Reformen: Es geht um alles oder nichts
Börsianer stehen am Scheideweg - Politik bestimmt die Zusammensetzung des Portfolios
Berlin - Die Geschichte der Bundesrepublik teilt sich in zwei Epochen: vor der Bayernwahl und nach der Bayernwahl. Uneinigkeit herrscht freilich bei den Börsianern darüber, ob nach dem sensationellen Urnengang vom 21. September alles besser oder schlechter wird.
Die Finanzwelt spaltet sich in zwei Lager: Nach Ansicht der einen werden mit der deutlich erstarkten Opposition für den Rest der Legislaturperiode keine ernsthaften Reformen mehr möglich sein. Dagegen rechnen die andern, dass es nach der Stoiber-Wahl zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition kommen wird. Schließlich sei der Wahlkampf vorbei und es gäbe keine Gründe mehr für eine Blockadehaltung. Klar für alle ist: Nach der Bayernwahl geht es für die deutsche Volkswirtschaft um alles oder nichts. Und auch für die Börsianer steht viel auf dem Spiel. Sie müssen ihr Portfolio dem Reformeifer der Regierung anpassen.
Zum Schwur wird es noch in diesem Jahr kommen. Denn 2004 stehen 13 Wahlen auf der Agenda. Was bis dahin nicht durchgepeitscht ist, dürfte im Dauerwahlkampf zerrieben werden. Sollte die Wirtschaft aber wegen unvollständiger Reformen nicht in Gang kommen und der Dax seinen Kanzlermalus nicht abstreifen können, hat Schröder keine Chance auf eine dritte Amtszeit.
Auf die Reformkarte setzen die beiden Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley. Beide vertrauen darauf, dass das für die Finanzmärkte wichtige Vorziehen der Steuerreform von 2005 auf 2004 auch von der Opposition im Bundesrat mitgetragen wird. "Stoiber hat im Wahlkampf klar gemacht, dass er für niedrigere Abgaben ist. Nach seinem historischen Sieg spricht alles dafür, dass sich der CSU-Vorsitzende in der Union durchsetzt und die Steuerreform Gesetzeskraft erlangt", sagt Elga Bartsch, Ökonomin bei Morgan Stanley. Eine Blockadehaltung über die restliche Legislaturperiode von drei Jahren könne sich die Opposition gar nicht leisten. "Der alte Ansatz von Oskar Lafontaine, durch eine Obstruktionspolitik die Macht zu ergreifen, geht heute nicht mehr auf", sagt Bartsch. Sie hat kürzlich bereits mit Blick auf die Verabschiedung der Steuerreform ihre Wachstumsprognosen für Deutschland von 1,7 auf 2,1 Prozent nach oben genommen.
Ähnlich positiv ist Goldman-Volkswirt Dirk Schumacher gestimmt. "Gerade die Bayernwahl hat gezeigt, dass die Reformanstrengungen der SPD beim Wahlvolk nicht gewürdigt wurden. Die Union braucht damit nicht zu fürchten, dass sie Stimmen an die SPD verliert, wenn sie die Veränderungen mitträgt." Zwar werde der Großteil der Steuerreform gegenfinanziert, so dass von den Abgabenerleichterungen von 20 Mrd. Euro beim Konsumenten höchstens vier Mrd. Euro im Portemonnaie ankämen. Es zähle jedoch der psychologische Faktor. Schumacher verweist auf die erste Stufe der Steuerreform. Nach In-Kraft-Treten schnellte der private Konsum im ersten Halbjahr 2001 auf 1,6 Prozent in die Höhe. Noch im zweiten Halbjahr 2000 waren die Ausgaben gerade einmal um 0,4 Prozent gewachsen. Bereits seit Sommer stehe Deutschland bei internationalen Anlegern wieder höher im Kurs, was sich auch in der Dax-Outperformance seit Ankündigung der Agenda 2010 spiegele.
Weniger optimistisch zeigt sich dagegen UBS-Ökonom Holger Fahrinkrug. "Wenn die Amerikaner im September hören, dass sie ab kommendem Jahr weniger Steuern zahlen müssen, haben sie schon im November das Doppelte der eigentlichen Entlastung ausgegeben. In Deutschland fahren die Konsumenten eher ihre Ersparnis nach oben, weil sie mit Belastungen für die Gegenfinanzierung rechnen." Nach Ansicht von Fahrinkrug dürfte es mit der erstarkten CSU nicht einfacher werden, die Reformen durchzubringen. Stoiber habe sich insbesondere gegen die Kürzung der Pendlerpauschale oder der Eigenheimförderung ausgesprochen. Ohne diese Gegenfinanzierung sei jedoch die Steuerreform einfach nicht zu machen. "Nach der Bayernwahl ist die Wahrscheinlichkeit für Reformen geschwunden", sagt Fahrinkrug. Die UBS-Analysten haben bereits reagiert. So stuften sie gestern auch mit Verweis auf die Fahrinkrug-Analyse den Konsumwert Douglas von "Kaufen" auf "Halten" zurück.
Tatsächlich müssen sich die Anleger jetzt entscheiden. Vertrauen sie darauf, dass das Reformtempo anzieht, sollten sie jenen Unternehmen den Vorzug geben, die ihre Geschäfte hauptsächlich im Inland machen. Dazu zählen insbesondere die Konsumwerte. Aber insgesamt dürfte der deutsche Aktienmarkt an Attraktivität gewinnen, sollten die Reformen durchkommen. "Die Folge wäre ein insgesamt höheres Potenzialwachstum. Und das würde eine höhere Bewertung für deutsche Aktien rechtfertigen", sagt Adolf Rosenstock, Stratege bei Nomura. Wer allerdings den Politkern nicht traut, sollte sein Glück lieber bei global agierenden Konzernen suchen. Holger Zschäpitz
Welt.de
Börsianer stehen am Scheideweg - Politik bestimmt die Zusammensetzung des Portfolios
Berlin - Die Geschichte der Bundesrepublik teilt sich in zwei Epochen: vor der Bayernwahl und nach der Bayernwahl. Uneinigkeit herrscht freilich bei den Börsianern darüber, ob nach dem sensationellen Urnengang vom 21. September alles besser oder schlechter wird.
Die Finanzwelt spaltet sich in zwei Lager: Nach Ansicht der einen werden mit der deutlich erstarkten Opposition für den Rest der Legislaturperiode keine ernsthaften Reformen mehr möglich sein. Dagegen rechnen die andern, dass es nach der Stoiber-Wahl zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition kommen wird. Schließlich sei der Wahlkampf vorbei und es gäbe keine Gründe mehr für eine Blockadehaltung. Klar für alle ist: Nach der Bayernwahl geht es für die deutsche Volkswirtschaft um alles oder nichts. Und auch für die Börsianer steht viel auf dem Spiel. Sie müssen ihr Portfolio dem Reformeifer der Regierung anpassen.
Zum Schwur wird es noch in diesem Jahr kommen. Denn 2004 stehen 13 Wahlen auf der Agenda. Was bis dahin nicht durchgepeitscht ist, dürfte im Dauerwahlkampf zerrieben werden. Sollte die Wirtschaft aber wegen unvollständiger Reformen nicht in Gang kommen und der Dax seinen Kanzlermalus nicht abstreifen können, hat Schröder keine Chance auf eine dritte Amtszeit.
Auf die Reformkarte setzen die beiden Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley. Beide vertrauen darauf, dass das für die Finanzmärkte wichtige Vorziehen der Steuerreform von 2005 auf 2004 auch von der Opposition im Bundesrat mitgetragen wird. "Stoiber hat im Wahlkampf klar gemacht, dass er für niedrigere Abgaben ist. Nach seinem historischen Sieg spricht alles dafür, dass sich der CSU-Vorsitzende in der Union durchsetzt und die Steuerreform Gesetzeskraft erlangt", sagt Elga Bartsch, Ökonomin bei Morgan Stanley. Eine Blockadehaltung über die restliche Legislaturperiode von drei Jahren könne sich die Opposition gar nicht leisten. "Der alte Ansatz von Oskar Lafontaine, durch eine Obstruktionspolitik die Macht zu ergreifen, geht heute nicht mehr auf", sagt Bartsch. Sie hat kürzlich bereits mit Blick auf die Verabschiedung der Steuerreform ihre Wachstumsprognosen für Deutschland von 1,7 auf 2,1 Prozent nach oben genommen.
Ähnlich positiv ist Goldman-Volkswirt Dirk Schumacher gestimmt. "Gerade die Bayernwahl hat gezeigt, dass die Reformanstrengungen der SPD beim Wahlvolk nicht gewürdigt wurden. Die Union braucht damit nicht zu fürchten, dass sie Stimmen an die SPD verliert, wenn sie die Veränderungen mitträgt." Zwar werde der Großteil der Steuerreform gegenfinanziert, so dass von den Abgabenerleichterungen von 20 Mrd. Euro beim Konsumenten höchstens vier Mrd. Euro im Portemonnaie ankämen. Es zähle jedoch der psychologische Faktor. Schumacher verweist auf die erste Stufe der Steuerreform. Nach In-Kraft-Treten schnellte der private Konsum im ersten Halbjahr 2001 auf 1,6 Prozent in die Höhe. Noch im zweiten Halbjahr 2000 waren die Ausgaben gerade einmal um 0,4 Prozent gewachsen. Bereits seit Sommer stehe Deutschland bei internationalen Anlegern wieder höher im Kurs, was sich auch in der Dax-Outperformance seit Ankündigung der Agenda 2010 spiegele.
Weniger optimistisch zeigt sich dagegen UBS-Ökonom Holger Fahrinkrug. "Wenn die Amerikaner im September hören, dass sie ab kommendem Jahr weniger Steuern zahlen müssen, haben sie schon im November das Doppelte der eigentlichen Entlastung ausgegeben. In Deutschland fahren die Konsumenten eher ihre Ersparnis nach oben, weil sie mit Belastungen für die Gegenfinanzierung rechnen." Nach Ansicht von Fahrinkrug dürfte es mit der erstarkten CSU nicht einfacher werden, die Reformen durchzubringen. Stoiber habe sich insbesondere gegen die Kürzung der Pendlerpauschale oder der Eigenheimförderung ausgesprochen. Ohne diese Gegenfinanzierung sei jedoch die Steuerreform einfach nicht zu machen. "Nach der Bayernwahl ist die Wahrscheinlichkeit für Reformen geschwunden", sagt Fahrinkrug. Die UBS-Analysten haben bereits reagiert. So stuften sie gestern auch mit Verweis auf die Fahrinkrug-Analyse den Konsumwert Douglas von "Kaufen" auf "Halten" zurück.
Tatsächlich müssen sich die Anleger jetzt entscheiden. Vertrauen sie darauf, dass das Reformtempo anzieht, sollten sie jenen Unternehmen den Vorzug geben, die ihre Geschäfte hauptsächlich im Inland machen. Dazu zählen insbesondere die Konsumwerte. Aber insgesamt dürfte der deutsche Aktienmarkt an Attraktivität gewinnen, sollten die Reformen durchkommen. "Die Folge wäre ein insgesamt höheres Potenzialwachstum. Und das würde eine höhere Bewertung für deutsche Aktien rechtfertigen", sagt Adolf Rosenstock, Stratege bei Nomura. Wer allerdings den Politkern nicht traut, sollte sein Glück lieber bei global agierenden Konzernen suchen. Holger Zschäpitz
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