Vorgezogene Umsätze, ein Geständnis und ein Widerruf
Der Comroad-Prozeß gibt Einblicke in ein besonderes Wachstumsunternehmen
jgo. MÜNCHEN, 14. November. Was hätte der Gründer des Telematikunternehmens Comroad aus Unterschleißheim bei München schon sagen können? Die Beweislage, die die Staatsanwaltschaft auf 20 Seiten zusammengetragen hat, ist erdrückend. Bodo Schnabel wird zur Last gelegt, über Jahre hinweg einen Großteil des Umsatzes frei erfunden zu haben, mit falschen Ad-hoc-Mitteilungen den Kurs in die Höhe getrieben und durch Aktienverkäufe Gewinne in Höhe von 26,8 Millionen Euro eingestrichen zu haben. Zahlreiche Kleinanleger, aber auch renommierte Häuser wie Merrill Lynch ließen sich in die Irre führen. Der Rechtsanwalt Klaus Rotter, der geschädigte Aktionäre vertritt, schätzt den Schaden auf einen "dreistelligen Millionenbereich". Der großangelegte Schwindel kam erst im Frühjahr 2002 ans Licht: Im April mußte Comroad einräumen, vom Umsatz für 2001 in Höhe von 93,6 Millionen Euro lediglich 1,4 Prozent belegen zu können. Der angebliche Hauptgeschäftspartner, die Firma VT-Electronics in Hongkong, hat nach Erkenntnissen der Wirtschaftsprüfer und Ermittler nur auf dem Papier existiert. Am 15. April legte Schnabel, der seit Ende März in Untersuchungshaft sitzt, ein Geständnis ab. Aber die Hoffnung des Vorsitzenden Richters Wolf-Stefan Wiegand auf ein schnelles Prozeßende erfüllte sich nicht. Der größte Bilanzskandal des Neuen Marktes begann vor dem Landgericht München mit einem Paukenschlag: In einer 27 Seiten umfassenden Erklärung bestritt der 51 Jahre alte Diplomingenieur im wesentlichen die Vorwürfe, während die mitangeklagte Ehefrau Ingrid von ihrem Rechtsanwalt Wolfgang Dingfelder ein umfassendes Geständnis verlesen ließ.
"Die Umsätze waren nicht frei erfunden", sagte Schnabel. Im weiteren Verlauf räumte er lediglich ein, es sei ein Fehler gewesen, "vorgezogene Umsatzzahlen" veröffentlicht zu haben. Er beteuerte: "Ich wollte zu keinem Zeitpunkt jemanden betrügen." Den Hinweis des Richters, noch könne er das Strafmaß durch eine Kooperation günstig beeinflussen, ignorierte er ebenso wie weitere Fragen. "Mir geht es auch nicht gut", beschied er das Gericht. In der Erklärung der Ehefrau dagegen wird die Beihilfe zu den Delikten Kursbetrug, Insiderhandel und gewerbsmäßigen Betrugs eingeräumt. Ingrid Schnabel, die dem Unternehmen zunächst als Vorstandsvorsitzende und später als Mitglied im Aufsichtsrat diente, bedauerte ihr Verhalten, das sie auf eine Instrumentalisierung durch ihren Mann zurückführte. Auf Nachfrage des Richters zeichnete sie das Bild von einer Frau, die ohne jede Frage die Anweisungen ihres Mannes befolgte und keine Frage stellte. Von den Aufgaben eines Aufsichtsrats oder Vorstandes habe sie keine Vorstellung gehabt, sagte sie. "Tatsächlich stand das nur auf dem Papier. Mein Mann hat die Geschäfte geführt." In ihrer Zeit als Vorstandsvorsitzende und als Aufsichtsratsmitglied habe sie als Freiberuflerin "überwiegend von Zu Hause aus" gearbeitet.
Wenn der Prozeß am 20. November fortgesetzt wird, dürften weitere peinliche Enthüllungen über die Arbeitsweise des Unternehmens ans Licht kommen. Vor allem Wirtschaftsprüfer sehen den weiteren fünf Verhandlungstagen mit Spannung entgegen. Unfreiwillig im Mittelpunkt befinden dürfte sich bald die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, die bis zum Frühjahr dieses Jahres die Comroad-Bilanzen testiert hatte. Bei seiner Vernehmung im April bereits hatte Bodo Schnabel zu Protokoll gegeben, er wundere sich selbst darüber, daß die Schwindeleien niemandem aufgefallen seien.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.11.2002, Nr. 266 / Seite 23
Der Comroad-Prozeß gibt Einblicke in ein besonderes Wachstumsunternehmen
jgo. MÜNCHEN, 14. November. Was hätte der Gründer des Telematikunternehmens Comroad aus Unterschleißheim bei München schon sagen können? Die Beweislage, die die Staatsanwaltschaft auf 20 Seiten zusammengetragen hat, ist erdrückend. Bodo Schnabel wird zur Last gelegt, über Jahre hinweg einen Großteil des Umsatzes frei erfunden zu haben, mit falschen Ad-hoc-Mitteilungen den Kurs in die Höhe getrieben und durch Aktienverkäufe Gewinne in Höhe von 26,8 Millionen Euro eingestrichen zu haben. Zahlreiche Kleinanleger, aber auch renommierte Häuser wie Merrill Lynch ließen sich in die Irre führen. Der Rechtsanwalt Klaus Rotter, der geschädigte Aktionäre vertritt, schätzt den Schaden auf einen "dreistelligen Millionenbereich". Der großangelegte Schwindel kam erst im Frühjahr 2002 ans Licht: Im April mußte Comroad einräumen, vom Umsatz für 2001 in Höhe von 93,6 Millionen Euro lediglich 1,4 Prozent belegen zu können. Der angebliche Hauptgeschäftspartner, die Firma VT-Electronics in Hongkong, hat nach Erkenntnissen der Wirtschaftsprüfer und Ermittler nur auf dem Papier existiert. Am 15. April legte Schnabel, der seit Ende März in Untersuchungshaft sitzt, ein Geständnis ab. Aber die Hoffnung des Vorsitzenden Richters Wolf-Stefan Wiegand auf ein schnelles Prozeßende erfüllte sich nicht. Der größte Bilanzskandal des Neuen Marktes begann vor dem Landgericht München mit einem Paukenschlag: In einer 27 Seiten umfassenden Erklärung bestritt der 51 Jahre alte Diplomingenieur im wesentlichen die Vorwürfe, während die mitangeklagte Ehefrau Ingrid von ihrem Rechtsanwalt Wolfgang Dingfelder ein umfassendes Geständnis verlesen ließ.
"Die Umsätze waren nicht frei erfunden", sagte Schnabel. Im weiteren Verlauf räumte er lediglich ein, es sei ein Fehler gewesen, "vorgezogene Umsatzzahlen" veröffentlicht zu haben. Er beteuerte: "Ich wollte zu keinem Zeitpunkt jemanden betrügen." Den Hinweis des Richters, noch könne er das Strafmaß durch eine Kooperation günstig beeinflussen, ignorierte er ebenso wie weitere Fragen. "Mir geht es auch nicht gut", beschied er das Gericht. In der Erklärung der Ehefrau dagegen wird die Beihilfe zu den Delikten Kursbetrug, Insiderhandel und gewerbsmäßigen Betrugs eingeräumt. Ingrid Schnabel, die dem Unternehmen zunächst als Vorstandsvorsitzende und später als Mitglied im Aufsichtsrat diente, bedauerte ihr Verhalten, das sie auf eine Instrumentalisierung durch ihren Mann zurückführte. Auf Nachfrage des Richters zeichnete sie das Bild von einer Frau, die ohne jede Frage die Anweisungen ihres Mannes befolgte und keine Frage stellte. Von den Aufgaben eines Aufsichtsrats oder Vorstandes habe sie keine Vorstellung gehabt, sagte sie. "Tatsächlich stand das nur auf dem Papier. Mein Mann hat die Geschäfte geführt." In ihrer Zeit als Vorstandsvorsitzende und als Aufsichtsratsmitglied habe sie als Freiberuflerin "überwiegend von Zu Hause aus" gearbeitet.
Wenn der Prozeß am 20. November fortgesetzt wird, dürften weitere peinliche Enthüllungen über die Arbeitsweise des Unternehmens ans Licht kommen. Vor allem Wirtschaftsprüfer sehen den weiteren fünf Verhandlungstagen mit Spannung entgegen. Unfreiwillig im Mittelpunkt befinden dürfte sich bald die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG, die bis zum Frühjahr dieses Jahres die Comroad-Bilanzen testiert hatte. Bei seiner Vernehmung im April bereits hatte Bodo Schnabel zu Protokoll gegeben, er wundere sich selbst darüber, daß die Schwindeleien niemandem aufgefallen seien.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.11.2002, Nr. 266 / Seite 23