DAS ORAKEL VON DELPHI UND DIE MÄRKTE

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DarkKnight:

DAS ORAKEL VON DELPHI UND DIE MÄRKTE

 
30.01.01 10:49
Ein sehr gelungener Kommentar aus der heutigen BZ, nur zur Info:

Pythia hatte es leichter. Wenn Apollos Priesterin in Delphi auf dem goldenen Dreibein sitzend aus aufsteigenden Dämpfen ihre Weissagungen gab, dann durfte sie in Rätseln sprechen. Verantwortlich für die richtige Interpretation waren die Ratsuchenden. Analysten dagegen dürfen weder in Rätseln sprechen, noch können sie sich mit dem Hinweis auf eine falsche Interpretation ihrer Analysen herausreden. Das Orakel hätte sich noch mit einem Spruch wie "Mit EM.TV werden große Reichtümer gewonnen" aus der Affäre ziehen können (um später zu behaupten, man habe die Brüder Haffa gemeint und folglich Recht gehabt), Analysten dagegen müssen konkret werden: kaufen, halten, verkaufen.
Weil die "Halbgötter" des Aktienmarktes die Zukunft aber ebenso wenig voraussagen können wie einst das Orakel, geraten sie regelmäßig in die Schlagzeilen, wenn die Märkte überraschend drehen. Das war vor wenigen Jahren so, als die Asienkrise alle professionellen Auguren einschließlich der Ratinggesellschaften auf dem falschen Fuß erwischte, und das war jetzt so, als die Internet-Blase platzte. Timothy Plaut von Goldman Sachs, als Analyst einer der Besten seiner Zunft, hat dazu selbstkritisch angemerkt: "Ein Analyst ist nur dann sein Geld wert, wenn er heraufziehende Stürme und verborgene Wracks voraussieht". Nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres wäre den meisten Aktienanalysten das Gehalt zu streichen.
Deshalb aber eine Grundsatzdebatte über den Analystenberuf loszutreten (beinahe so, als ob von ihm eine öffentliche Gefahr ausginge), ist typisch deutsch - erstens Suche nach einem Schuldigen und zweitens Ruf nach dem Gesetzgeber. Letzterer lässt sich bekanntlich nicht lange bitten, wenn es "Regelungsbedarf" gibt.

Das Bundeswirtschaftsministerium hat einen Ehrenkodex für Analysten in die Diskussion gebracht, ähnlich wie die Standesregeln in anderen freien Berufen. Mal davon abgesehen, dass das Gros der Analysten nicht freiberuflich, sondern fest angestellt tätig ist und gerade in diesem Anstellungsverhältnis Zündstoff steckt, ist die Idee eines Kodex für Analysten weder neu noch verkehrt.
Leider geht die Diskussion am eigentlichen Problem vorbei. Zunächst muss unterschieden werden zwischen der persönlichen Integrität und der beruflichen Interessengebundenheit. Die Frage der persönlichen Integrität, wie beispielsweise der Ausschluss von Insidergeschäften und von Frontrunning, ist nicht auf Analysten beschränkt und muss generell durch entsprechende Compliance-Regeln beantwortet werden. Zweitens muss man sich darüber klar werden, um welche Art von Analysten sich die aktuelle Debatte dreht. Es ist zwischen Buy-Side- und Sell-Side-Analysten zu differenzieren. Buy-Side-Analysten werden für ihre professionellen Auftraggeber tätig und oft auch auftragsgebunden honoriert. Die Ergebnisse ihrer Analysen gelangen kaum an die Öffentlichkeit und sind folglich nicht Gegenstand der gegenwärtig geführten Diskussion.
Demgegenüber ist Sell-Side-Research darauf gerichtet, Transaktionen am Kapitalmarkt auszulösen und dem Auftraggeber des Research daraus Erträge zu verschaffen. Die Außenwirkung ist hier unverzichtbares Element. Damit kommen die Medien ins Spiel. Sie sorgen für die nötigen Multiplikatoreffekte. Mit dem Boom des Aktiensparens und des Neuen Marktes ist die Nachfrage nach Anlageinformationen explodiert. Anlegermagazine, aber auch Tageszeitungen drucken unreflektiert seitenweise Aktientipps und Analystenschätzungen. Dass das Angebot bei einer solchen Nachfrageausweitung qualitativ nicht mithalten konnte, liegt in der Logik der Dinge. Vor allem: Qualitätsmängel wurden nicht bemerkt. Solange die Aktienmärkte haussierten, konnte man mit Kaufempfehlungen ja auch nichts falsch machen. Und Verkaufsempfehlungen gibt es ohnedies ganz selten, weil damit der angesprochene Investorenkreis zwangsläufig stark eingeengt wird.
Das Dilemma der Analysten war offenkundig: Eine neue Studie war kaum durch den Fax-Verteiler, da hatte die Marktrealität selbst Kursziele schon Geschichte werden lassen. Viele Sell-Side-Analysten ließen sich vom Fieber der Märkte anstecken, degenerierten zur Marketingtruppe des IPO-Geschäfts. Sie erlagen der Einflüsterung aus den Konsortialabteilungen ihrer Häuser, dass bewährte Analyseansätze wie die Discounted-Cash-flow-Methode für die New Economy nicht mehr taugten. Sie rechtfertigten die eigene, fundamental nicht mehr zu unterlegende Einschätzung mit nicht weniger dürftigen Analysen ihrer Kollegen, indem sie Bewertungen aus so genannten Peer Groups ableiteten.
Solche Fehlentwicklungen sind weder durch berufsständischen Kodex noch durch bessere Ausbildung zu vermeiden. Beides ist zwar wichtig, lenkt aber vom eigentlichen Problem ab. Was Not tut, ist Transparenz. Es muss klar sein, dass Analysten, wenn sie an die Öffentlichkeit treten, damit einen ganz bestimmten Zweck verfolgen: das Geschäft ihres Arbeitgebers und die eigene Karriere zu befördern. Beides hängt eng zusammen. Keine Bank hält sich teure Analysten zum Hobby. Die viel zitierten "Chinese Walls" sind durchlässig wie die Erdspalten vor dem Tempel in Delphi. Auch mit dem Orakel wurde bekanntlich Politik gemacht. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Mär von der Unabhängigkeit der Analysten nicht mehr verbreitet und auf potenzielle Interessenkonflikte hingewiesen würde.

Bronco:

Wohlfahrtspolitik verträgt sich nicht mit der

 
30.01.01 11:05
letzten Bastion des ungezügelten Kapitalismus, der Börse. Wer sich unter Haie begibt, muß damit rechnen, gefresssen zu werden. Geborgenheit, Menschlichkeit, Fairness, ... sind alles Begriffe, die mit Börse unvereinbar sind. Jeder muß auf seinen A.... selber aufpassen. Das Gesetz kann nur versuchen, vor Betrug zu schützen, nicht aber vor geschickter PR. So simpel ist das.
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