Kolumne: Hoffnung trotz der Krise
Von Martin Wolf, London
Die Weltwirtschaft ist im Kern gesund. Das zeigt die Analyse früherer Wachstumsphasen.
In den 90er Jahren stützte der US-Boom fast die gesamte Weltwirtschaft. Jetzt kehren Wachstum und Produktion in den USA zur Normalität zurück. Hieran muss sich die Weltwirtschaft schmerzlich anpassen, was möglicherweise länger dauern wird. Zum Glück scheinen die Quellen des globalen Wachstums wenigstens für die nächsten Jahrzehnte stabil - trotz kurzfristiger Schwankungen.
Der renommierte Wirtschaftshistoriker Angus Maddison hat gerade eine Analyse der Weltwirtschaft in den vergangenen tausend Jahren fertig gestellt.* Er stellt fest, dass es in der Geschichte nur drei Perioden mit rasch steigendem Pro-Kopf-Einkommen gegeben hat: am ausgeprägtesten 1950-1973, als die durchschnittlichen globalen Realeinkommen um jährlich 2,9 Prozent stiegen. Die anderen beiden Perioden waren 1973-98 und 1870-1913.
Diese Perioden relativ schnellen Wachstums hatten drei gemeinsame Merkmale.
Der erste Faktor war die weltweite wirtschaftliche Verflechtung. Handel und globale Kapitalströme stiegen schneller als die Weltproduktion. Der Anteil der ausländischen Investitionen in den heutigen Entwicklungsländern stieg konstant an, abgesehen von einem Einbruch zwischen 1914 und 1950.
Das zweite Merkmal war der selektive Aufholprozess einiger Volkswirtschaften gegenüber der jeweils führenden Wirtschaftsnation. Zwischen 1870 und 1913 holten Westeuropa, die USA und einige frühere Kolonien gegenüber Großbritannien auf. Zwischen 1950 und 1973 verringerten Westeuropa, Japan und einigekleinere asiatische Länder den Abstand zu den USA. Zwischen 1973 und 1998 machte ein großer Teil Asiens gegenüber den USA an Boden gut. Je größer der Abstand zur führenden Volkswirtschaft, desto höher war die Aufholgeschwindigkeit.
Lehren für die Gegenwart
Drittens ist die historisch einmalige Geschwindigkeit des technischen Fortschritts zu nennen, welche die gesamte globale Expansion der letzten 180 Jahre auszeichnet. Hierdurch stiegen in den entwickeltsten Volkswirtschaften die Realeinkommen pro Kopf.
Das war der Blick zurück. Kommen wir zur Gegenwart.
Zum Glück wachsen Handel und ausländische Direktinvestitionen weiter schneller als die globale Produktion, trotz der Angriffe von schlecht informierten Kritikern. Die Integration wird unterstützt durch die Liberalisierung und die rückläufigen Kosten für Transport und Kommunikation. Angus Maddison zeigt, dass eben diese Tatsache für viele Entwicklungen der Weltwirtschaft in den letzten 500 Jahren verantwortlich war. Das Internet und das Mobiltelefon sind die neuesten Glieder einer langen Kette.
Die Aufholjagd wird im nächsten Vierteljahrhundert eine treibende Kraft sein - mehr als in jeder anderen Periode, seit die USA vor über 100 Jahren die wirtschaftliche Führung übernahmen. In den letzten 20 Jahren sind die beiden bevölkerungsreichsten Länder (mit zusammen fast 40 Prozent der gesamten Weltbevölkerung) schneller gewachsen als die Wirtschaften der führenden Nationen. Wenn dieser Trend anhält, wird er die Struktur der Weltwirtschaft verändern.
Um das Potenzial der Schwellenländer richtig einzuschätzen, lohnt der Blick auf die Kaufkraftparität. Nach üblichen internationalen Preisen (Kaufkraftparität) liegt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Niedriglohnländer wesentlich höher als zu Marktpreisen, besonders weil so die billigen Dienstleistungen aufgewertet werden. Nach Angaben der Weltbank ist nach Marktpreisen gerechnet China nur die siebtgrößte Volkswirtschaft (nach Italien), während Indien auf dem elften Platz liegt (nach Spanien). Nach Kaufkraftparität ist dagegen China bereits die zweitgrößte Volkswirtschaft (nach den USA) und Indien die viertgrößte (nach Japan).
Nach Kaufkraftparität sind die zwölf größten Volkswirtschaften (in dieser Reihenfolge): USA, China, Japan, Indien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Brasilien, Russland, Mexiko und Kanada. Auf sie entfallen 70 Prozent der Weltproduktion. Am schnellsten von diesen wuchsen in den 90er Jahren China (zehn Prozent jährlich), Indien (sechs Prozent) und die USA (3,4 Prozent). Da die Produktivität in China bei etwa elf Prozent der US-Produktivität liegt, in Indien sogar nur bei sieben Prozent, erscheint das Potenzial für ein rasches Wachstum nahezu unbegrenzt.
Der Trend hinter den Schwankungen
Der letzte Parameter für eine zukünftig dynamische Weltwirtschaft ist der weitere technische Fortschritt. Zwischen 1973 und 1995 fiel das Wachstum der Arbeitsproduktivität in den USA auf knapp 1,5 Prozent im Jahr, den geringsten Langzeitwert seit 1870. Im Jahre 1995 kam es zur Trendwende: Die Produktivität steigt wieder mit über zwei Prozent pro Jahr. Dies scheint eine Rückkehr zum historischen Normalwert zu sein. In der Vorausschau lassen sich auch eine Reihe wissenschaftlicher und technischer Fortschritte ausmachen, die vermutlich den Produktivitätszuwachs stützen werden.
Die Kombination aus internationaler wirtschaftlicher Integration, Aufholtendenzen bei Nachzüglern und höherem Produktivitätszuwachs bei Schwellenländern eröffnet mittelfristig dynamische Aussichten für die Weltwirtschaft. Das heißt nicht, dass alle Länder am Wachstum teilhaben werden, dass sich Turbulenzen vermeiden lassen oder dass die Veränderungen einfach zu bewältigen sind. Es heißt nur, dass die Vorbedingungen für ein rasches Wirtschaftswachstum gegeben sind.
Im unvermeidlichen Auf und Ab der nächsten Jahre sollte man sich immer wieder diese ermutigende Tatsache vor Augen halten.
Von Martin Wolf, London
Die Weltwirtschaft ist im Kern gesund. Das zeigt die Analyse früherer Wachstumsphasen.
In den 90er Jahren stützte der US-Boom fast die gesamte Weltwirtschaft. Jetzt kehren Wachstum und Produktion in den USA zur Normalität zurück. Hieran muss sich die Weltwirtschaft schmerzlich anpassen, was möglicherweise länger dauern wird. Zum Glück scheinen die Quellen des globalen Wachstums wenigstens für die nächsten Jahrzehnte stabil - trotz kurzfristiger Schwankungen.
Der renommierte Wirtschaftshistoriker Angus Maddison hat gerade eine Analyse der Weltwirtschaft in den vergangenen tausend Jahren fertig gestellt.* Er stellt fest, dass es in der Geschichte nur drei Perioden mit rasch steigendem Pro-Kopf-Einkommen gegeben hat: am ausgeprägtesten 1950-1973, als die durchschnittlichen globalen Realeinkommen um jährlich 2,9 Prozent stiegen. Die anderen beiden Perioden waren 1973-98 und 1870-1913.
Diese Perioden relativ schnellen Wachstums hatten drei gemeinsame Merkmale.
Der erste Faktor war die weltweite wirtschaftliche Verflechtung. Handel und globale Kapitalströme stiegen schneller als die Weltproduktion. Der Anteil der ausländischen Investitionen in den heutigen Entwicklungsländern stieg konstant an, abgesehen von einem Einbruch zwischen 1914 und 1950.
Das zweite Merkmal war der selektive Aufholprozess einiger Volkswirtschaften gegenüber der jeweils führenden Wirtschaftsnation. Zwischen 1870 und 1913 holten Westeuropa, die USA und einige frühere Kolonien gegenüber Großbritannien auf. Zwischen 1950 und 1973 verringerten Westeuropa, Japan und einigekleinere asiatische Länder den Abstand zu den USA. Zwischen 1973 und 1998 machte ein großer Teil Asiens gegenüber den USA an Boden gut. Je größer der Abstand zur führenden Volkswirtschaft, desto höher war die Aufholgeschwindigkeit.
Lehren für die Gegenwart
Drittens ist die historisch einmalige Geschwindigkeit des technischen Fortschritts zu nennen, welche die gesamte globale Expansion der letzten 180 Jahre auszeichnet. Hierdurch stiegen in den entwickeltsten Volkswirtschaften die Realeinkommen pro Kopf.
Das war der Blick zurück. Kommen wir zur Gegenwart.
Zum Glück wachsen Handel und ausländische Direktinvestitionen weiter schneller als die globale Produktion, trotz der Angriffe von schlecht informierten Kritikern. Die Integration wird unterstützt durch die Liberalisierung und die rückläufigen Kosten für Transport und Kommunikation. Angus Maddison zeigt, dass eben diese Tatsache für viele Entwicklungen der Weltwirtschaft in den letzten 500 Jahren verantwortlich war. Das Internet und das Mobiltelefon sind die neuesten Glieder einer langen Kette.
Die Aufholjagd wird im nächsten Vierteljahrhundert eine treibende Kraft sein - mehr als in jeder anderen Periode, seit die USA vor über 100 Jahren die wirtschaftliche Führung übernahmen. In den letzten 20 Jahren sind die beiden bevölkerungsreichsten Länder (mit zusammen fast 40 Prozent der gesamten Weltbevölkerung) schneller gewachsen als die Wirtschaften der führenden Nationen. Wenn dieser Trend anhält, wird er die Struktur der Weltwirtschaft verändern.
Um das Potenzial der Schwellenländer richtig einzuschätzen, lohnt der Blick auf die Kaufkraftparität. Nach üblichen internationalen Preisen (Kaufkraftparität) liegt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Niedriglohnländer wesentlich höher als zu Marktpreisen, besonders weil so die billigen Dienstleistungen aufgewertet werden. Nach Angaben der Weltbank ist nach Marktpreisen gerechnet China nur die siebtgrößte Volkswirtschaft (nach Italien), während Indien auf dem elften Platz liegt (nach Spanien). Nach Kaufkraftparität ist dagegen China bereits die zweitgrößte Volkswirtschaft (nach den USA) und Indien die viertgrößte (nach Japan).
Nach Kaufkraftparität sind die zwölf größten Volkswirtschaften (in dieser Reihenfolge): USA, China, Japan, Indien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Brasilien, Russland, Mexiko und Kanada. Auf sie entfallen 70 Prozent der Weltproduktion. Am schnellsten von diesen wuchsen in den 90er Jahren China (zehn Prozent jährlich), Indien (sechs Prozent) und die USA (3,4 Prozent). Da die Produktivität in China bei etwa elf Prozent der US-Produktivität liegt, in Indien sogar nur bei sieben Prozent, erscheint das Potenzial für ein rasches Wachstum nahezu unbegrenzt.
Der Trend hinter den Schwankungen
Der letzte Parameter für eine zukünftig dynamische Weltwirtschaft ist der weitere technische Fortschritt. Zwischen 1973 und 1995 fiel das Wachstum der Arbeitsproduktivität in den USA auf knapp 1,5 Prozent im Jahr, den geringsten Langzeitwert seit 1870. Im Jahre 1995 kam es zur Trendwende: Die Produktivität steigt wieder mit über zwei Prozent pro Jahr. Dies scheint eine Rückkehr zum historischen Normalwert zu sein. In der Vorausschau lassen sich auch eine Reihe wissenschaftlicher und technischer Fortschritte ausmachen, die vermutlich den Produktivitätszuwachs stützen werden.
Die Kombination aus internationaler wirtschaftlicher Integration, Aufholtendenzen bei Nachzüglern und höherem Produktivitätszuwachs bei Schwellenländern eröffnet mittelfristig dynamische Aussichten für die Weltwirtschaft. Das heißt nicht, dass alle Länder am Wachstum teilhaben werden, dass sich Turbulenzen vermeiden lassen oder dass die Veränderungen einfach zu bewältigen sind. Es heißt nur, dass die Vorbedingungen für ein rasches Wirtschaftswachstum gegeben sind.
Im unvermeidlichen Auf und Ab der nächsten Jahre sollte man sich immer wieder diese ermutigende Tatsache vor Augen halten.