KRISENGEWINNER DELL
Schlanker, größer, schneller
Während die gesamte PC-Industrie unter rückläufigen Verkaufszahlen leidet, legt Michael Dell weiter zu und nimmt der Konkurrenz Marktanteile ab. Neben einem krisenfesten Geschäftsmodell profitiert der Texaner von der unfreiwilligen Schützenhilfe durch Hewlett-Packard und Compaq.
Hamburg – Schöngerechnete Pro-Forma-Gewinne galten bis vor kurzem als Spezialität windiger Internetklitschen. Nie hätte es ein Mitglied der im Dow Jones Industrials notierten Elite der amerikanischen Aktiengesellschaften gewagt, bei den Ergebniszahlen zu mogeln. Die Zeiten ändern sich. Carly Fiorina, die glücklose Chefin des Traditionsunternehmens Hewlett-Packard (HP), präsentierte der Börse unlängst einen Quartalsgewinn von 19 Cent je Aktie. Erreichen konnte HP dieses gute Ergebnis aber nur, weil Fiorina unter anderem einen Sonderaufwand von 282 Millionen Dollar für den Abbau von 6000 Arbeitsplätzen einfach aus ihrer Rechnung ausgeklammerte.
Die fetten Jahre sind vorbei. Lange konnte die PC-Industrie Wachstumsraten von 15 Prozent verbuchen. Inzwischen gehen die Absätze deutlich zurück. Im dritten Quartal sank die Zahl der verkauften PCs dem amerikanischen Marktforschungsinstitut Gartner Dataquest zufolge weltweit gegenüber dem Vergleichsquartal des Vorjahres um 11,6 Prozent. Alle Granden der Branche verkauften weniger Geräte. Bis auf Dell. Die Texaner können es sich noch leisten, der Wall Street Kennzahlen ohne Haken und Ösen vorzulegen: Während der Absatz bei HP um ein Viertel und bei Compaq fast um ein Drittel zurückging, konnte Dell Marktanteile hinzugewinnen.
Die PC-Revolution entlässt ihre Kinder
Umsonst sind diese wachsenden Marktanteile jedoch nicht zu haben. Dell hat im vergangenen Quartal das Kunststück vollbracht, mehr PCs und Server zu verkaufen, dabei aber weniger Umsatz zu machen. Bei den PCs konnte Dell den Absatz innerhalb von zwölf Monaten um zehn Prozent steigern. Der Umsatz ging jedoch im gleichen Zeitraum um 9,6 Prozent zurück.
Schuld ist der Preiskrieg, der die Margen für Computer-Hardware auf immer neue Tiefststände drückt. Eine Besserung ist nicht in Sicht. "Die Preise werden nicht wieder steigen", prognostiziert Brian Gammage, PC-Analyst bei Gartner Dataquest. "Nie wieder." Denn der PC, so Gammage, sei endgültig zum austauschbaren Massenprodukt geworden. Aller Hersteller haben Verkaufsprogramme wie "Top Value" (Hewlett-Packard), "Top Seller" (IBM) oder "Value for you" (Fujitsu-Siemens) aufgelegt. Nicht nur die Slogans klingen irgendwie alle gleich, auch die Produkte sind dieselben. Unterschiede gibt es bestenfalls bei der Farbe der Verschalung - die Komponenten im Innern kommen bei den Billig-PCs ohnehin von einigen wenigen asiatischen Herstellern, die Komponenten an alle großen Markenfirmen liefern.
An dem Einheitsbrei ist die Branche nicht ganz unschuldig. Alle Unternehmen fahren ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) seit Jahren kontinuierlich zurück. Das Beratungsunternehmen Deloitte Consulting hat errechnet, dass die PC-Branche derzeit 4,7 Prozent ihres Umsatzes für F&E ausgibt, nicht einmal halb soviel wie noch vor zehn Jahren. Die ohnehin mageren Entwicklungsausgaben werden hauptsächlich für Neuerungen in den Bereichen Server und Laptops eingesetzt, nicht für PCs. Auch im Bereich F&E hält Dell den Sparrekord. Die Texaner gaben in der Vergangenheit durchschnittlich nur dürftige 1,5 Prozent für die Forschung aus.
Ein krisenfestes Geschäftsmodell
In einer Phase, wo die Hersteller ihren Kunden die PCs hinterherschmeißen müssen, erweist sich Dells Geschäftsmodell aus zwei Gründen als das beste. Zum einen haben die Texaner die geringsten Fixkosten. Dell-Rechner gibt es nur über das Internet, mit dem Einzelhandel haben die Amerikaner nichts zu tun. Erst wenn ein Kunde einen Rechner bestellt hat, werden die Komponenten bei Dells Zulieferern bestellt und der Rechner zusammengebaut. Andere Branchengrößen wie Compaq oder IBM müssen größere Kontingente an montierten Rechnern vorhalten. Die liegen derzeit unverkauft im Lager und schmälern den Gewinn.
Dells zweiter Vorteil: "Das Unternehmen weiß, wer seine Kunden sind", so Analyst Gammage. Während anderen PC-Firmen wegen des Vertriebs über den Einzelhandel der direkte Kontakt zum Kunden fehlt, verfügt Dell durch sein Internetkonzept über einen direkten Zugang zu seinen Käufern. Die Texaner können ihre Kunden anrufen und versuchen, ihnen Rechner oder Service zu verkaufen. Compaq oder HP haben diese Möglichkeit nicht und können Privatkunden höchstens über Werbung zum Kauf animieren - ein schon wegen der Austauschbarkeit der Produkte relativ hoffnungsloses Unterfangen.
Wenn zwei fusionieren, freut sich der Dritte
Zu den strukturellen Vorteilen kommt die geplante Fusion von HP und Compaq, die sich als verfrühtes Weihnachtsgeschenk für Michael Dell erweist. Der Zusammenschluss, gegen den die HP-Gründerfamilien Hewlett und Packard öffentlich Front machen, entwickelt sich für HP-Chefin Fiorina immer mehr zum Alptraum. Bereits kurz nach Bekanntgabe der Fusionspläne hatte Compaq-Mitbegründer Rod Canion prognostiziert: "Jetzt werden alle auf Compaq rumtrampeln." Kräftig zugetreten hat zunächst die Wall Street: Compaqs Kurs ist seit der Ankündigung der Transaktion um 60 Prozent in die Tiefe gesaust. Auch HP fiel um 40 Prozent.
Viele Compaq-Kunden sind verunsichert. Sie befürchten, dass nach der Fusion viele Compaq-Produktlinien eingestellt werden - weil ähnliche Produkte bei HP bereits vorhanden sind. Dell-Deutschland-Chef Mathias Schädel bestätigt, dass die HP-Compaq-Fusion seinem Unternehmen die Kunden der Konkurrenz in die Arme treibt (siehe Interview). Ob und wann die Fusion vollzogen wird, ist noch unklar. Die Börse hat den Deal bereits abgeschrieben: Der Kurs der Compaq-Aktie liegt immer noch 25 Prozent unter dem Preis des Tauschangebots von HP. Bisher hat Fiorina noch nicht mal einen Termin für die Zustimmung ihrer Aktionäre festgelegt. Je länger sich das Drama hinzieht, umso vorteilhafter für Dell. In den vergangenen zwei Monaten hat der Branchenprimus vor allem Compaq Marktanteile bei PCs und Servern abnehmen können.
Am Grundproblem der Branche kommt allerdings auch Dell nicht vorbei: Die schwindenden Margen im PC-Geschäft fressen den Gewinn auf. Als Lösung gelten gemeinhin neue Einnahmequellen "Beyond the Box", also jenseits des Kerngeschäfts mit der Hardware. "Alle Hersteller bieten inzwischen beispielsweise gegen Aufpreis eine längere Garantie auf ihre Produkte an", so Gammage von Gartner. Zudem versucht Dell mit Erfolg, stärker im Server-Markt Fuß zu fassen, wo neben der Hardware immer auch Service mitverkauft wird. "Die Frage ist, ob Dell Service anbieten und gleichzeitig schlank bleiben kann", sagt Gammage. Sollte es den Texanern gelingen, ihre vorteilhafte Kostenstruktur dauerhaft auf den Servicebereich zu übertragen, sind sie vermutlich kaum zu stoppen.
Quelle: Der Spiegel