Definition: Der Fundo-Chartist

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Definition: Der Fundo-Chartist

 
14.04.06 12:12
Definition: Der "Fundo-Chartist".


Dieses Wort hab ich mir heute morgen ausgedacht. Es soll eine Klasse von Aktien-Gurus bzw. Tippgebern beschreiben, die bei Höchstständen ultra-optimistisch sind ("buy, buy, buy!") und tausend fundamentale Argumente FÜR die Höchststände sowie weiteren Anstieg anführen, während sie bei Tiefstständen mega-bärisch werden und tausend - ebenfalls fundamentale - Gründe nennen, warum man die betroffenen Werte auf jeden Fall meiden sollte ("sell, sell, sell!") und warum sie garantiert noch weiter fallen werden.

Fundo-Chartisten sind ihrer Natur nach Trendfolger (sprich: Chartisten), "verkaufen" sich aber als Fundamentalisten, da sie nicht die Kursanstiege als Kaufgrund nennen, sondern die verbesserten Rahmendaten (Wachstum usw.). Ebenso führen sie als Verkaufsargumente bei gefallenen Engeln nicht den Chart, sondern die "drastisch verschlechterten Rahmendaten" an. Recht haben sie insofern, als (normalerweise) keine Aktie stark fällt, ohne dass es fundamentale Gründe dafür gäbe.

Fundo-Chartisten sind an der Wall Street sehr verbreitet und unter den "large Specs" häufig anzutreffen. Auch fast alle Analysten zählen dazu, denn auch die neigen bei der Beurteilung von Aktien häufig zur "Sinngebung post festum": Upgrades zwei Tage NACHDEM die Gewinnsteigerung verkündet wurde (und die Aktie bereits stark gestiegen ist). Downgrades zwei Tage NACH der Gewinnwarnung (wenn die Aktie bereits im Keller ist).

Es versteht sich von selbst, dass Erwin Kleinanleger (E.K.) mit den Empfehlungen dieser Fundo-Chartisten kein Geld verdienen kann. Folgt er ihnen aufs Wort, kauft er teuer und verkauft billig. Er wird so zum Schlachtvieh von Leuten, die es besser wissen - und shorten, wenn E.K. long ist bzw. long gehen wenn E.K. verkauft.



Zurück zu den Fundo-Chartisten: Eine der schillernsten Figuren in dieser Clown-Manege ist James J. Cramer, Mitgründer und prominenter Tipp-Geber der US-Börsendienste "TheStreet.com" (gratis) bzw. den dazugehörigen kostenpflichtigen Ablegern "Realmoney" (für Individual-Anleger, 25 Dollar im Monat) und "Street inside" (für Hedgefonds, 2000 Dollar Gebühr im Monat).

Cramer verdiente in den Boom-Jahren von 1982 bis 2000 als Co-Manager des Hedgefonds "Cramer-Berkowitz" viele Millionen. Wie seine Autobiographie "Confessions of a street addict" (was auf Deutsch heißt: Bekenntnisse eines Börsensüchtigen) verrät, kamen viele der entscheidenden Moves, die ihm - z. B. in der Asienkrise 1998 - den Kopf retteten, aber nicht von ihm selber, sondern von seiner Frau Karen, einer ehemalige Traderin bei Goldman Sachs. Cramer nennt sie wegen ihrer nachweislich glücklichen Hand die "Trading Goddess" (Trading-Göttin). Karen handelt im Gegensatz zu Cramer oft "antizyklisch": Als Cramers Hedgefond am Tief der Asienkrise 1998 das Wasser bis zum Hals stand, hatte sie ganz "cool" auf Kredit zugekauft und in der nachfolgenden Erholung wieder abverkauft - was dem Hedgefond, der zu der Zeit unter einer hohen Rate an "Redemptions" (Kündigungen) litt, das Überleben rettete. Den Großtaten seiner Frau verdankt Cramer letztlich seinen guten Ruf - zu Unrecht, denn er wollte im Herbst 1998, als sein Frau zukaufte, lieber alles verkaufen und die Pleite akzeptieren. Auch da war er - wieder mal - prozyklisch.

Zudem hatte Cramer das Glück, dass seine Zeit als aktiver Hedgefond-Manager in die Boom-Zeiten von 1982 bis 2000 fiel. Das war die große Zeit, als Rückschläge stets "Kaufgelegenheiten" waren. Lag man falsch, konnte man dies fast immer aussitzen, denn "a rising tide lifts all boats" (eine steigende Flut hebt alle Schiffe).

Cramers Erfolgs-Rezepte aus der damaligen Zeit taugen heute freilich wenig, wie der Niedergang der einstigen Dot.com- und Tech-Highflyer seit 2000 drastisch vor Augen führt.

Wie auch immer: Cramer ist in USA äußerst populär und hat mehrere TV- und Radio-Show (von denen eine bezeichnenderweise "Mad money" heißt), in denen er emotional aufgeladen und mit bizarren Echo-Effekten im Hintergrund seine "Round-ups" zu Käufen und Verkäufen zum Besten gibt. Millionen folgen ihm noch immer. Empfiehlt er eine Aktie, steigt sie zumindest einige Tage lang - und umgekehrt.



Hier einige der zahlreichen Fehltritte Cramers aus teils jüngster Zeit:

Als JSD Uniphase (JDSU) vor zwei Jahren bei 1,40 USD stand, riet er zum Verkauf (siehe mein JDSU-Thread). Heute, bei 3,68 USD, rät er zum Kauf.

Als Philip Morris (MO) im März 2000 bei 19 Dollar stand, riet er zum Verkauf, weil die Pleite auf Grund der Tabakklagen "unausweichlich" sei. Ende letzten Jahres bei 75 Dollar riet er zum Kauf. Heute, bei 58 Dollar, wird er wieder skeptischer, angeblich, "weil der steigende Dollar die Auslands-Gewinne schmälert".

Als Pfizer im Dezember bei 20,30 USD stand, sprach er geradezu hysterische Verkaufs-Empfehlungen aus: "You can't own a stock that is going down every day". Daher: "Sell, sell, sell!" - das sagte er WÖRTLICH. Vier Monate später stand Pfizer wieder bei 26 USD.



Sehen wir uns mit diesem Vorwissen mal an, was Cramer zum aktuellen Duell Intel vs. AMD zu sagen hat.

Als AMD vor zwei Monaten bei 44 Dollar stand - auf Höchstkurs - riet Fundo-Chartist Cramer mal wieder "buy, buy, buy" - load up the truck". Als Begründung nannte er den populären Gemeinplatz, AMD würde Intel ausbooten und durch Entzug von Marktanteilen fertig machen. Es war die Zeit, als andere Analysten sogar empfohlen, Intel zu shorten (Intel stand zu der Zeit auf 20 Dollar) und von den Short-Verkaufserlösen AMD zu kaufen.

Wer dem folgte, verlor einen Haufen Geld: Gestern stürzte AMD nach vermeintlich "guten Zahlen" um 10 % ab, da der Ausblick wegen wachsendem Druck Intels sank (siehe mein Intel-Thread). Cramers vor zwei Monaten gekaufte Long-Position in AMD - die Aktie schloss gestern bei 31,80 USD - verlor seitdem satte 12,20 USD. Der im Gegenzug gekaufte Intel-Short hingegen - Intel schloss gestern bei 19,49 USD - erwirtschaftete magere 0,51 USD. Bilanz: minus 11,69 USD pro AMD-Aktie - bzw. ein Minus 27 Prozent in zwei Monaten.



Wie geht Cramer mit dieser Fehlentscheidung um? Nach bewährtem Muster: AMD sei jetzt eine "schreiende Kaufgelegenheit" (= Patent-Rezept der Boom-Jahre)

Wörtlich sagte Cramer gestern abend in seiner Radio-Show "Mad Money":
(Auszug aus: www.thestreet.com/pf/funds/madmoneywrap/10279295.html )

...The tides are turning in the semiconductors war, said Cramer. Although conventional wisdom says that Advanced Micro Devices (AMD:NYSE) has had a great run and that Intel  (INTC:Nasdaq) would mount a comeback, "the conventional wisdom couldn't be more wrong."

Cramer said that investors now have an entry point to buy AMD, as the company has been making a serious comeback even though it is still despised (= verschmäht).

People are prejudiced and aren't capable of thinking that Intel might lose to AMD, but "Intel doesn't have the essential qualities that make it better than AMD," he said.

AMD needs to take more market share from Intel -- and they will, Cramer said. They're targeting 30% of the processor market, and Cramer said they will get it.



Das Ziel, 30 % Marktanteil des PC-Marktes auf Kosten Intels erobern zu wollen, hat das AMD-Management bei der gestrigen Konferenz zu den Quartals-Zahlen tatsächlich genannt. Doch auf Fragen, wie es sich dies angesichts der Preissenkungen Intels, Intels Kostenvorteilen in der 65-Nanometer-Fertigung sowie Intels kommender Core-Serie (die 20 % schneller ist als AMD-Prozessoren, aber 10 % weniger Leistung verbrät -> siehe Intel-Thread) praktisch vorstellt, wussten die Herren von AMD nicht Gescheites zu antworten.

Genau das ist der Grund, warum AMD gestern um 10,2 Prozent fiel, während Intel um 1,8 % zulegte.

Und Cramer wird mal wieder, wie meistens, falsch liegen. Auch auf längere Sicht.




P.S. Dieses "Osterei" wollte ich vor meinem Urlaub (2 Wo.) ab Sonntag noch schnell legen.
Anti Lemming:

Korrektur

 
14.04.06 13:54
Der aktuelle Kurs von Altria/Philip Morris (MO) ist 69 Dollar.
Anti Lemming:

Frohe Ostern!

 
15.04.06 10:52
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