Deutschland - einig Ekel-Land


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Deutschland - einig Ekel-Land

 
22.09.06 14:32

FTD, 22.9.06

Deutschland, einig Ekelland

von Stephan Zimprich (Hamburg)

Nirgendwo sind Nahrungsmittel so billig, nirgendwo sind die Käufer so anspruchslos wie in Deutschland. Der deutsche Lebensmittelmarkt gilt als Resterampe Europas. Die Regierung preist ihr Verbraucherinformationsgesetz. Ändern wird sich nichts.

Deutschland - einig Ekel-Land 2803901  In einem Veterinäruntersuchungsamt wird eine Fleischprobe entnommen

Wer abends in Deutschland in den Supermarkt kommt, den packt oft das Grauen: Halbvergammeltes Gemüse siecht in Plastikkisten seinem Ende entgegen, Fruchtfliegen umschwirren die "Frischetheke", manchmal riecht es nach saurer Milch. Immerhin: Billig ist es. Anders im Ausland: Auswahl und Qualität sind in französischen, polnischen und belgischen Supermärkten deutlich besser, die Waren frisch - und teurer als in Deutschland.

Deutschland gilt unter den Lieferanten als Restemarkt. Bärbel Höhn, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, erzählt von Veterinären, die sagen, Deutschland sei ein Markt für Gammelfleisch, Matthias Wolfschmidt vom Verbraucherverband Foodwatch berichtet von Gemüsehändlern, die sagen: Die besten Tranchen gehen nach Frankreich, in die Schweiz, nach Großbritannien. Was übrig ist, kommt nach Deutschland. Und das wird sich so bald nicht ändern - auch mit dem Verbraucherinformationsgesetz nicht, das am heutigen Freitag verabschiedet werden soll.

Eigenlob aus dem Ministerium

Eigentlich schien der Zeitpunkt günstig: Ein weiterer Gammelfleischskandal führte der Republik vor wenigen Wochen vor Augen, dass es mit Kontrollen und Transparenz immer noch hapert im deutschen Lebensmittelhandel. Immer noch - nach BSE, Dioxin und wurmstichigem Fisch. Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) hätte sich auf die Rückendeckung der Wähler stützen können, hätte er den ausgehandelten Minimalkompromiss für das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) noch einmal aufschnüren wollen.

Seehofer verzichtete. Einen Tag vor der Verabschiedung des Gesetzes im Bundesrat setzte sein Ministerium in Berlin zum großen Eigenlob an: "Wir sehen das Gesetz als Quantensprung in Fragen der Verbraucherinformation", sagte der parlamentarische Staatssekretär Gerd Müller, nach nicht einmal einem Jahr hätte die Regierung Handlungsfähigkeit bewiesen. Anders die übereinstimmende Einschätzung von Verbraucherverbänden: Das Gesetz sei weitgehend sinnlos, der Ausnahmenkatalog groß, das Verfahren zu kompliziert. "Etikettenschwindel" nennt Höhn das VIG.

Deutschland - einig Ekel-Land 2803901  Ein Lebensmittelchemike entnimmt eine Portion zerhäckselten Fetts von einem Stück Rindfleisch

Aufforderung zur Verfahrensverschleppung

Die Auswirkungen der Regelung dürften sich tatsächlich im Rahmen halten. Anforderungen an die Nahrungsmittelindustrie formuliert es nicht. Wie der Supermarkt um die Ecke bei der letzten Lebensmittelkontrolle abgeschnitten hat, mit welchen Futtermitteln das Fleisch in der Wurst entstand und wie hoch die Pestizidbelastung bei Obst ist, das erfährt der Kunde auch in Zukunft nicht. Stattdessen legt der Entwurf fest, dass der Bürger auf Anfrage Auskunft erhält. Das aber auch nur dann, wenn er ein schriftliches Verfahren einhält und mindestens vier Wochen warten kann - falls der Behörde überhaupt Informationen vorliegen.

Noch viel länger dauert der Prozess, wenn das betroffene Unternehmen nicht mit der Veröffentlichung einverstanden ist. Im Gesetz wird nämlich festgelegt, dass ein laufendes Verwaltungsverfahren die Freigabe blockiert - und so ein Verwaltungsverfahren kann das Unternehmen mit einem noch so abwegig begründeten Widerspruch gegen die Veröffentlichung selbst herbeiführen. Bis zum Ende des Verfahrens können in diesem Fall Jahre vergehen. Deutlicher kann eine gesetzliche Aufforderung zur Verfahrensverschleppung kaum ausfallen.

"Panische Angst" der Unternehmen

Der Bundesverband für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) agitierte trotzdem gegen den Entwurf. Das Geschäftsgeheimnis der Hersteller sei in Gefahr, wird argumentiert, und Seehofer machte sich diese Argumentation in der Vergangenheit zu eigen, als er sagte, das Gesetz sei "ein gelungener Kompromiss zwischen Verbraucherschutz und den schützenswerten Interessen der Unternehmen".

Ein fadenscheiniges Argument. Kunden wollen nicht wissen, wie das Rezept für den Jogurt oder die Feinschmecker-Leberwurst im Detail aussieht. Sie wollen wissen, ob Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt wurden, Gen-Futter bei der Herstellung verwendet wurde oder im betreffenden Betrieb BSE-Fälle auftraten. "Die Unternehmen haben eine panische Angst davor, Informationen transparent zu machen", bestätigt Corinna Hölzel, Verbraucherexpertin bei Greenpeace. Für sie ist das VIG ein "Feigenblattgesetz". "Mit der Berufung auf das Betriebsgeheimnis können die meisten Anfragen abgeblockt werden", so Hölzel.

Deutschland - einig Ekel-Land 2803901  Ein Lebensmittelchemiker nimmt eine Geruchsprobe von einem Stück Rindfleisch

Die Hersteller können sich dabei sogar auf die Rückendeckung der Gerichte verlassen: Das Bundesverwaltungsgericht urteilte in diesem Jahr, dass die Namen von Unternehmen, gegen die Bußgelder wegen Unterbefüllung ihrer Verpackungen verhängt wurden, nicht veröffentlicht werden dürfen. Der Grund: Das Gericht wertete selbst mit Bußgeldern belegte Rechtsverstöße als "Geschäftsgeheimnis". Im Urteil wurde das wie folgt begründet: "Weil der Verbraucherschutz kein Rechtsgut von Verfassungsrang ist, muss er grundsätzlich hinter dem Eigentumsrecht zurückstehen."

Die Geheimhaltung bei allem, was mit der Nahrungsmittelproduktion zu tun hat, wird nicht nur durch Gerichte geschützt. Was sich Apfelsaft nennen darf und wie viel Leber in der Leberwurst steckt, das legt in Deutschland ein klandestiner Geheimbund fest: Die Lebensmittelbuch-Kommission. Sie beschließt, dass ein Apfelsaft auch dann ein Apfelsaft ist, wenn er nur aus Wasser und Konzentrat besteht. Wer wirklich Apfelsaft kaufen will, der muss nach "Direktsaft" schauen.

Auch dass der unappetitliche Lappen aus mit chemischer Hilfe gefügig gemachten Fleischresten sich Formfleisch-Schinken nennt, geht auf das Konto der 32 Mitglieder fassenden Runde, die sich aus Vertretern der Lebensmittelwirtschaft, Institutsleitern, Fachpolitikern, Lobbyisten und fünf Verbraucherschützern zusammensetzt. Auch Angelika Michel-Drees vom Verbraucherverband Bundeszentrale sitzt seit Jahren mit in der Runde. Es gebe wichtigere Probleme als den Apfelsaft, die derzeit besprochen werden, sagt sie. Nur welche das sind, darf in Deutschland der Konsument nicht erfahren: Alle Beteiligten sind per Gesetz zum Stillschweigen verpflichtet.

Aussageloses Qualitätssiegel

Ein staatliches Prüfsiegel für Nahrungsmittelqualität gibt es bisher nicht. Die Lebensmittelwirtschaft setzt auf Selbstkontrolle. Eigene Plaketten sollen überprüfbare Qualitätsstandards dokumentieren. Dabei wird aber mehr Schein als Sein geboten. Ein Beispiel ist das so genannte "QS-Siegel" (Slogan: "QS ist das Zeichen für Qualität und Sicherheit bei Lebensmitteln"). Die Betreiber nennen sich "Bündnis für Lebensmittelsicherheit und aktiven Verbraucherschutz". Gesellschafter sind beispielsweise der Deutsche Bauernverband (DBV), die Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) und der Deutsche Raiffeisenverband (DRV).

Nach einer Untersuchung des Verbraucherverbands "Foodwatch" über den Aussagegehalt des Zeichens musste die Gesellschaft eingestehen: "Die möglichen Missverständnisse, die sich aus der Bezeichnung 'Qualität und Sicherheit' ergeben, dürfen nicht weiter verstärkt werden. Im Rahmen des QS-Systems wird nur insoweit Qualitätsfleisch erzeugt, als das für eine hochwertige Erzeugung von Nahrungsmitteln die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen notwendige Voraussetzung ist." Der Slogan wurde umgetextet: "QS - Geprüfte Qualitätssicherung" heißt das Zertifikat jetzt. "Das Selbstverständnis der Branche ist: Wir halten die Gesetze ein und loben das als sensationelle Qualitätsoffensive", sagt Matthias Wolfschmidt von Foodwatch. Und nicht einmal das funktionierte bisher fehlerfrei: QS-Mitglied Real wurde beim Umetikettieren von Hackfleisch erwischt, und dioxinbelastetes Futter wurde von QS-zertifizierten Betrieben weiterverarbeitet.

"Politischer Wille nicht vorhanden"

Foodwatch fordert deshalb eine Qualitätsdifferenzierung per staatlichem, abgestuftem Gütesiegel. Ein Steak von einem artgerecht aufgezogenen Rind, das mit grünem Gras statt Fertigfutter gefüttert würde, könnte eine goldene Plakette bekommen, das Steak aus der (gesetzestreuen) Industrieherstellung eine bronzene. Der Verbraucher könnte dann selbst entscheiden, ob ihm der Mehrwert auch mehr Geld wert ist. "Der politische Wille dafür ist allerdings nicht vorhanden", beklagt Wolfschmidt. Hierzulande sei es bislang ein reiner Kostenfaktor, ins Qualitätsmanagement zu investieren.

Deutschland - einig Ekel-Land 2803901  Ein Lebensmittelkontrolleur nimmt eine Probe Fleisch in einer Metzgerei

Die Deutschen sind selbst Schuld an der Misere, argumentiert die Industrie. Sind sie doch geizig, zu allererst bei der Nahrung. 11,7 Prozent des Nettoeinkommens werden hierzulande für Nahrungsmittel ausgegeben, in Frankreich sind es 14,1, in Italien 14,8 Prozent. Es ist eine paradoxe Situation: In keiner Industrienation geben die Menschen mehr Geld für ihre Küchen und weniger für ihr Essen aus. "Da kommt beides zusammen: Verbraucher, die nicht bereit sind, einen höheren Preis zu zahlen und Hersteller, die es nicht schaffen, dem Konsumenten Qualitätsdifferenzen zu verdeutlichen", sagt Michel-Drees.

Einen Wettbewerbsvorteil haben hochwertige Nahrungsmittel in Deutschland kaum. "Bei uns wird diese Kultur fast gar nicht gepflegt, auf so etwas großen Wert zu legen", sagt Michel-Drees. Doch der Kunde ist nicht der allein Schuldige. "Der Bauernverband hat immer gesagt: Alle Produkte sind gut - und dann nimmt der Kunde natürlich immer das Billigste", so Höhn.

Keine Angst vor Kontrollen

Die Gesetzeslage in Deutschland macht es den schwarzen Schafen zudem ziemlich leicht. Angst vor intensiven Kontrollen braucht niemand zu haben: Bundesweit kommt ein Lebensmittelkontrolleur auf 600 Betriebe, hat Adrian Peters, Autor des Buches "Die Fleischmafia", ausgerechnet. Und die sind den Kommunen unterstellt - und so oft näher an der Wirtschaft, als für die gebotene, professionelle Distanz gut ist. "Gerade im Fleischmarkt existieren undurchsichtige Strukturen, die es Leuten mit krimineller Energie leicht machen, sich da reinzuklinken", so Höhn.

Zwar sieht das Lebensmittel- und Futtergesetzbuch (LFGB) bis zu fünf Jahre Haft für Lebensmittelkriminalität vor, doch der im Strafrecht verlangte Nachweis von Vorsatz und Schuld bei einzelnen Verantwortlichen gelingt nur äußerst selten. Noch weniger beeindruckend liest sich der Bußgeldkatalog für Ordnungswidrigkeiten. Die Höhe des angedrohten Bußgelds orientiert sich am kleinen Familienbetrieb: 20.000 Euro Höchstsatz. Für große Konzerne ein Betrag für die Portokasse. Der BLL sieht genauso wenig Handlungsbedarf wie die Politik.

Mitarbeit: Kai Beller

Antworten
Grisu15:

"Nirgendwo sind Nahrungsmittel so billig" ?

 
22.09.06 14:38
So ein Nonsens!! Keine Ahnung diese Typen
Antworten
Anti Lemming:

Immerhin hat Walmart in Deutschland kapituliert

 
22.09.06 15:09
vor der allgegenwärtigen "Geiz ist geil"-Mentalität. Dies zeigt, wie ausgereizt die Lebensmittelpreise hier sind. Verdient wird nur noch, wenn man Gammelfleisch "untermischt"...
Antworten
Grisu15:

Also, im Ösiland ist die (Fleisch)Qualität

 
22.09.06 15:12
wesentlich besser UND trotzdem um einiges billiger als hier in D.
Komisch
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