Anleger in der Globalisierungsfalle
Von Martin Hesse
Keine Katastrophe, keine Währungskrise, keine Firmenpleite – und doch fällt die Börse unaufhaltsam weiter. Wieder hat der Dax eine markante Marke unterschritten, wieder ist der Nemax-50 auf ein Rekordtief gefallen. Kein K.o.-Schlag, sondern viele kleine Stüber drücken die Kurse von Woche zu Woche mehr zu Boden. Den Investoren machen zwei Entwicklungen zu schaffen, die noch bis zum März 2000 ihre Euphorie entfachten und die Kurse in schwindelnde Höhen trieben: Globalisierung und High-Tech-Revolution.
Mitte der neunziger Jahre verhießen globale Märkte und technologische Neuerungen aufstrebenden Unternehmen ungeheure Möglichkeiten. Tatsächlich wuchsen viele Pionierunternehmen rasant und ließen vor allem die US-Wirtschaft prosperieren. Die Konsumlust der Amerikaner befruchtete wiederum die Konjunktur in Europa. Die Aktienkurse schnellten damals weltweit die Höhe – angeführt von Technologie- und Telekomwerten.
Heute stürzt die Aktie des größten europäischen Software-Hauses SAP ab, weil das US-Unternehmen Manugistics eine Gewinnwarnung ausgibt. Das Papier des mächtigen Siemens-Konzerns wird von Tag zu Tag leichter, weil Telekom- Ausrüster und Chip-Hersteller von Paris bis Palo Alto düstere Prognosen verbreiten. Die Reaktion der Börsen zeigt, dass die Anleger zu begreifen beginnen, dass Globalisierung und technischer Fortschritt auch einen Abschwung beschleunigen können. Pioniergewinne rufen heute international Nachahmer auf den Plan, technologische Neuerungen sind aber auch rascher veraltet als noch vor zehn Jahren. Die Unternehmensgewinne werden daher noch eine Weile schrumpfen, manche Firmen vom Markt verschwinden.
Die Börsen spiegeln diesen Bereinigungsprozess wider und die Angst vor einer globalen Rezession. Daher ist der Abschwung an der Börse – so bitter er für den Einzelnen sein mag – gerechtfertigt. Noch immer sind die Bewertungen von High-Tech-Firmen im Durchschnitt sehr hoch. Nicht der Kursverfall ist übertrieben, der vorherige Aufschwung war es – wenngleich einzelne Unternehmen jetzt wohl zu unrecht abgestraft werden. Der technische Fortschritt ist deswegen nicht zu Ende, ebenso wenig wie die Globalisierung. Wenn absehbar wird, wer den aktuellen Ausleseprozess überlebt, werden die Investoren erneut zugreifen – weltweit, und vorzugsweise dort, wo Pionierunternehmer großes Wachstum versprechen. Und wieder werden alle zusammen die Kurse in übertriebene Höhen jagen. Fortsetzung folgt.
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Gruss
V2000