Wie solide sind die Gewinne amerikanischer Unternehmen?
An den Börsen steigen die Kurse. Manche Indizes stehen vor neuen Rekordhochs. Auch der amerikanische Dow Jones. Sollte er tatsächlich nach oben ausbrechen, könnte das in einem optimistischen Umfeld mit fallenden Renditen an den Rentenmärkten und einer traditionell starken saisonalen Phase zu einer Jahresendrally führen.
So läßt sich zumindest die technische Vorlage beschreiben. Ob sich die Entwicklung fundamental begründen läßt oder nicht, ist nicht entscheidend. Sicher ist, daß es selten sonderlich lohnend ist, sich als Anleger gegen den Markt zu stellen.
Gewinnqualität läßt sich vielfach hinterfragen
Dabei gäbe es genügend Gründe. Einmal sind es die Hinweise auf das sich abschwächende amerikanische Wachstum, das sehr wahrscheinlich bald auch die Gewinnentwicklung der Unternehmen bremsen wird. Zum anderen läßt sich gerade in den Vereinigten Staaten oft auch die Gewinnqualität kritisch hinterfragen.
Immerhin haben selbst große, bekannte Unternehmen wie General Electric in der weiteren Vergangenheit nicht gezögert ihre Gewinn buchtechnisch „nach oben zu pflegen“. Der in den vergangenen Monaten immer deutlicher zum Vorschein gekommene Aktienoptionsskandal dürfte das Vertrauen in die Unternehmensbilanzen auch nicht gerade stärken.
Viele Firmen sträuben sich bis heute, sie vernünftig in den Bilanzen auszuweisen. Auf diese Weise wurden die Kosten deutlich unter- und die Gewinne ebenso deutlich überschätzt. Immerhin wurden auf diese Weise viele der gerne als so positiv bewerteten Aktienrückkäufe (siehe auch: Aktienrückkäufe - Anleger werden oft veräppelt) nötig, um die Verwässerung der Kapitalbasis zu korrigieren. Das ist jedoch nicht alles. Denn einige hatten den Zeitpunkt für die Gewährung von Aktienoptionen auch zeitlich so geschickt rückdatiert und damit den Führungskräften Aktien unterhalb des Marktpreises zugeteilt, daß die Aktionäre auf diese Weise zusätzlich geschädigt wurden.
Die amerikanische Börsenaufsicht SEC und das amerikanische Justizministerium ermitteln längst. Bei über zwei Drittel der 117 Unternehmen, die bis 31. August Ermittlungen über ihre Optionsgewährung bekannt gaben, ist der Aktienkurs nach Bekanntgabe gefallen. Einzelne Unternehmen wie beispielsweise Vitesse Semiconductor mußten in den vergangenen Wochen Kursverluste von bis zu 80 Prozent ihres Werts hinnehmen. Auch andere Aktien verloren zunächst an Wert.
Außer Kursverlusten müssen sich etwa 70 Unternehmen, darunter Apple Computer und Home Depot, auf 220 Aktionärsklagen gefaßt machen. Mehr als 20 Manager hat der Optionsskandal bislang den Job gekostet, darunter Gregory Reyes, ehemals Vorstandsvorsitzender bei Brocade Communications Systems. Fünf früheren Vorstandsmitgliedern droht eine strafrechtliche Anklage. Mindestens 19 Gesellschaften, auch Broadcom und Applied Micro Circuits, haben bereits den Gewinn um insgesamt 2,5 Milliarden Dollar korrigiert. Über 30 Unternehmen haben angekündigt, es dürfte zu Gewinnkorrekturen kommen.
Ergebnisqualität hat sich in den vergangenen Jahren verschlechtert
Das sollte Anlegern eigentlich zu denken geben. Allerdings schocken die Enthüllungen die Investoren inzwischen offenbar nicht mehr so stark. Unternehmen, die spät mit der „Wahrheit“ herausrücken, scheinen an der Börse nicht mehr oder kaum noch „abgestraft“ zu werden.
Dabei gibt es auch andere Untersuchungen, die bedenklich stimmen können. So hat Ben Inker von GMO in Boston die Ergebnisqualität der amerikanischen Unternehmen in der Vergangenheit untersucht und dabei eine bedenkliche Verschlechterung festgestellt. So sei man im Laufe der Zeit nicht nur davon abgekommen, Nettoergebnisse zu berichten, sondern man habe die operativen Ergebnisse auch noch geschönt.
Das führt automatisch dazu, daß Aktien optisch günstiger aussehen, als sie es tatsächlich sind. Aus diesem Grund geht blicken Analysten und Strategen auch gerne auch optimistische Gewinnschätzungen, wenn es um das Ausloten von Kursrisiken oder -potentialen geht. Das heißt, die Zitate „die Börsen sind günstig“ sollten alleine schon aus diesem Grund mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden.
Die schleichende Verschlechterung der berichteten Ergebnisse in den vergangenen Jahren führt jedoch noch zu einem weiteren Problem. Denn sie führt dazu, daß die aktuellen Daten mit historischen nicht ohne weiteres vergleichbar sind. Durchschnittsrechnungen auf dieser Basis führen zu einem geschönten Bild. Die einzig vernünftige Vergleichsbasis beruhe auf den nachlaufenden Nettoergebnissen der S&P-500-Werte. Und auf dieser Basis sind amerikanische Aktien trotz der zuletzt steigenden Kurse alles andere als günstig.
Die in dem Beitrag geäußerte Einschätzung gibt die Meinung des Autors und nicht die der F.A.Z.-Redaktion wieder.