Der Dow erklimmt einen neuen Rekord
Die Börsianer an der Wall Street lassen sich vom Gerede über einen Konjunkturknick oder gar eine Rezession offensichtlich nicht verunsichern: Der Dow Jones, das führende Börsenbarometer an der Weltleitbörse, kletterte in der abgelaufenen Handelswoche gleich dreimal auf ein Rekordniveau. Zum Wochenschluß gaben die Aktienkurse zwar ein wenig nach, und der Dow verlor 0,14 Prozent auf 11.850 Punkte, knapp unterhalb des Allzeithochs von 11.852 Punkten.
Die Anteilscheine der dreißig führenden amerikanischen Industrieunternehmen sind damit im Durchschnitt nun etwas höher bewertet als Mitte Januar 2000. Viel ist geschehen seit dem vorangegangenen Rekord: Erst zerplatzte die „New Economy“-Blase, dann kam die Rezession, es folgten die Terroranschläge vom 11. September 2001 und der Irak-Krieg - zuletzt nun die Welle der Anhebungen des Leitzinses in den Vereinigten Staaten.
Staatsanleihe wirft nur noch 4,70 Prozent ab
Nicht ganz zu Unrecht weisen einige Marktstrategen darauf hin, daß breiter angelegte Börsenindizes wie der Standard & Poor's 500 oder auch der Russell-2000-Index noch ein gutes Stück von ihren Höchstständen entfernt sind und daß auch der Dow Jones knapp 20 Prozent niedriger bewertet ist als Anfang 2000, wenn man die Inflationsentwicklung einbezieht. Gleichwohl ist die Stimmung in den Handelssälen durchaus gut. Freilich sehen auch die Börsianer, daß der amerikanische Konjunkturmotor seit einigen Monaten deutlich langsamer läuft.
In eine bedrückende Sorge vor sinkenden Unternehmensgewinnen aber ist dies bisher nicht umgeschlagen. Daß dies so ist, hängt zum Teil mit den gesunkenen Renditen am Kapitalmarkt zusammen. Die maßgebliche amerikanische Staatsanleihe mit zehn Jahren Laufzeit wirft augenblicklich 4,70 Prozent ab: Ende Juni waren es noch 5,25 Prozent. Das macht festverzinsliche Wertpapiere weniger attraktiv, und es verringert die Fremdfinanzierungskosten jener Unternehmen, die sich Mittel am Kapitalmarkt beschaffen.
Atomstreit mit Iran bestimmt nicht mehr Schlagzeilen
Zur verhältnismäßig optimistischen Laune unter den Börsianern - nicht nur an der Wall Street, sondern auch an Finanzplätzen wie Frankfurt, London und Tokio - trägt darüber hinaus der jüngste Rückgang des Ölpreises bei. Für ein Faß (zu 159 Liter) müssen inzwischen nur noch knapp 60 Dollar bezahlt werden, annähernd 20 Prozent weniger als im Sommer. Der Atomstreit des Westens mit Iran ist zwar nicht beigelegt, aber er bestimmt nicht mehr die Schlagzeilen. Zur Entspannung auf dem Ölmarkt hat auch die Ankündigung der amerikanischen Regierung beigetragen, ihre strategische Reserve nicht mehr vor dem Winter, sondern erst im kommenden Frühjahr aufzufüllen.
Das Energieministerium wird demnach vorerst nicht 1,7 Millionen Faß von den privaten Ölgesellschaften einfordern, die es den Raffinerien nach dem Wirbelsturm „Katrina“ im vergangenen Jahr geliehen hatte. In der Reserve, die der amerikanischen Wirtschaft über mögliche Versorgungsengpässe hinweghelfen soll, befinden sich rund 688 Millionen Barrel Öl. Die Vereinigten Staaten verbrauchen täglich 21 Millionen Faß Öl, vor allem in Form von Benzin. In der Organisation der Erdöl exportierender Länder Opec wird angesichts der Preisentwicklung schon über eine Verringerung der Fördermengen nachgedacht, Einigkeit besteht hierüber im Kartell aber nicht.
Preisrisiken größer als die Gefahren für das Wachstum
Mit dem sinkenden Ölpreis ist auch die Furcht vor hohen Inflationsraten geringer geworden. Abzulesen ist dies nicht nur am kleineren Zinsaufschlag zwischen herkömmlichen und inflationsgeschützten amerikanischen Staatsanleihen, sondern auch am Goldpreis. Der Preis des Edelmetalls, das eine Renaissance als Instrument zum Schutz vor einer allzu schnellen Geldentwertung erfahren hat, ist seit Mitte Juli um 23 Prozent auf gut 573 Dollar je Feinunze gefallen.
Unterschiedlich sind die Botschaften, die die Akteure an den Finanzmärkten in diesen Tagen aus den führenden Notenbanken erhalten: Der Chairman der amerikanischen Fed, Ben Bernanke, bezeichnete die Abkühlung auf dem dortigen Immobilienmarkt als „substantiell“ und zeigte sich einigermaßen zuversichtlich, daß die schwächere Konjunktur den Preisauftrieb bremsen wird. Sein Stellvertreter Don Kohn äußerte zwar auch die Hoffnung auf eine geringere Inflationsrate, machte aber unmißverständlich klar, daß die Preisrisiken augenblicklich größer seien als die Gefahren für das Wachstum. Die Äußerungen vermochten allerdings die unter Marktbeobachtern weit verbreitete Einschätzung nicht zu ändern, daß die Runde von Zinserhöhungen in Amerika tatsächlich zu einem Ende gekommen ist und womöglich schon im kommenden Frühjahr die Geldpolitik gelockert wird.
Inflationsgefahren wohl noch nicht überwunden
Kaum Zweifel bestehen über den Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB). Deren Präsident Jean-Claude Trichet gab am Donnerstag nicht nur den weithin erwarteten Zinsschritt von 3 auf 3,25 Prozent bekannt, sondern kündigte die nächste Leitzinsanhebung bereits an. Sofern sich an dem erwarteten Szenario eines fortgesetzten Wirtschaftsaufschwungs nichts ändere, müsse die Liquiditätsversorgung im Euro-Raum weiter gedrosselt werden, sagte Trichet. Nun haben sich die Marktakteure darauf eingestellt, daß die EZB mit ihrem Zweimonatsrhythmus fortfahren und im Dezember den nächsten Zinsschritt auf 3,5 Prozent unternehmen wird.
Wie es aus dem Kreis der europäischen Notenbanker heißt, muß damit aber nicht das Ende der Zinsrunde erreicht sein. Das schnelle Wachstum der Geldmenge und die hohe Kreditvergabe deuten darauf hin, daß die Inflationsgefahren noch nicht überwunden sind. Die EZB könnte darum durchaus auch nach der Wende ihren Kurs fortsetzen und den Leitzins in die Richtung von 4 Prozent anheben.
Quelle: faz.de
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