Die Bundestagswahl läßt die Börsianer kalt

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ottifant:

Die Bundestagswahl läßt die Börsianer kalt

 
31.08.02 15:06
"Diesmal keine Richtungsentscheidung" / Drohende internationale Turbulenzen wiegen schwerer


FRANKFURT, 30. August. Der Ausgang der Bundestagswahlen läßt die Börsianer kalt. "Normalerweise beschäftigen sich die Anleger schon rund 6 Monate vor den Wahlen mit den Chancen und Risiken eines Regierungswechsels. Doch diesmal ist das auch drei Wochen vor der Entscheidung kein Thema für Anlageentscheidungen", sagt Eberhardt Unger von der SEB Bank. Mit Blick auf eine schwache Konjunktur in Amerika und einem möglichen amerikanischen Angriff auf den Irak erklärt er das so: "Überraschungen durch nationale Regierungen sind nicht zu erwarten, solange internationale Turbulenzen drohen."

Thorsten Polleit, Volkswirt bei Barclays Capital, nennt noch einen anderen Grund: "Die Wahlversprechen unterscheiden sich nur in Nuancen. Aus Sicht der Märkte ist diese Wahl keine Richtungsentscheidung." Diese Ansicht ist auf dem Frankfurter Parkett weit verbreitet. Demgegenüber sind die Kurse deutscher Aktien nach früheren Bundestagswahlen deutlich gestiegen, wenn es zu Regierungswechseln kam. Nach Berechnungen der Hypo-Vereinsbank stiegen sie 1969 im Gesamtjahr um 12 Prozent, 1983 um 40 Prozent und 1998 um 17 Prozent.

Doch diesmal fehlt die Phantasie, daß frische Kräfte einen "Ruck" auslösen könnten. Obwohl Börsianer wohl traditionell überwiegend Anhänger der Unionsparteien CDU/CSU oder der FDP sind, haben viele Zweifel, ob eine neue Regierung unter einem Kanzler Stoiber einen "marktfreundlicheren Kurs" als die gegenwärtige Regierung steuern würde. So sind Stoibers Standpunkte in der Zuwanderungspolitik und in der Rentenpolitik keineswegs "marktorientiert". Michael Klawitter, für die WestLB Währungsanalyst in London, rechnet im Falle eines Regierungswechsels zwar mit einer kurzen reflexartigen Rallye am Aktienmarkt, weil Union und FDP immer noch als börsenfreundlicher gelten. "Das wird aber schnell verpuffen", ist er überzeugt. "Denn die Wahlprogramme lassen diesen pauschalen Schluß nicht zu."

Nach Ansicht von Börsianern wäre ein Regierungswechsel wohl vor allem deshalb positiv, weil dann Regierungsvorhaben nicht länger durch eine Mehrheit der Opposition im Bundesrat blockiert werden könnten. Das Programm der Union wird zwar von vielen für besonders mittelstandsfreundlich gehalten. Den großen börsennotierten Kapitalgesellschaften droht hingegen, daß eine neue Regierung Veräußerungsgewinne wieder besteuern könnte. Dies würde vor allem Finanzkonzerne wie die Allianz, die Deutsche Bank oder die Münchener Rück treffen, die sich von ihrem umfangreichen Beteiligungsbesitz trennen wollen. Manche Analysten sehen traditionelle Energieversorger wie RWE und Eon als Sieger eines Regierungswechsel, weil Atomkraftwerke länger am Netz blieben. Umgekehrt könnten Anbieter von alternativen Energien, von denen einige in den vergangenen Monaten trotz Baisse den Weg an die Börse gefunden haben, nach einem Regierungswechsel schlechtere Bedingungen vorfinden. Noch schwerer vorhersagen lassen sich die Auswirkungen für ehemalige Staatsunternehmen wie die Deutsche Telekom oder die Deutsche Post, bei denen der Bund als Mehrheitsaktionär das Sagen hat.

Für die generelle Tendenz an den nationalen Finanzmärkten haben solche Spekulationen nach Ansicht vieler Börsianer keine Bedeutung mehr. Einerseits sind die meisten börsennotierten Gesellschaften stark international tätig; ihre Abhängigkeit von der nationalen Gesetzgebung ist demnach geringer als früher. Andererseits laufen die nationalen Finanzmärkte immer stärker in die gleiche Richtung. "Alle Trends an den Märkten richten sich derzeit nur nach den wieder schlechter gewordenen amerikanischen Konjunkturperspektiven", sagt Unger. Klawitter verweist darauf, daß nationaler Wirtschaftspolitik angesichts des angespannten Staatshaushaltes enge Grenzen gesetzt sind. Auch für den Euro-Kurs sieht der Devisenspezialist kaum Auswirkungen durch die Bundestagswahlen. "Auch ein Kanzler Stoiber wird die Ost-Erweiterung der Union, die eine Belastung für den Euro ist, nicht aufhalten."
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