strommarke RWE Avanza hat seit 1998 nur 30000 neue Kunden an sich gebunden. E.On kommt bei Innovationen wie Aqua Power und ähnlich klingenden Namen immerhin auf 75.000 neue Stromanschlüsse. Die Strommarke Yello der württembergischen EdF-Tochter EnBW bringt es dagegen auf 700.000 Kunden – wenn auch mit einem geschätzten Jahresverlust von 300 Millionen Euro.
Hartmann und Kuhnt werden deshalb wieder einmal vor allem ihre Finanzkraft loben, wenn sie am heutigen Donnerstag (E.On) und kommenden Dienstag (RWE) der Öffentlichkeit ihre Jahresergebnisse präsentieren. Das soll Mut machen, denn die Strompreise für Industriekunden werden ihr niedriges Niveau so schnell nicht verlassen. Die Kriegskasse für Zukäufe ist bei E.On mit 45 Milliarden Euro gut gefüllt. Auch bei RWE liegt mit 30 Milliarden Euro ein ordentlicher Betrag bereit.
RWE-Chef Kuhnt bläst vor allem im Wassergeschäft zum Großangriff. In England kaufte er sich mit Thames Water ein, in den USA übernimmt er American Water Works (AWW). Für das gesamte Wassergeschäft wird RWE dann einschließlich der US-Übernahmen 21 Milliarden Euro ausgegeben haben. Damit rückt der Essener Energiekonzern zum drittgrößten Wasserversorger der Welt auf (nach Suez und Vivendi).
Auch im heimischen Wassergeschäft konnte Kuhnt gegenüber Hartmann punkten. RWE übernimmt den 65-prozentigen Anteil der Stadt Mülheim an Ruhrgebiets-Versorger RWW. E.Ons Tochter Gelsenwasser zog sich in letzter Minute vom Bieterstreit zurück.
Bei RWE wird die Übernahme der amerikanischen Wasserversorger als Sieg über Hartmann gefeiert. Merkwürdig nur, dass die Amerikaner an RWE verkaufen wollten, weil sie sich selber, in ihrem ureigenem Markt, finanziell verhoben haben – wegen zu schneller Expansion. Zweites Großrisiko für RWE: Thames Water versorgt ganz London mit Wasser – und entsorgt es über 100 Jahre alte Bleirohre. Die müssen in den nächsten Jahren runderneuert werden. Eine Investitionssumme in zweistelliger Milliardenhöhe wartet auf Kuhnt – wie hoch, das will er nicht sagen.
Kann sich der RWE-Chef zunächst als Etappensieger im Wassergeschäft fühlen, ist ihm E.On vorerst auf dem britischen Strommarkt davongelaufen. Hartmann übernahm im vergangenen Jahr den drittgrößten englischen Stromversorger Powergen für die astronomische Summe von 15 Milliarden Euro inklusive Verbindlichkeiten. Jeder der drei Millionen Powergen-Kunden war ihm 1500 Euro wert – bei sinkenden Strompreisen ein riskantes Investment.
Kuhnt will in England nachziehen: Für das britische Energieunternehmen Innogy ist er bereit, acht Milliarden Euro zu zahlen und drei Milliarden Euro Schulden zu übernehmen. Zahl der Innogy-Kunden: Sieben Millionen. Vorteil gegenüber Hartmann: Mit 1200 Euro pro Kunde würde der Einstieg in den englischen Markt für Kuhnt deutlich günstiger ausfallen. Gleichzeitig wäre RWE vor E.On die Nummer eins im britischen Strommarkt. Dazu ist Innogy auf dem wachsenden Gasmarkt die Nummer zwei – vor der E.On-Tochter Powergen. Allerdings verfügt Powergen über einen ansehnlichen US-Ableger, ein wichtiger Brückenkopf für Hartmann im größten Energiemarkt der Welt. Noch ist der RWE-Deal nicht perfekt. Ein Innogy-Großaktionär, die Fondsgesellschaft Invesco (Anteil: sieben Prozent), stellt sich quer. Dennoch geben sich die RWE-Manager siegessicher. „Wir werden in England stärker als E.On.“
Und dann ist da noch die Ruhrgas AG, jahrzehntelang ein Thema, das selbst Gasexperten zum Gähnen brachte. Das Essener Unternehmen sitzt wie die Spinne im Zentrum eines 30000 Kilometer langen Netzes von Rohrleitungssystemen, die über Sibirien und halb Europa nach Deutschland führen, um hier zehn Millionen Gaskunden zu versorgen. Ruhrgas liefert 60 Prozent des deutschen Gases. Zusammen mit der E.On-Tochter Thüga und ihren 120 Stadtwerksbeteiligungen will Hartmann einen integrierten Gaskonzern schaffen, der Gas auf allen Stufen bis zum Endkunden liefert.
Zudem gilt Gas als Energieträger der Zukunft. Bei der Stromerzeugung produziert Gas 50 Prozent weniger schädlichen CO2-Ausstoß als Stein- oder Braunkohle, auf die besonders RWE setzt (Rheinbraun).
Unverhohlen legt sich die Ruhrgasführung bereits heute für Hartmann ins Zeug, als ob die Aktionäre schon vollzählig für E.On gestimmt hätten. Jahrzehntelang hielt die gesamte Energiebranche Ruhrgas mit seiner verschachtelten Aktionärsstruktur für uneinnehmbar. Ruhrgas stieg in den Siebzigerjahren unter dem damaligen Chef Klaus Liesen zum größten privaten Gasversorger Europas auf. Liesen ist heute nicht nur deren Aufsichtsratsvorsitzender, sondern auch Hartmanns bester Freund. Daher die voreilige Geneigtheit des Ruhrgas-Vorstands für E.On.
Die Ruhrgas-Übernahmeaktion setzt Fingerspitzengefühl und gute Verbindungen voraus. Kompliziert wird es für Hartmann allemal: Die Ruhrgas-Aktionäre sind in einem schwer durchschaubaren System von Pool- und Stimmbindungsverträgen aneinander gekettet (in Vorschaltgesellschaften, die Namen wie Bergemann oder Schubert KG tragen), an das sich bisher niemand heranwagte. Bis sich Hartmann nach der Liberalisierung begann, das Gewirr zu entflechten. Sein Vorteil: Ruhrgas-Aktionär BP hat schon an ihn verkauft und will mit einer eigenen Organisation auf deutsche industrielle Gaskunden losmarschieren. Exxon und Shell folgen. Kleinere Ruhrgas-Eigentümer wie ThyssenKrupp, Vodafone (früher Mannesmann) und Preussag haben ebenfalls signalisiert, ihre Anteile an den liquiden Hartmann zu veräußern. Bleibt noch die Ruhrkohle AG, die an der Ruhrgas beteiligt ist.
Und da sitzt Kuhnt mit 30 Prozent in der Gesellschafterversammlung (E.On mit 40 Prozent) – und kann Hartmanns Pläne wenn schon nicht ganz durchkreuzen, so doch empfindlich stören. Kuhnt will die Latte für E.On so hoch wie möglich legen – beim Wirtschaftsminister. Denn das Bonner Kartellamt, das die Ruhrgasübernahme durch E.On im Januar untersagte, kann jetzt nur noch von einer „Ministererlaubnis“ übertrumpft werden. Dieses Regierungsinstrument kann die Kartellamtsentscheidung aufheben, wenn „übergeordnete Interessen“ berührt werden, zum Beispiel die Durchsetzungskraft der deutschen Energiewirtschaft auf den europäischen Märkten.
Ein Hebel für Kuhnt. „Eine Ministererlaubnis ist nicht gerechtfertigt“, haben ihm seine Gehilfen in die Rede zur Bilanzpressekonferenz geschrieben. Zeitgleich beginnt die Monopolkommission mit ihren ersten Anhörungen. Acht Wochen hat sie dafür Zeit. Dann gibt sie eine Empfehlung ab, bevor die Ministerentscheidung gefällt wird – ohne den Minister. Da Müller bereits in den Diensten von E.On stand, und am liebsten nach der Wahl dort wieder für ein stolzes Gehalt einsteigen würde, hat ihn Kanzler Gerhard Schröder für befangen erklärt. Müllers Staatssekretär Alfred Tacke, ein Vertrauter Schröders, soll die Entscheidung noch vor der Bundestagswahl fällen.
Damit sie für ihn positiv ausfällt, hat Hartmann in den vergangenen Monaten eine einzigartige Maschinerie in Gang gesetzt. Abschreckendes Beispiel ist für Hartmann Jack Welch, der die Fusion von General Electric und Honeywell als Selbstgänger bewertete – bis die EU den Deal untersagte. Kuhnt kennt die subversive Macht einer Charmeoffensive von Hartmann. Er weiß auch, dass von den insgesamt sechs Ministerentscheidungen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte zwei an E.On-Vorläufer Veba gingen. Deswegen hat Kuhnt seine besten Leute in die Schlacht geschickt. Zum Beispiel seinen früheren Bürochef und Ziehsohn, den 36-jährigen Volker Heck. Ziel: Über geschicktes Lobbying soll Heck hohe Auflagen für E.On erwirken, sodass sich Hartmann mit der Beute Ruhrgas als schusssicherer Jäger fühlen darf, der gerade ein Gerippe erlegte. Filetstücke sollen per Ministerauflage an die E.On-Konkurrenten gehen, so Kuhnts Plan.
Kuhnt muss dagegen in die Lokalpolitik hinabsteigen. Bei der RWE-Skandal-Beteiligung Trienekens (RWE Umwelt) machen die Essener Strategen keine glückliche Figur. RWE tut sich überdies schwer, das Image eines kommunalen Unternehmens abzulegen. 35 Prozent der RWE gehören zu den nordrhein-westfälischen Städten und Gemeinden. Und die haben gerade erst damit gedroht, mit dem RWE-Müllentsorger Trienekens keine Geschäfte mehr zu machen – wegen Vertrauensverlust. Außerdem überlegen verschiedene Kommunen, sich als Aktionäre ganz aus der RWE zurückzuziehen.
Solche Schwächen weiß Hartmann für sich zu nutzen. E.On schickte in Berlin seinen Lobbyarbeiter Gert von der Gröben vor, der von Hartmann beauftragt wurde, durchs Regierungsviertel zu ziehen, um die Abgeordneten mit E.Ons Gedankengut „zu beatmen“ (so ein E.On-Insider). Von der Gröben wurde nicht ganz ohne Hintergedanken für diesen Job auserwählt, er war in seinem früheren Leben Energiereferent der SPD-Bundestagsfraktion in Bonn und kennt die Genossen in- und auswendig. Als die Partei sich undankbar zeigte und ihm kein Amt anbot, zog ihn Hartmann geschickt zu E.On.
Nutznießer des Kampfs ist das Berliner Hotel Adlon. Regelmäßig werden im Restaurant des Hotels Diners auf RWE- und E.On-Kosten ausgerichtet. Dort speiste der Bundestagswirtschaftsausschuss auf Einladung Hartmanns. Kurz danach ein Mittagessen für die FDP-Parlamentarier beim gleichen Arrangement – eingeladen hatte diesmal RWE. Hartmann telefonierte auch mit Außenminister Joschka Fischer, weil er fürchtete, dass Verbraucherministerin Renate Künast gegen die Übernahme ist. Ein Ministerin für Verbraucher, das klingt verdächtig nach anderen als den Größenargumenten Hartmanns.
Sollten alle Versuche der Kuhnt-Vasallen nichts nutzen, dem E.On-Chef die Ruhrgas mit Entflechtungsauflagen so unattraktiv wie möglich zu machen, müssen zumindest die härtesten Konsequenzen für RWE aus der Welt geschaffen werden. Erst nach Durchsicht aller internen Unterlagen hat RWE festgestellt, dass sie mit ihrem Gasgeschäft (Thyssengas, Westfälische Ferngas) zu 80 Prozent von der Ruhrgas und damit womöglich demnächst von Hartmann abhängig sind. Der Liefervertrag geht noch bis zum Jahr 2017. Das Problem: RWE kann den Vertrag nicht einfach lösen, weil Ersatz in dem Umfang gar nicht zu beschaffen ist. Dass Hartmann der RWE den Gaspreis diktieren kann, wäre für Kuhnt zum Abschied gewiß eine bittere Pille.
Quelle: wiwo.de / Daniel Delhaes, Brigitte v. Haacke, Andreas Wildhagen
Eines der seltenen privaten Treffen zwischen RWE-Chef Dietmar Kuhnt und E.On-Lenker Ulrich Hartmann fand an einem Montagabend vor drei Wochen statt. Diesmal kämpften die Rivalen nicht um die weltweiten Energiemärkte. Das Gespräch der beiden Herren drehte sich auch nicht um Hartmanns Versuch, sich den Essener Gasversorger Ruhrgas einzuverleiben und Wettbewerber RWE so im heimischen Markt weit hinter sich zu lassen.
Der RWE-Chef erschien zur Geburtstagsfeier von E.On-Vorstand Hans Michael Gaul, dem engsten Mitarbeiter Hartmanns. Da bot das neue E.On-Domizil am Düsseldorfer Rheinufer den richtigen Rahmen: Das mit Travertin-Marmor verkleidete, von Stararchitekt Oswald Mathias Ungers gebaute Haus im Stil der Dreißigerjahre – von Spöttern auch „Reichsluftfahrtministerium“ genannt – beherbergt im Aufsichtsratstrakt eine geräumige Bar, an der sich Kuhnt und Hartmann angeregt unterhielten. Scheinbar entspannt plauderten sie über ihre Lieblingsthemen: Der am Fuß des E.On-Gebäudes liegende Robert-Schumann-Musiksaal, in dem von Hartmann gesponserte Mozart-Serenaden gespielt werden, gehört genau so dazu wie Kuhnts Vorliebe für die Insel Mallorca, wohin er sich an Wochenenden gern in sein Ferienhaus ausfliegen läßt.
Doch die Harmonie täuscht. Das graumelierte Duo – Kuhnt ist 64, Hartmann 63 Jahre alt – liefert sich einen erbitterten Kampf um die Spitzenposition als größter privater Energiekonzern Europas. Gerade 40 Kilometer Luftlinie ist der RWE-Hauptsitz, der 120 Meter hohe Turm in Essen, von dem neuen E.On-Tempel entfernt. Doch die mächtigsten Männer der deutschen Stromwirtschaft meiden die Nähe. Zwar ist ihre Strategie ähnlich: Konzentration aufs Energiegeschäft. Sprich Strom und Gas bei E.On Strom, Gas und Wasser bei RWE. Ihre nicht-strategischen Beteiligungen wollen sie verkaufen: Bei E.On stehen die Immobilientochter Viterra und der Chemieableger Degussa zur Disposition. Bei RWE sind es das Bauunternehmen Hochtief und Heidelberger Druckmaschinen.
Doch das Auftreten könnte kaum unterschiedlicher sein: Hier der selbstbewusste E.On-Chef Hartmann, der mit dem Zusammenschluss von Veba und Viag den höchstbewerteten Energiekonzern Europas schuf und damit besonders die Kapitalmarkte entzückte – die E.On-Aktie stieg um 20 Prozent. Dort der zurückhaltende RWE-Lenker Kuhnt, der es trotz 35 Prozent kommunaler Aktionären schaffte, seine internationale Expansionsstrategie durchzusetzen. Doch die Städte und Gemeinden drücken auf den Kurs. RWE lag in den vergangenen Geschäftsjahren immer hinter E.On. Zum Beispiel bei der Börsenkapitalisierung, die bei 22 Milliarden Euro liegt (E.On: 40 Milliarden Euro). Der RWE-Umsatz rangierte bei mehr als 60 Milliarden Euro (E.On: 90 Milliarden), der Gewinn lag bei gut der Hälfte des E.On-Ergebnisses von vier Milliarden Euro. Beim Stromabsatz aber war RWE der klare Sieger vor E.On (siehe Grafik Seite 54). Diesen Makel, auf dem heimischen Energiemarkt kleiner als RWE zu sein, will E.On-Chef Ulrich Hartmann jetzt ausmerzen: Der Streit zwischen ihm und Kuhnt entzündet sich vor allem an der Ruhrgas AG: E.On will das größte deutsche Gasunternehmen schlucken und damit auf diesem Gebiet uneinholbar für RWE sein. Das will Kuhnt verhindern – mit allen Mitteln.
Die Rivalität beherrscht die letzten Chefjahre der beiden Energiemanager. Kuhnt wird Ende dieses Jahres pensioniert, Hartmann im Mai 2003. Ihre Nachfolger kennen sie beide noch nicht. Die Vorentscheidung fällt ohnehin bei der Allianz in München (siehe Kasten Seite 58). Lang vergessen ist die Zeit der monopoltypischen Friedhofsruhe auf den Energiemärkten. Erst seit 1998, dem Jahr der deutschen Strommarktliberalisierung, liefern sich die beiden Juristen eine Schlammschlacht. Seit Januar 2002 sind offiziell auch im deutschen Gasmarkt die Schranken gefallen. Wehmütig schauen die beiden Wettbewerber nach Frankreich. Dort bleibt der profitable Haushaltskundenmarkt weiter reguliert – und der staatliche Energiegigant EDF trotzt jedem Wettbewerbestreben.
Angesichts der wachsenden Konkurrenz im heimischen Markt durch EDF, die russische Gazprom oder die schwedische Vattenfall fühlen sich RWE und E.On in der Substanz bedroht. Ihr Gegenrezept: Wachstum um jeden Preis bei Strom, Gas, Wasser. Doch das geht nur durch kostspielige Übernahmen. Denn bei dem Versuch, eigene Stromprodukte auf dem deutschen Markt mit viel Werbepower einzuführen, sind Hartmann und Kuhnt auch nach vier Jahren Liberalisierung kaum vorangekommen. Die ehrgeizige Strommarke RWE Avanza hat seit 1998 nur 30000 neue Kunden an sich gebunden. E.On kommt bei Innovationen wie Aqua Power und ähnlich klingenden Namen immerhin auf 75.000 neue Stromanschlüsse. Die Strommarke Yello der württembergischen EdF-Tochter EnBW bringt es dagegen auf 700.000 Kunden – wenn auch mit einem geschätzten Jahresverlust von 300 Millionen Euro.
Hartmann und Kuhnt werden deshalb wieder einmal vor allem ihre Finanzkraft loben, wenn sie am heutigen Donnerstag (E.On) und kommenden Dienstag (RWE) der Öffentlichkeit ihre Jahresergebnisse präsentieren. Das soll Mut machen, denn die Strompreise für Industriekunden werden ihr niedriges Niveau so schnell nicht verlassen. Die Kriegskasse für Zukäufe ist bei E.On mit 45 Milliarden Euro gut gefüllt. Auch bei RWE liegt mit 30 Milliarden Euro ein ordentlicher Betrag bereit.
RWE-Chef Kuhnt bläst vor allem im Wassergeschäft zum Großangriff. In England kaufte er sich mit Thames Water ein, in den USA übernimmt er American Water Works (AWW). Für das gesamte Wassergeschäft wird RWE dann einschließlich der US-Übernahmen 21 Milliarden Euro ausgegeben haben. Damit rückt der Essener Energiekonzern zum drittgrößten Wasserversorger der Welt auf (nach Suez und Vivendi).
Auch im heimischen Wassergeschäft konnte Kuhnt gegenüber Hartmann punkten. RWE übernimmt den 65-prozentigen Anteil der Stadt Mülheim an Ruhrgebiets-Versorger RWW. E.Ons Tochter Gelsenwasser zog sich in letzter Minute vom Bieterstreit zurück.
Bei RWE wird die Übernahme der amerikanischen Wasserversorger als Sieg über Hartmann gefeiert. Merkwürdig nur, dass die Amerikaner an RWE verkaufen wollten, weil sie sich selber, in ihrem ureigenem Markt, finanziell verhoben haben – wegen zu schneller Expansion. Zweites Großrisiko für RWE: Thames Water versorgt ganz London mit Wasser – und entsorgt es über 100 Jahre alte Bleirohre. Die müssen in den nächsten Jahren runderneuert werden. Eine Investitionssumme in zweistelliger Milliardenhöhe wartet auf Kuhnt – wie hoch, das will er nicht sagen.
Kann sich der RWE-Chef zunächst als Etappensieger im Wassergeschäft fühlen, ist ihm E.On vorerst auf dem britischen Strommarkt davongelaufen. Hartmann übernahm im vergangenen Jahr den drittgrößten englischen Stromversorger Powergen für die astronomische Summe von 15 Milliarden Euro inklusive Verbindlichkeiten. Jeder der drei Millionen Powergen-Kunden war ihm 1500 Euro wert – bei sinkenden Strompreisen ein riskantes Investment.
Kuhnt will in England nachziehen: Für das britische Energieunternehmen Innogy ist er bereit, acht Milliarden Euro zu zahlen und drei Milliarden Euro Schulden zu übernehmen. Zahl der Innogy-Kunden: Sieben Millionen. Vorteil gegenüber Hartmann: Mit 1200 Euro pro Kunde würde der Einstieg in den englischen Markt für Kuhnt deutlich günstiger ausfallen. Gleichzeitig wäre RWE vor E.On die Nummer eins im britischen Strommarkt. Dazu ist Innogy auf dem wachsenden Gasmarkt die Nummer zwei – vor der E.On-Tochter Powergen. Allerdings verfügt Powergen über einen ansehnlichen US-Ableger, ein wichtiger Brückenkopf für Hartmann im größten Energiemarkt der Welt. Noch ist der RWE-Deal nicht perfekt. Ein Innogy-Großaktionär, die Fondsgesellschaft Invesco (Anteil: sieben Prozent), stellt sich quer. Dennoch geben sich die RWE-Manager siegessicher. „Wir werden in England stärker als E.On.“
Und dann ist da noch die Ruhrgas AG, jahrzehntelang ein Thema, das selbst Gasexperten zum Gähnen brachte. Das Essener Unternehmen sitzt wie die Spinne im Zentrum eines 30000 Kilometer langen Netzes von Rohrleitungssystemen, die über Sibirien und halb Europa nach Deutschland führen, um hier zehn Millionen Gaskunden zu versorgen. Ruhrgas liefert 60 Prozent des deutschen Gases. Zusammen mit der E.On-Tochter Thüga und ihren 120 Stadtwerksbeteiligungen will Hartmann einen integrierten Gaskonzern schaffen, der Gas auf allen Stufen bis zum Endkunden liefert.
Zudem gilt Gas als Energieträger der Zukunft. Bei der Stromerzeugung produziert Gas 50 Prozent weniger schädlichen CO2-Ausstoß als Stein- oder Braunkohle, auf die besonders RWE setzt (Rheinbraun).
Unverhohlen legt sich die Ruhrgasführung bereits heute für Hartmann ins Zeug, als ob die Aktionäre schon vollzählig für E.On gestimmt hätten. Jahrzehntelang hielt die gesamte Energiebranche Ruhrgas mit seiner verschachtelten Aktionärsstruktur für uneinnehmbar. Ruhrgas stieg in den Siebzigerjahren unter dem damaligen Chef Klaus Liesen zum größten privaten Gasversorger Europas auf. Liesen ist heute nicht nur deren Aufsichtsratsvorsitzender, sondern auch Hartmanns bester Freund. Daher die voreilige Geneigtheit des Ruhrgas-Vorstands für E.On.
Die Ruhrgas-Übernahmeaktion setzt Fingerspitzengefühl und gute Verbindungen voraus. Kompliziert wird es für Hartmann allemal: Die Ruhrgas-Aktionäre sind in einem schwer durchschaubaren System von Pool- und Stimmbindungsverträgen aneinander gekettet (in Vorschaltgesellschaften, die Namen wie Bergemann oder Schubert KG tragen), an das sich bisher niemand heranwagte. Bis sich Hartmann nach der Liberalisierung begann, das Gewirr zu entflechten. Sein Vorteil: Ruhrgas-Aktionär BP hat schon an ihn verkauft und will mit einer eigenen Organisation auf deutsche industrielle Gaskunden losmarschieren. Exxon und Shell folgen. Kleinere Ruhrgas-Eigentümer wie ThyssenKrupp, Vodafone (früher Mannesmann) und Preussag haben ebenfalls signalisiert, ihre Anteile an den liquiden Hartmann zu veräußern. Bleibt noch die Ruhrkohle AG, die an der Ruhrgas beteiligt ist.
Und da sitzt Kuhnt mit 30 Prozent in der Gesellschafterversammlung (E.On mit 40 Prozent) – und kann Hartmanns Pläne wenn schon nicht ganz durchkreuzen, so doch empfindlich stören. Kuhnt will die Latte für E.On so hoch wie möglich legen – beim Wirtschaftsminister. Denn das Bonner Kartellamt, das die Ruhrgasübernahme durch E.On im Januar untersagte, kann jetzt nur noch von einer „Ministererlaubnis“ übertrumpft werden. Dieses Regierungsinstrument kann die Kartellamtsentscheidung aufheben, wenn „übergeordnete Interessen“ berührt werden, zum Beispiel die Durchsetzungskraft der deutschen Energiewirtschaft auf den europäischen Märkten.
Ein Hebel für Kuhnt. „Eine Ministererlaubnis ist nicht gerechtfertigt“, haben ihm seine Gehilfen in die Rede zur Bilanzpressekonferenz geschrieben. Zeitgleich beginnt die Monopolkommission mit ihren ersten Anhörungen. Acht Wochen hat sie dafür Zeit. Dann gibt sie eine Empfehlung ab, bevor die Ministerentscheidung gefällt wird – ohne den Minister. Da Müller bereits in den Diensten von E.On stand, und am liebsten nach der Wahl dort wieder für ein stolzes Gehalt einsteigen würde, hat ihn Kanzler Gerhard Schröder für befangen erklärt. Müllers Staatssekretär Alfred Tacke, ein Vertrauter Schröders, soll die Entscheidung noch vor der Bundestagswahl fällen.
Damit sie für ihn positiv ausfällt, hat Hartmann in den vergangenen Monaten eine einzigartige Maschinerie in Gang gesetzt. Abschreckendes Beispiel ist für Hartmann Jack Welch, der die Fusion von General Electric und Honeywell als Selbstgänger bewertete – bis die EU den Deal untersagte. Kuhnt kennt die subversive Macht einer Charmeoffensive von Hartmann. Er weiß auch, dass von den insgesamt sechs Ministerentscheidungen in der deutschen Wirtschaftsgeschichte zwei an E.On-Vorläufer Veba gingen. Deswegen hat Kuhnt seine besten Leute in die Schlacht geschickt. Zum Beispiel seinen früheren Bürochef und Ziehsohn, den 36-jährigen Volker Heck. Ziel: Über geschicktes Lobbying soll Heck hohe Auflagen für E.On erwirken, sodass sich Hartmann mit der Beute Ruhrgas als schusssicherer Jäger fühlen darf, der gerade ein Gerippe erlegte. Filetstücke sollen per Ministerauflage an die E.On-Konkurrenten gehen, so Kuhnts Plan.
Kuhnt muss dagegen in die Lokalpolitik hinabsteigen. Bei der RWE-Skandal-Beteiligung Trienekens (RWE Umwelt) machen die Essener Strategen keine glückliche Figur. RWE tut sich überdies schwer, das Image eines kommunalen Unternehmens abzulegen. 35 Prozent der RWE gehören zu den nordrhein-westfälischen Städten und Gemeinden. Und die haben gerade erst damit gedroht, mit dem RWE-Müllentsorger Trienekens keine Geschäfte mehr zu machen – wegen Vertrauensverlust. Außerdem überlegen verschiedene Kommunen, sich als Aktionäre ganz aus der RWE zurückzuziehen.
Solche Schwächen weiß Hartmann für sich zu nutzen. E.On schickte in Berlin seinen Lobbyarbeiter Gert von der Gröben vor, der von Hartmann beauftragt wurde, durchs Regierungsviertel zu ziehen, um die Abgeordneten mit E.Ons Gedankengut „zu beatmen“ (so ein E.On-Insider). Von der Gröben wurde nicht ganz ohne Hintergedanken für diesen Job auserwählt, er war in seinem früheren Leben Energiereferent der SPD-Bundestagsfraktion in Bonn und kennt die Genossen in- und auswendig. Als die Partei sich undankbar zeigte und ihm kein Amt anbot, zog ihn Hartmann geschickt zu E.On.
Nutznießer des Kampfs ist das Berliner Hotel Adlon. Regelmäßig werden im Restaurant des Hotels Diners auf RWE- und E.On-Kosten ausgerichtet. Dort speiste der Bundestagswirtschaftsausschuss auf Einladung Hartmanns. Kurz danach ein Mittagessen für die FDP-Parlamentarier beim gleichen Arrangement – eingeladen hatte diesmal RWE. Hartmann telefonierte auch mit Außenminister Joschka Fischer, weil er fürchtete, dass Verbraucherministerin Renate Künast gegen die Übernahme ist. Ein Ministerin für Verbraucher, das klingt verdächtig nach anderen als den Größenargumenten Hartmanns.
Sollten alle Versuche der Kuhnt-Vasallen nichts nutzen, dem E.On-Chef die Ruhrgas mit Entflechtungsauflagen so unattraktiv wie möglich zu machen, müssen zumindest die härtesten Konsequenzen für RWE aus der Welt geschaffen werden. Erst nach Durchsicht aller internen Unterlagen hat RWE festgestellt, dass sie mit ihrem Gasgeschäft (Thyssengas, Westfälische Ferngas) zu 80 Prozent von der Ruhrgas und damit womöglich demnächst von Hartmann abhängig sind. Der Liefervertrag geht noch bis zum Jahr 2017. Das Problem: RWE kann den Vertrag nicht einfach lösen, weil Ersatz in dem Umfang gar nicht zu beschaffen ist. Dass Hartmann der RWE den Gaspreis diktieren kann, wäre für Kuhnt zum Abschied gewiß eine bittere Pille.
Quelle: wiwo.de / Daniel Delhaes, Brigitte v. Haacke, Andreas Wildhagen