ein "must read" mMn
Im Gespräch: William White
„Defizite und Schulden ohne Ende sind nicht möglich“
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FAZ: Manche erklären, schon die erste Runde des „quantitative easings“, also der geldpolitischen Lockerung, habe nichts gebracht …
White: Betrachtet man die Erfahrungen Japans mit dieser Strategie, so hat sie zumindest zu einer gewissen Stabilität geführt. Sie hielt den Finanzsektor über Wasser, obwohl er im Kern insolvent war. Das heißt, die Banken hatten genügend Cash, um ihre Rechnungen bezahlen zu können und um die Pleite offiziell vermeiden zu können. Ich fürchte allerdings, die Geldpolitik hatte keinerlei Einfluss auf das Konsumverhalten und damit auf die Realwirtschaft.
Warum folgt die amerikanische Zentralbank trotzdem demselben Drehbuch?
Ihr Argument ist, die Strategie habe nicht grundsätzlich versagt, sondern die japanische Zentralbank habe einfach nur zu wenig getan. Ich persönlich halte es für beängstigend, wenn jemand so argumentiert. Milton Friedman erklärte vor Jahren, man habe sie einfach noch nicht ausprobiert, bis sie wirkte. Wenn die amerikanische Zentralbank dieser Linie folgen sollte, könnten wir noch einiges erwarten.
Dabei hatte schon die erste Runde der geldpolitischen Lockerung nur einen mageren Erfolg - abgesehen davon dass die langfristigen Zinsen sanken und sich die Risikospreads zurückbildeten. In meinen Augen liegt das Grundproblem nicht in einer zu geringen Liquiditätsversorgung, sondern an mangelnder Nachfrage. Wenn die Verbraucher im Rahmen einer Finanzkrise mit zu hohen Schulden belastet sind, kann man ihnen das Geld umsonst anbieten, aber sie werden es nicht annehmen. Sie sind nicht in der Stimmung, um sich für den Konsum stärker zu verschulden, sondern sie wollen ihre Schulden abbauen.
Das heißt, weniger borgen und mehr sparen
Ja. Man kann ein Pferd zur Tränke führen, aber es nicht zum Saufen zwingen. Genau das ist das Problem, mit dem die amerikanische Geldpolitik konfrontiert wird.
Was denken sie über die Defizite und Schulden auf makroökonomischer Ebene?
Ich habe den Eindruck, traditionelle makroökonomischer Instrumente haben ihre Wirkungsgrenzen erreicht. Das gilt in den Vereinigten Staaten, aber auch in vielen anderen Ländern. Auf Seiten der Geldpolitik sind die Zinsen schon so weit gesenkt worden, dass sie praktisch nicht mehr weiter fallen können. Selbst wenn man sie weiter senken könnte, würden Verbraucher aufgrund der hohen Schulden nicht mehr konsumieren. Dieser Transmissionsmechanimus ist ausgereizt und funktioniert nicht mehr.
… und auf der fiskalischen Seite?
Da sieht die Lage nicht viel besser aus. Die Meinungen der bekanntesten Ökonomen gehen unglaublich weit auseinander, ob die Defizite reduziert oder gar noch vergrößert werden sollten. Selbst die Tauben unter ihnen, also jene, die wegen der schwachen Wirtschaftsentwicklung zwar noch nicht sofort straffen wollen, aber erklären, man solle die Defizite möglichst bald verringern, sehen in den Industriestaaten nur noch einen geringen Spielraum für eine weitere Ausdehnung der Staatsschulden im Verhältnis zum Sozialprodukt.
Wieso? Gibt es so etwas wie eine natürliche Grenze?
Ja. Ähnlich wie die Geldpolitik wirkt auch die Fiskalpolitik nicht, da das Äquivalenz-Prinzip nach David Ricardo gilt: Die Leute wissen aus Erfahrung, dass die Staatsausgaben auf Pump von heute die Steuern von morgen sind. Aus diesem Grund schränken sie sich ein und dämpfen so die theoretisch zu erwartenden Wachstumseffekte. Die Regierungen können nicht einfach ihre intertemporalen Budgetgrenzen aushebeln. Letztlich müssen die Lasten der Verbindlichkeiten getragen werden.
Aber solche geld- und fiskalpolitischen Aktionen scheinen doch in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder funktioniert zu haben ...
Mag sein. Aber die meisten Ökonomen beachten bei ihren Aussagen die Erfahrungen der Vergangenheit und dynamische Elemente nicht in ausreichendem Maße. Sie erkennen nicht, dass das, was in der Vergangenheit funktioniert haben mag, in der Zukunft keinen Erfolg mehr haben wird.
Seit den 70er Jahren reagierte man auf jede ökonomische Schwäche mit Zinssenkungen und erhöhten Geldmengen, um die Verbraucher zu mehr Schulden und höherem Konsum zu verleiten. Allerdings wurden mit der Zeit und mit zunehmenden Schuldenbergen immer größere Stimuli nötig, um immer kleinere Wachstumseffekte zu erzielen. Irgendwann aber ist ein Zustand erreicht, in dem solche Stimuli überhaupt nicht mehr wirken werden. Und genau da sind wir nun möglicherweise angelangt.
Auf der fiskalpolitischen Seite gibt es Nicht-Linearitäten. Carmen Reinhardt und Ken Rogoff zum Beispiel erklären, fiskalpolitsche Multiplikatoren wirkten mir zunehmenden Staatsschulden, bis ein bestimmter kritischer Verschuldungsgrad erreicht sei. Dann jedoch wirke er nicht nur nicht mehr, sondern die Zinsen und Risikoprämien stiegen stark an. Wie zum Beispiel in Griechenland, Irland oder auch Ungarn....

