Wir leben in ungewöhnlichen Zeiten. Man schlage nur ein beliebiges Wirtschaftsblatt auf und schaue sich die Schlagzeilen an. Nach den Worten der Kommentatoren steht uns eine massive Finanzkrise bevor, ein Anstieg der Inflation, das Abgleiten in eine Rezession und ein US-Dollar, der noch nicht einmal das Papier wert ist, auf dem er gedruckt wird. Vergleiche werden angestellt mit den Jahren 1990 (Kreditkrise und Rezession in den USA), 1973 (Ölkrise und Rezession) und sogar 1929 (die „Große Depression“). Glaubt man den Schlagzeilen, kommen düstere Zeiten auf uns zu. Liest man jedoch ein paar Seiten weiter, stößt man auf Hunderte von Stellenanzeigen und etliche Artikel über hoch liquide Unternehmen, die sich für weitere Aktienrückkäufe rüsten. Ich kann mich nicht entsinnen, dass hohes Weltwirtschaftswachstum und niedrige Arbeitslosenzahlen jemals mit einer derartigen Zukunftsangst einhergingen. Diese Ängste sind wohl übertrieben.
Es verwundert indes nicht, dass Verbraucher und Investoren verwirrt sind. Sie müssen sich nicht nur mit den Problemen eines zunehmend komplexen Finanzsystems auseinander setzen, sondern auch mit den Folgen einer allgemeinen konjunkturellen Abkühlung und eines tief greifenden Strukturwandels.
Niemand bestreitet, dass die USA auf eine Konjunkturkrise zusteuern. Die amerikanischen Verbraucher haben jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt – die daraus resultierenden globalen Ungleichgewichte mussten zwangsläufig irgendwann Konsequenzen haben, und dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen.
Es lässt sich auch nicht leugnen, dass die Probleme der USA durch den Dominoeffekt auch andere Teile der Welt belasten. Hier sei insbesondere die Kreditkrise genannt, die sich wohl noch verschärfen wird, bevor Besserung eintritt. Dabei muss man aber betonen, dass es sich hierbei lediglich um konjunkturelle Entwicklungen handelt, die von den Notenbanken und geldpolitischen Entscheidungsträgern bereits korrigiert werden.
Ich meine, dass ein Vergleich der aktuellen Situation mit schmerzhaften historischen Ereignissen wie den Krisen von 1990 und 1973 gefährlich ist. Ein solcher Vergleich verkennt die Tatsache, dass wir uns gegenwärtig auch einem massiven Strukturwandel gegenübersehen, der die Welt nachhaltig verändert. In den letzten zehn Jahren haben wir eine beispiellose technologische Revolution, das enorme Wachstum aufstrebender Volkswirtschaften und einen fundamentalen Wandel in der demografischen Zusammensetzung der Industrieländer erlebt. Investoren müssen jetzt nicht nur mit den Folgen der Kreditkrise und der nachlassenden konjunkturellen Dynamik fertig werden, sondern auch mit den Veränderungen, die diese Trends für unser tägliches Leben bedeuten. Und das ist allerhand. Der technologische Wandel hat uns zunehmende Globalisierung sowie – strukturbedingt – höhere Produktivität und Profitabilität beschert. Die Schwellenländer, denen wir zunächst eine Schwemme kostengünstiger Produkte verdankten, bereiten uns nun das zweifelhafte Vergnügen einer Rohstoffpreisinflation. Die Länder, die vor allem von der hohen Wachstumsdynamik und den hohen Rohstoffpreisen profitieren, sammeln jetzt enorme Devisenvorräte an und kaufen die Vermögenswerte der Industrieländer auf.
Und nicht zuletzt werden wir älter. Das bedeutet einerseits, dass eine rückläufige Konjunktur in den Industrieländern nicht mehr zwangsläufig zu einer hohen Arbeitslosenrate führt, da auch das Angebot an neuen Arbeitskräften zurückgeht. Andererseits bedeutet es aber auch, dass Verbraucher und Investoren in die Jahre kommen. Ältere Menschen legen weniger Konsumfreude an den Tag und sind als Investoren konservativer. Das Augenmerk liegt auf Werterhaltung.
Fazit: Investoren tun gut daran, in einem Umfeld mit derartig vielen Unwägbarkeiten Vorsicht walten zu lassen. Sie lassen sich die Übernahme höherer Risiken besser bezahlen, daher die attraktive Bewertung von Risikowerten wie Aktien und Unternehmensanleihen. Verständlich ist vor diesem Hintergrund auch die Haltung der „Bären“, die sich zu pessimistischen Horrorszenarien hinreißen lassen. Hier findet sich stets ein bereitwilliges Publikum. Die Aktienmärkte haben der derzeit vorherrschenden Vorsicht bereits eine Verbesserung der Bewertungsniveaus zu verdanken, die noch ausreichend Spielraum für weitere Steigerungen im kommenden Jahr bieten (5 bis 8 Prozent). Die Achterbahnfahrt geht also weiter!
Quelle: ING Investment Management
Gruß Pichel