Auch fünf Jahre nach dem Börsencrash bleibt die Skepsis gegenüber Aktien groß
von Daniel Eckert und Holger Zschäpitz
Berlin - Die Werbung ist seit Jeher ein perfekter Gradmesser gesellschaftlicher Befindlichkeiten. Das ist auch an den Finanzmärkten nicht anders. Zu den Hochzeiten der Aktienhausse um die Jahrtausendwende forderte die Dresdner Bank alle Deutschen auf, ihr Sparbuch in großem Stil in Aktienfonds zu tauschen. Heute ist eine andere Botschaft angesagt: Jetzt schickt das gleiche Institut Günter Netzer ins Rennen und läßt den Alt-Fußballstar mit dem Slogan: "Ihr Vermögen im Gleichgewicht" für eine Kombination aus soliden Rentenfonds und aktiv gemanagten Mischfonds werben.
Fast kommt es einem vor, als lägen Jahrzehnte dazwischen. Dabei ist es gerade einmal fünf Jahre her, daß der Deutsche Aktienindex Dax mit 8064,97 Punkten ein Allzeithoch markiert. Damals glaubten nicht wenige, es werde ewig so weitergehen. Es bedurfte einiger Zeit, bis die Anleger kapierten, daß nicht jeder Kurseinbruch eine Kaufgelegenheit ist. Noch Anfang 2002 schwadronierten Strategen von einem Dax-Stand 6000.
"Selbst diejenigen, die wußten, daß das nicht mehr lange so weitergehen konnte, trauten sich nicht mehr, das laut auszusprechen", beschreibt Joachim Goldberg, Analyst bei Cognitrend in Frankfurt, die Stimmung seinerzeit. "Wer damals nicht optimistisch war, gehörte einfach nicht dazu." Die Börseneuphorie erfaßte die gesamte Bevölkerung. In den ARD-Tagesthemen wurde diskutiert, ob es ein Grundrecht auf die Aktienzuteilung bei Neuemissionen geben müßte. Selbst die BILD-Zeitung veranstaltete ein Börsenspiel. "Wer zu einer Party kam, mußte fünf neue heiße Werte auf Lager haben, um interessant zu sein", erinnert sich Goldberg.
Auch rational denkende Ökonomen verfielen auf die Idee, daß es neue Bewertungsmaßstäbe geben müsse. Es wurden beinahe täglich neue Modelle erfunden, um exorbitant hohen Kurs/Gewinn-Verhältnisse zu rechtfertigen. Auch die US-Notenbank goß Öl ins Feuer. So strich Fed-Chef Alan Greenspan bei jeder Gelegenheit die hohen Produktivitätsgewinne der New Economy heraus. So sei es möglich, daß die Weltwirtschaft ohne Inflation - dem Schrecken der Investoren - kräftig wachsen könne. "Das war ein sicheres Zeichen für die Übertreibung", sagt Goldberg.
Heute stehen andere Werte im Mittelpunkt. Statt auf Wachstum setzen die Anleger auf Substanz. Hohe Dividenden sind das Maß aller Dinge. Auch können Kaufstudien von Analysten niemanden mehr recht hinter dem Ofen hervorlocken. Durch strengere Regulierungen der Aufsichtsbehörden sind auch die Unternehmen mit ihren Aussagen wesentlich konservativer geworden. Jede Neuemission wird überkritisch von den Investoren beäugt. Die meisten Börsenkandidaten schaffen nur unter extremen Preiszugeständnissen den Sprung auf das Parkett.
Beinahe sämtliche Markteilnehmer scheinen durch den Aktiencrash geläutert. Zwar haben die meisten Fondsmanager oder Strategen ihren Optimismus nie ganz abgelegt, werden sie doch für eine positive Kursentwicklung bezahlt. Doch die Banken verbreiten trotz heute niedriger Bewertungen nur noch gedämpften Optimismus. So sehen sie den Dax am Jahresende bei 45000 bis 4800 Punkten. Lediglich die Société Générale schert aus und erwartet für das deutsche Kursbarometer 5100 Punkte.
"Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, daß sich eine ähnliche Übertreibung wie 2000 bei Aktien in den nächsten Jahren wiederholen könnte", so Goldberg. In der Breite seien die Anleger immunisiert gegen diese Art von Übertreibungen, zumindest in der entsprechenden Asset-Klasse. Normalerweise dauere bis zur nächsten Generation, bis sich wieder eine Anfälligkeit für Spekulationsblasen bilde. Goldberg: "Ich mache mir da keine Sorgen." Damals sei die Euphorie die Norm gewesen, heute sei es die Skepsis. "Die heutige Situation ist das genaue Spiegelbild der damaligen. Was wir seinerzeit an Optimismus zuviel hatten, haben wir heute zuviel an Pessimismus."
Beruhigt habe sich die Situation auch, weil keine neuen technologischen Schübe wie seinerzeit mit dem Internet zu verzeichnen seien. "Neue Technologien haben immer schon Spekulationsblasen Vorschub geleistet. So war es im 19. Jahrhundert mit der Eisenbahn, und in den zwanziger Jahren mit der Elektrizität", sagt ein Fondsmanager.
Wenn es derzeit eine neue Spekulationsblase gebt, dann mit großer Sicherheit nicht bei deutschen oder europäischen Aktien. Nicht einmal bei Anleihen sei ein echter Hype zu erkennen.
Artikel erschienen am Sa, 5. März 2005
Welt.de
von Daniel Eckert und Holger Zschäpitz
Berlin - Die Werbung ist seit Jeher ein perfekter Gradmesser gesellschaftlicher Befindlichkeiten. Das ist auch an den Finanzmärkten nicht anders. Zu den Hochzeiten der Aktienhausse um die Jahrtausendwende forderte die Dresdner Bank alle Deutschen auf, ihr Sparbuch in großem Stil in Aktienfonds zu tauschen. Heute ist eine andere Botschaft angesagt: Jetzt schickt das gleiche Institut Günter Netzer ins Rennen und läßt den Alt-Fußballstar mit dem Slogan: "Ihr Vermögen im Gleichgewicht" für eine Kombination aus soliden Rentenfonds und aktiv gemanagten Mischfonds werben.
Fast kommt es einem vor, als lägen Jahrzehnte dazwischen. Dabei ist es gerade einmal fünf Jahre her, daß der Deutsche Aktienindex Dax mit 8064,97 Punkten ein Allzeithoch markiert. Damals glaubten nicht wenige, es werde ewig so weitergehen. Es bedurfte einiger Zeit, bis die Anleger kapierten, daß nicht jeder Kurseinbruch eine Kaufgelegenheit ist. Noch Anfang 2002 schwadronierten Strategen von einem Dax-Stand 6000.
"Selbst diejenigen, die wußten, daß das nicht mehr lange so weitergehen konnte, trauten sich nicht mehr, das laut auszusprechen", beschreibt Joachim Goldberg, Analyst bei Cognitrend in Frankfurt, die Stimmung seinerzeit. "Wer damals nicht optimistisch war, gehörte einfach nicht dazu." Die Börseneuphorie erfaßte die gesamte Bevölkerung. In den ARD-Tagesthemen wurde diskutiert, ob es ein Grundrecht auf die Aktienzuteilung bei Neuemissionen geben müßte. Selbst die BILD-Zeitung veranstaltete ein Börsenspiel. "Wer zu einer Party kam, mußte fünf neue heiße Werte auf Lager haben, um interessant zu sein", erinnert sich Goldberg.
Auch rational denkende Ökonomen verfielen auf die Idee, daß es neue Bewertungsmaßstäbe geben müsse. Es wurden beinahe täglich neue Modelle erfunden, um exorbitant hohen Kurs/Gewinn-Verhältnisse zu rechtfertigen. Auch die US-Notenbank goß Öl ins Feuer. So strich Fed-Chef Alan Greenspan bei jeder Gelegenheit die hohen Produktivitätsgewinne der New Economy heraus. So sei es möglich, daß die Weltwirtschaft ohne Inflation - dem Schrecken der Investoren - kräftig wachsen könne. "Das war ein sicheres Zeichen für die Übertreibung", sagt Goldberg.
Heute stehen andere Werte im Mittelpunkt. Statt auf Wachstum setzen die Anleger auf Substanz. Hohe Dividenden sind das Maß aller Dinge. Auch können Kaufstudien von Analysten niemanden mehr recht hinter dem Ofen hervorlocken. Durch strengere Regulierungen der Aufsichtsbehörden sind auch die Unternehmen mit ihren Aussagen wesentlich konservativer geworden. Jede Neuemission wird überkritisch von den Investoren beäugt. Die meisten Börsenkandidaten schaffen nur unter extremen Preiszugeständnissen den Sprung auf das Parkett.
Beinahe sämtliche Markteilnehmer scheinen durch den Aktiencrash geläutert. Zwar haben die meisten Fondsmanager oder Strategen ihren Optimismus nie ganz abgelegt, werden sie doch für eine positive Kursentwicklung bezahlt. Doch die Banken verbreiten trotz heute niedriger Bewertungen nur noch gedämpften Optimismus. So sehen sie den Dax am Jahresende bei 45000 bis 4800 Punkten. Lediglich die Société Générale schert aus und erwartet für das deutsche Kursbarometer 5100 Punkte.
"Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, daß sich eine ähnliche Übertreibung wie 2000 bei Aktien in den nächsten Jahren wiederholen könnte", so Goldberg. In der Breite seien die Anleger immunisiert gegen diese Art von Übertreibungen, zumindest in der entsprechenden Asset-Klasse. Normalerweise dauere bis zur nächsten Generation, bis sich wieder eine Anfälligkeit für Spekulationsblasen bilde. Goldberg: "Ich mache mir da keine Sorgen." Damals sei die Euphorie die Norm gewesen, heute sei es die Skepsis. "Die heutige Situation ist das genaue Spiegelbild der damaligen. Was wir seinerzeit an Optimismus zuviel hatten, haben wir heute zuviel an Pessimismus."
Beruhigt habe sich die Situation auch, weil keine neuen technologischen Schübe wie seinerzeit mit dem Internet zu verzeichnen seien. "Neue Technologien haben immer schon Spekulationsblasen Vorschub geleistet. So war es im 19. Jahrhundert mit der Eisenbahn, und in den zwanziger Jahren mit der Elektrizität", sagt ein Fondsmanager.
Wenn es derzeit eine neue Spekulationsblase gebt, dann mit großer Sicherheit nicht bei deutschen oder europäischen Aktien. Nicht einmal bei Anleihen sei ein echter Hype zu erkennen.
Artikel erschienen am Sa, 5. März 2005
Welt.de