Hamid Mir, Chefredakteur einer pakistanischen Tageszeitung, traf Osama Bin Laden unter abenteuerlichen Umständen. Er gilt als Sprachrohr des Top-Terroristen
Hamid Mir, Chefredakteur einer pakistanischen Tageszeitung, traf Osama Bin Laden
Foto: dpa
Wenn der Anruf kommt, weiß Hamid Mir mittlerweile, was zu tun ist: Die dicken, warmen Pullover anziehen und auch ansonsten so viele Polsterungen wie irgend möglich am Körper verstauen, denn die nächsten Stunden werden mit Sicherheit ungemütlich. Erst die Fahrt im Auto über unebene Pisten, immer mit verbundenen Augen. Dann eine Kletterpartie in ein abgelegenes Bergdorf, oder, wie beim ersten Treffen 1997, tief hinunter in einen Tunnel. Da sitzt er dann, der schmächtige Mann mit dem langen Bart: Osama Bin Laden, der sein liebstes Sprachrohr zu sich bestellt hat. In der vergangenen Woche war es wieder einmal so weit, Bin Laden diktierte dem 36-jährigen Journalisten seine neuesten Drohungen über den Gebrauch von ABC-Waffen in den Block.
Mir, Chefredakteur der pakistanischen Tageszeitung "Asuf", ist diese Ausflüge gewohnt. Er ist in Bin Ladens Mediamix der Mann fürs Schriftliche und wird abwechselnd mit dem arabischen Nachrichtensender Al Dschasira versorgt. Das "CNN des Ostens", stets bemüht, unabhängig zu berichten, verschafft sich durch diese Dienste die Aufenthaltsberechtigung in den von den Taliban besetzten Bereichen Afghanistans. Und Mir? Für ihn ist es bestenfalls erst in zweiter Linie ein journalistischer Deal. Er liegt ohnehin weit gehend auf der Linie Bin Ladens: "Er reibt sich an der Weltherrschaft Amerikas. Die Amerikaner diktieren den Ölpreis und beuten so die Araber seit Jahrzehnten aus. Das will er nicht akzeptieren", sagt Mir. Aber alles könne er deswegen trotzdem nicht gut heißen: "Ich bin nicht der Meinung, dass man alle Amerikaner töten muss."
Seine Einstellung reichte aber trotzdem dafür aus, von Bin Laden zum offiziellen Biographie-Autoren ausgewählt zu werden. Ein Auftrag, den Mir lange vor den Attentaten erhalten hat, aber auch damals war Bin Laden schon als Täter diverser anderer Terrortaten bekannt. Vielleicht kamen auch Mir Skrupel, das Buch zu verfassen, dessen Auftraggeber, Lektor und Finanzier zu den meistgesuchten Terroristen der Welt zählte. In seinen Erzählungen heute berichtet Mir deswegen gerne von einer indirekten Form der Erpressung, die Bin Laden ausgeübt habe: Von der Kontonummer bis hin zu Lebensgewohnheiten sei ihm vieles auf den Kopf zu genannt worden. "Die Botschaft war klar: Ich weiß alles über Dich - versuche nicht, mich zu hintergehen", sagt Mir. Was also blieb ihm übrig? Schließlich, so erzählt er, sei ein anderer Vertrauter Bin Ladens eines Tages mit einem Kopfschuss aufgefunden worden.
Doch so viel Druck war bei Mir, der im persönlichen Umgang ein freundlicher und offener Mann ist, eigentlich gar nicht nötig. Er würde niemals etwas über den Aufenthaltsort verraten, sagt er. Eine Einstellung, die den Chefredakteur zu einem der wichtigeren Akteure dieser kriegerischen Auseinandersetzung werden lässt, wie sich schon direkt nach den Attentaten in New York zeigte. Als alle Welt noch rätselte, wer verantwortlicher Auftraggeber für den Massenmord gewesen ist, bekam Mir einen Brief Bin Ladens per Bote überstellt, in dem der Terrorist seine Zufriedenheit mit dem Geschehenen kundtat, eine eigene Beteiligung aber bestritt.
Eines verriet Mir nach dem jüngsten Gespräch in der vergangenen Woche dann allerdings doch noch: Es sei während der Fahrt in das Versteck einige Grad kälter geworden, vermutlich also liegt der Aufenthaltsort irgendwo in den Bergen. Aber darauf war Mir, der erst später sein Sakko überstreifte, mit seinen dicken Pullovern ja bestens vorbereitet.
Gruß Kostolmoney