Wer Deutschlands Aktien meidet, könnte einige der besten Chancen der Welt verpassen
Blick auf den Dax lohnt sich wieder
Von M.R. Sesit und S. Ascarelli, WSJE
Wie ernst ist die „deutsche Krankheit“ wirklich? Es sieht nicht gut aus: Der Deutsche Aktienindex (Dax) hat in diesem Jahr die Hälfte an Wert eingebüßt. Keine andere führende Börse der Welt wurde derart abgestraft. Europäische Aktienmärkte verloren „nur“ gut 35 %.
HB LONDON. Mickrige Wachstumszahlen in diesem Jahr veranlassen die Volkswirte dazu, ihre Prognosen für Deutschland weiter herunterzuschrauben. Die Pessimisten gehen für dieses Jahr von einem Zuwachs um 0,2 % und im nächsten Jahr um 0,5 % aus. Das Vertrauen der Manager in die Konjunktur ist weggebrochen. Die Investitionen in Kapitalgüter sind im zweiten Quartal binnen Jahresfrist um 9 % gefallen und damit fast dreimal so stark wie im Rest von Euroland. Die Bauausgaben liegen um 20 % unter den Spitzenwerten von Ende 1994.
Die Lage der Banken ist alarmierend. Geldpolitisch gesehen steckt Deutschland in der Falle. Das Land kann keine Zinszügel lockern, die es gar nicht in der Hand hält. Dabei wird die Binnennachfrage von einen Zinsniveau eingeschnürt, das viel höher als das nominale Wirtschaftswachstum ist. Der Ausweg über erhöhte Staatsausgaben oder über Steuersenkungen ist durch die Verpflichtung zur Einhaltung des Stabilitätspakts in der Eurozone versperrt.
Doch die meisten deutschen Probleme sind hausgemacht. Es gibt zu viele hoch bezahlte Arbeitnehmer, die man nur mit viel Geld wieder los wird. Und viele Firmen sind bei den Einstellungen zu zögerlich. Das ist ein Grund, warum die Beschäftigtenzahl in Deutschland seit Anfang 1991 leicht gesunken ist, während sie in Frankreich und in den USA gestiegen ist. Für den Anleger stellen sich zwei Schlüsselfragen: Ist der deutsche Markt jetzt eine Investition wert? Und wenn nicht, gibt es dann einzelne deutsche Unternehmen, die man kaufen sollte? Ja und nein, sagen die Experten. „Deutschlands Börse ist weit genug unten“, sagt James Clunie, Leiter der globalen Wertpapierabteilung von Aberdeen Asset Management in Glasgow. Noch nicht billig genug, urteilt James Seddon, Portfolio-Manager bei T. Rowe Price in London. „Man kann sich in ganz Europa umsehen und einige wirklich gute Unternehmen finden – nur nicht in Deutschland.“
Wichtig sei jetzt, wie sich die Wirtschaftslage auf die Investmentstrategie für ein Land auswirke, das keine Kontrolle über seine Geldpolitik habe, sagt David Abramson, Chefstratege für europäische Investitionen von BCA Research in Montreal. Es sei deshalb noch zu früh, deutsche Aktien zu kaufen. Gleichzeitig lege die Bewertung nahe, dass es zum Verkaufen aber schon zu spät ist. Am interessantesten sind für Abramson Export orientierte Unternehmen der „Old Economy“ in den Sektoren Chemie, Investitionsgüter und Autos.
Der Finanzsektor müsse erst dringend einer Konsolidierung unterzogen werden. Sehr skeptisch ist Abramson bei Werten aus den Segmenten Technologie, Medien, Telekommunikation. Zu viele hoch verschuldete Firmen im Rückwärtsgang, lautet sein Urteil. Doch wer sich nun ganz vom deutschen Markt abwendet, könnte einige „der besten Chancen der Welt verpassen.“ Unter diesen Perlen, auf die sich die Experten leicht einigen können, findet sich zum Beispiel BMW. Die neuen Modelle seien attraktiv, der Markenname stark und die Rekordgewinne sprächen für sich.
Auch Eon findet den Zuspruch der Wertpapierstrategen. Sie führen die Konzentration des Unternehmens auf den Kernbereich Versorgung und die aggressiven Kostenkürzungen an. Glücklicherweise von der Verfassung der deutschen Wirtschaft losgelöst sei Adidas. Der stetige Gewinnzuwachs und die herausragende Position seien überzeugend. Beifall finden auch Fraport, Porsche, Altana und die Deutsche Börse.
Quelle: Handelsblatt